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Martin Rhonheimer über Katholizismus und Liberalismus

Empfehlenswerte Reflexionen auf dem Blog des Austrian Institute von Martin Rhonheimer. Hier ein kurzer Auszug:

Was heißt Armut? Die Armut, die Jesus gepredigt hat, ist eine innere Armut, eine “Armut im Geiste”. Jesus hat nie Menschen kritisiert, weil sie reich waren – im Gegenteil, sein Freund Lazarus war ein vermögender Mann. Die Forderung des Evangeliums ist, dass wir unser Herz nicht an die Dinge dieser Welt hängen und darüber Gott und die Mitmenschen vergessen. In diesem Sinne können auch materiell arme Menschen “reich” sein – etwa weil sie voller Neid oder Ressentiments sind. Reiche, die ihr Vermögen investieren und damit unternehmerisch tätig werden, tun viel für ihre Mitmenschen: Sie schaffen Arbeit für sie, erzeugen Wertschöpfung, technischen und sozialen Fortschritt, erhöhen den Lebensstandard aller. Auch ein kapitalistischer Unternehmer kann “arm im Geiste” sein, wenn er das in der richtigen Absicht tut. 

Bitte lesen Sie den ganzen Text, in dem sich John Locke, Friedrich August von Hayek, Leo XIII., Johannes Paul II. und Benedikt XVI. ein Stelldichein geben.

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Roger Scruton: Die Pforten, durch die das Sakrale auf uns wirkt

Interessanter Vortrag des unlängst verstorbenen Sir Roger Scruton über das Sakrale. Die Anlage des Vortrags verdient Augenmerk, weil sie vordergründig mißlungen wirken könnte. Sir Roger vollzieht die Grenzen des naturwissenschaftlich-säkular geprägten Weltbilds nach, bestimmt den Raum des Sakralen und beschreibt die Pforten, durch die das Sakrale – bestimmt u.a. als das Desekrierbare – auf uns wirkt. Aus katholischer Perspektive wäre einzuwenden, daß der Philosoph über neun Zehntel seines Vortrags bloß Fast-Sakrales bespricht, gleichsam vor der Schwelle des Eigentlichen tändelt. Darin aber liegt die Pointe dessen, was Scruton ausführt; Sir Roger zeigt in sehr zivilisierter, gleichwohl deutlicher Weise, daß der Gläubige das Sakrale genau deshalb erhält, weil er es als Inhalt seines Glaubens der Welt aufpfropft, einem Philosoph dergleichen jedoch als Verstoß gegen die Regeln seines Handwerks, eine petitio principii aufstoßen muß. Und daß bereits diesseits des Sprungs in den Glauben das Sakrale aufzufinden sei.

Get Woke, Go Broke – schon bei Jesaja 48, 17-19
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Get Woke, Go Broke – schon bei Jesaja 48, 17-19

Get woke, go broke – etwa: „Komm politisch auf Linie und geh pleite!“ oder „Werd‘ zum radikalen Fortschrittler und sieh, wie Dein Leben den Bach runter geht!“ – bezeichnet nichts Neues (und läßt sich nicht nur auf Geschäftliches anwenden). Die Sache ist schon im Alten Testament zu finden, zuzüglich des Hinweises, daß dazu noch selbstverschuldete Einsamkeit als Dreingabe geliefert werde. Hier also Jesaja 48, 17-19; als guter Proporz-Denker liefere ich erst die katholische Einheitsübersetzung, dann für unsere protestantischen Freunde eine neuere Lutherübersetzung:

17 So spricht der HERR, dein Erlöser, der Heilige Israels: Ich bin der HERR, dein Gott, der dich lehrt, was Nutzen bringt, und der dich auf den Weg führt, den du gehen sollst. 18 Hättest du doch auf meine Gebote geachtet! Dein Heil wäre wie ein Strom und deine Gerechtigkeit wie die Wogen des Meeres. 19 Deine Nachkommen wären wie der Sand und die Sprösslinge deines Leibes wie seine Körner. Ihr Name wäre in meinen Augen nicht getilgt und gelöscht.

(Einheitsübersetzung)

17 So spricht der HERR, dein Erlöser, der Heilige Israels: Ich bin der HERR, dein Gott, der dich lehrt, was dir hilft, und dich leitet auf dem Wege, den du gehst. 18 O dass du auf meine Gebote gemerkt hättest, so würde dein Friede sein wie ein Wasserstrom und deine Gerechtigkeit wie Meereswellen. 19 Deine Kinder würden zahlreich sein wie Sand und deine Nachkommen wie Sandkörner. Ihr Name würde nicht ausgerottet und nicht vertilgt werden vor mir. 

(Luther)

(Bild: Pixabay.)

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Rabbi Jonathan Sacks über „Cancel Culture“, menschliche Freiheit und Vergebung

Außerordentlich hörenswerte Bemerkungen von Rabbi Sir Jonathan Sacks über die grassierende „Cancel Culture“, das Zur-Strecke-Bringen tüchtiger Leute für Kleinig- und Nichtigkeiten, die teils weit zurückliegen, über den Zusammenhang von menschlicher Freiheit und Vergebung. Brillant ausgeführt, knapp und humorvoll, mit angemessener Schärfe, erstaunlich in seiner Tiefe – vom Banal-Politischen bis ins Religiöse (und Religiös-Existentielle) reichend. In englischer Sprache, von einer Viertelstunde Länge.

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Newman

Empfehlenswerter Dokumentarfilm von einer Stunde Länge über Leben und Werk von John Henry – später Kardinal – Newman, erzählt von dem US-amerikanischen Bischof Robert Barron. Der erste Teil des Films behandelt Newmans Leben vor und nach seiner Konversion vom Anglikanismus zum Katholizismus; der zweite Teil bespricht einige wichtige Werke Newmans.

Anrührend ist, daß der Film zwei Opfer herausarbeitet, die Newman auf seinem Wege gebracht hat. Beide Opfer dürften auch dem religiös Unmusikalischen verständlich sein, eine Saite in ihm zum Klingen bringen.

Das eine Opfer Newmans bestand im Verzicht auf ein Leben in Oxford, als Professor der Oxforder Universität und unter Oxforder Akademikern, da dergleichen als Abtrünniger vom Anglikanismus damals nicht mehr möglich war. Ein jeder, der seine Nase in Dutzende stockfleckiger Bücher gesteckt hat, um Halb- oder vielleicht auch Dreiviertelverstandenes zu exzerpieren, kann ermessen, was für ein gewaltiges Opfer das gewesen sein muß!

Und hier das zweite Opfer: Als Anglikaner war Newman ein gesuchter Prediger in gerammelt voller Kirche, dessen Predigten von gewaltiger Länge als Meisterwerke angesehen wurden. Als katholischer Geistlicher gab es dergleichen Gelegenheit nicht mehr; zehn Minuten für die Predigt, das war’s damals.

Update: Der vollständige Film ist inzwischen nicht mehr unentgeltlich zugänglich. Oben findet sich ein Auszug.

Neulich in Krakau
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Neulich in Krakau

Ein beliebiger Abend in der letzten Woche. Menschenmassen schieben sich durch Krakaus Altstadt, die immer mehr an eine Mischung aus Freilichtmuseum und Freizeitpark mit Alkoholausschank gemahnt. Gut, daß ich mit meiner Familie hier bin – das Eis in der alteingesessenen Konditorei am Hauptmarkt, gleich bei der Einmündung der Grodzka-Straße schmeckt großartig -, so habe ich Ruhe vor den Anquatschern und Anquatscherinnen, die, wie es scheint, alle nicht in weiblicher Begleitung durch die Stadt schlendernden Männer unter siebzig zum Besuch von Etablissements veranlassen wollen, in denen nicht nur gegessen und getrunken wird. Die seit einiger Zeit mit ungemein grellen LEDs auf der Unterseite versehenen Pferdedroschken haben Schwierigkeiten, an der Gruppe von Breakdancern vorbeizufahren, die den Gästen eines der vielen Restaurants, die Tische auf den Rynek Główny gestellt haben, zu überlautem Utz-Utz-Utz ihre Künste darbieten, ob jene wollen oder nicht. Dicht aufeinander folgende Grüppchen von Engländerinnen und Engländern, an denen ein Dalrymple seine (melancholisch gebrochene) Freude hätte, vervollständigen das Bild; es gibt inzwischen eine Reihe von Kneipen, die sich speziell auf diese Klientel ausgerichtet hat, während andere Lokale mit dem Hinweis „No Stag/Hen Parties“ die Sache im Zaum halten wollen. Ältere Deutsche tauchen auch auf; man erkennt sie daran, daß sie beigefarbene Westen tragen und die Männer mit ihrer jeweiligen Frau, die Frauen mit ihrem jeweiligen Manne so rein gar nichts zu tun zu haben scheinen.

Kurzum: es steht nicht zum Besten – oder allzu gut – um die Innenstadt von Krakau, selbst wenn handfeste Skandale wie jener selten sind, als sich im März 2019 eine Gruppe von so-gut-wie-nackten Touristen, die Englisch sprachen, in einer Droschke um den Rynek kutschieren ließ; und natürlich ließen die Herren es sich nicht nehmen, nach der Fahrt über den Hauptmarkt zu stolzieren. – Eher überkommt eine gewisse Schwermut den Metöken, der sich an das vergleichsweise stille und, bei aller Beschränkung der Mittel und mancher Bausünde um die Innenstadt herum, trotzig-elegante Krakau vor anderthalb Jahrzehnten erinnert.

Mitten in dem Getriebe steht die winzige, gut zehn Jahrhunderte alte Sankt-Adalbert-Kirche (Kościół św. Wojciecha) – auf der linken Hälfte der Postkarte, die Sie oben sehen, zwischen den Bäumen. Sie ist am Abend geöffnet. Immer wieder sehe ich, etwa zehn Meter seitlich des Eingangs zur Kirche stehend, wie Touristen in Sightseeing-Absicht die Hand an der inneren Tür haben, deren Scheiben einen Blick in das Innere des nur einige Meter breiten und langen Kirchleins erlauben, sie öffnen wollen und in der Bewegung innehalten. Selbst ihre Miene gefriert, für einen Augenblick wenigstens. Dann gehen sie, einen zutiefst verwirrten, besser noch: befremdeten, durch das Fremde berührten Eindruck machend, bis sie das Gesehene durch einige Schüttelbewegungen des Hauptes verscheuchen, entweder fort, zurück in das Getriebe. Oder ihr Leib strafft sich, und sie treten ein. Das ist der seltenere Fall.

Was geschieht in dieser Kirche? Schauen Sie auf ihre Website, die sie – natürlich – hat, denn Polen ist ein sehr modernes Land:

My, młodzi chrześcijanie, pamiętając o wielkiej historii Krakowa, nie chcemy, aby w naszym mieście propagowana była nieczystość i by nakłaniano nas do grzechu. […] [C]hcemy się razem modlić o moralną odnowę Miasta Królów Polskich. Od dwóch lat spotykamy się codziennie przed Panem Jezusem w Najświętszym Sakramencie i prosimy Go, aby uzdrowił nasze Miasto i przebywających w nim ludzi – mieszkańców i przejezdnych.

(Wir sind junge Christen, die sich der bedeutenden Geschichte Krakaus erinnern. Darum wünschen wir nicht, daß in unserer Stadt moralische Unreinlichkeit propagiert und zur Sünde veranlaßt werde. Wir wollen gemeinsam für eine moralische Erneuerung Krakaus, der Stadt der polnischen Könige, beten. Seit zwei Jahren versammeln wir uns an jedem Tag vor Christus, unserem Herrn, im Allerheiligsten Sakrament und bitten Ihn, daß er unsere Stadt und die Menschen in ihr gesunden lasse – sowohl die Einheimischen, als auch die Durchreisenden.)

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Bild: Blick über den Hauptmarkt zum Wawel (Ansichtskarte, ca. 1933) Quelle: Zbiory Specjalne, Biblioteka Naukowa PAU i PAN w Krakowie. Własność: Polska Akademia Umiejętności. Prawa autorskie: Utwór w domenie publicznej.

Sonntagslektüre: Anthony Esolen, The Freedom of Heaven & the Freedom of Hell
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Sonntagslektüre: Anthony Esolen, The Freedom of Heaven & the Freedom of Hell

In Dante Alighieris Göttlicher Komödie sitzt der Teufel dort unten, im tiefsten Kreis der Hölle, im Eis eines Flusses fest, den er mit dem Schlag seiner Flügel gefrieren läßt. Das Eis hält ihn (und die Seelen von allerlei Verrätern) auf alle Ewigkeit fest, weil er nicht von dem Wunsch lassen will, sich auf eigene Faust, nach eigenem Willen und in eigener Manier aus seinem Elend zu befreien.

Anthony Esolen bemerkt in einem gewaltigen Artikel, der vor zehn Jahren in (oder auf) First Things erschienen ist, zu diesem Bild:

Readers of Dante’s Inferno who have traveled with him all the way to the bottom know that the essence of one’s sin is made manifest in the punishment—that the punishment is the sin repeated endlessly and inexorably. And appropriately so. Thomas Aquinas, in justifying the eternity of hell, notes that mortal sin is an infinite and self-defining act of enmity against the peace of the City of God. Such sinners long for immortality, he says (quoting Gregory the Great), so that they might sin forever—for, even more than they love life, they love the sin to which they have given their lives. 

What exactly, then, is the sin made manifest here in hell’s deepest pit? The flapping of wings, the ice, the act of treachery, and the temptation of Satan that penetrates time all derive from falling to the temptation, “Ye shall be as gods.” These four motifs have much to teach us about freedom and autonomy, rightly and wrongly understood. 

The Psalms lend a hint: All things, says the psalmist, declare that “he made us; we did not make ourselves.” Even the atheist must agree that we did not make ourselves. The statement expresses contingency and dependence, and these are plainly discernible by reason. I did not come into the world self-made. Indeed, I came into a world already present for me to enter: an intelligible world, not a congeries of arbitrary and unrelated forces. Had there been no such world, I would not have existed. 

To claim, then, that we did make ourselves would be to deny the real contingency of our beings—which would also be to deny the web of relations into which we have entered by our being and without which we must cease to be. Deep at the heart of this denial is the prideful sin of ingratitude. We see that we are provided with what we could not have provided for ourselves: not only the material conditions that support our existence—our food and drink, the care of our parents—but the fact of our existence itself. Yet we respond with a lie. We repeat what Satan implicitly affirms at the bottom of hell, the loneliest words ever uttered: “I am my own, I am my own! My mind is my own, to fashion what truth I shall please. My body is my own, to dispose of as I please. My will is my own. I rise—by my power. I exist— by my power .” 

Das ist: Leser von Dantes Inferno, die ihn auf seiner Reise hinunter zum tiefsten Kreis der Hölle begleitet haben, wissen, daß das Wesen einer Sünde in der Buße wiederkehrt – daß also die Bestrafung in der immer und ewig wiederholten Sünde bestehe, wie es nicht anders sein kann. Thomas von Aquin schrieb, da er die Ewigkeit der Höllenstrafe rechtfertigte, daß die Todsünde ein Akt unbeschränkten und definierenden Charakters sei, ein Akt der Feindseligkeit gegen den Frieden in der Stadt Gottes. Derartige Sünder verlangt es nach Unsterblichkeit, sagt er (sich auf Papst Gregor I beziehend), damit sie auf ewig sündigen können, denn mehr als das Leben selbst lieben sie die Sünde, der sie ihr Leben verschrieben haben.

Worin besteht somit genau die Sünde hier im tiefsten Kreis der Hölle? Das Schlagen der Flügel, das Eis, der Verrat und die ewige Versuchung Satans, sie sind die Folgen dessen, daß der falschen Verheißung „Ihr werdet sein wie die Götter“ stattgegeben wurde. Aus diesen vier Motiven läßt sich viel über Freiheit und Autonomie lernen, sowie über deren richtige und falsche Auffassung.

Der Psalter gibt uns einen Hinweis, worum es geht. Alle Dinge lehren uns, so der Dichter der Psalmen, daß „Er uns geschaffen hat; wir haben uns nicht selbst erschaffen“. Selbst der Atheist muß zugeben, daß wir uns nicht selbst erschaffen haben. Eine solche Aussage gibt Beschränktheit und Abhängigkeit zu, Sachverhalte, die bei vernünftiger Betrachtung auf der Hand liegen. Schließlich sind wir in eine Welt geboren worden, die schon da war; eine Welt, die sich verstehen läßt, keine Ansammlung beliebiger und beziehungsloser Kräfte. Würde es keine solche regelhafte Welt geben, würden wir nicht existieren (können).

Folglich würde jede Behauptung, daß wir uns geschaffen und zu dem gemacht haben, was wir sind, das tatsächliche Abhängigkeitsverhältnis unseres Daseins verleugnen. Sie würde auch jenes Geflecht von Beziehungen leugnen, in das wir mit unserem Dasein eingetreten sind und ohne dessen Bestehen wir aufhören würden zu existieren. Eine solche Leugnung entstammt der stolzbefeuerten Sünde der Undankbarkeit. Wir verstehen, daß wir mit Gütern und Gaben beschenkt worden sind, die wir niemals hätten selbst uns beschaffen können; dies meint nicht nur die äußerlichen Bedingungen unseres Daseins – Essen und Trinken, die Zuwendung unserer Eltern -, sondern auch die schlichte Tatsache unserer Existenz. Dennoch reagieren wir auf diesen Sachverhalt mit einer Lüge. Wir wiederholen, was Satan durch sein Tun im tiefsten Kreis der Hölle bekräftigt, nämlich die einsamsten Worte, die sich überhaupt äußern lassen: „Ich bin mein Eigentum, ich bin mein Eigentum! Es ist mein Wille und Intellekt, und ich kann jeder Wahrheit anhängen, die ich will. Mein Körper gehört mir, und ich kann damit anstellen, was mir gefällt. Mein Wille ist mein Wille. Ich steige auf – durch eigene Kraft. Ich bin da – aus eigener Kraft.

Bitte lesen Sie den gesamten Text.

Während im Westen darüber diskutiert wird, ob mit Notre Dame…
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Während im Westen darüber diskutiert wird, ob mit Notre Dame…

…ein historisches Gebäude, ein Gotteshaus oder ein Symbol ausgebrannt sei, bereiten sich viele Menschen in Polen auf das Osterfest vor. Reichlich zweihundert Kirchen öffnen in den Nächten vor Ostersonntag, Priester nehmen bis Mitternacht, drei oder gar sechs Uhr morgens die Beichte ab, damit die Gläubigen als freie Menschen am Auferstehungsfest teilnehmen können. „Noc konfesjonałów„, Nacht der Beichtstühle.