Warum Hertha BSC nicht „sich entschuldigen“ kann
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Warum Hertha BSC nicht „sich entschuldigen“ kann

Nach den Vorkommnissen um das zweite Relegationsspiel zwischen dem Berliner Fußballverein Hertha BSC und Fortuna Düsseldorf stellt eine „Erklärung“ auf der Website des Hauptstadt-Clubs fest:

Wir entschuldigen uns deshalb offiziell und ausdrücklich für alle Verfehlungen unserer Spieler bei allen Beteiligten, insbesondere auch bei den Schiedsrichtern.

Leider ist das unmöglich.

Um nicht mißverstanden zu werden: Es wäre auch unmöglich, wenn es sich um einen anderen Verein handeln würde – sagen wir Hannover 96, Bayern München oder Wisła Kraków. Denn es geht um die Sache selbst.

Man kann nicht: „sich entschuldigen“. Man kann bloß: um Entschuldigung bitten. Darum, daß der andere, dem man – willentlich oder unwillentlich – etwas angetan hat, einem verzeiht. Deshalb lautet die vollständige Formel: „Ich bitte um Entschuldigung.“ Oder schöner: „Ich bitte um Verzeihung.“ Oder dort, wo es um gravierende Verfehlungen geht: „Ich bitte um Vergebung.“ Das Bitten ist bei jeder dieser Formeln da; nicht ohne Grund.

Was für eine Gedankenlosigkeit liegt in der Formel: „Ich entschuldige mich.“! Und was für eine Eitelkeit! Man kann sich ja auch nicht selber gebären, geschweige denn erlösen.

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Wo die Sprache hapert, verirrt sich das Denken. (Natürlich kommen hier Hayek und Konfuzius in den Sinn; aber die Sache bleibt auch ohne Hayek und Konfuzius, wie sie ist.) Die Formel „Ich entschuldige mich.“ stellt eine Verwahrlosung dar; vor der (wie ich vermute) älteren und richtigen Formel „Ich bitte um Entschuldigung.“ wirkt sie wie Lärm vor Musik, mithin ein Beispiel von Kulturverfall. Sollte es sich dabei um einen Kollateralschaden der Dechristianisierung in Deutschland handeln?

Zwanzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs haben die Bischöfe Polens anläßlich der Tausendjahrfeier des Christentums in Polen eine Botschaft an ihre deutschen Amtsbrüder gerichtet. Der entscheidende Satz darin lautet:

Wir bitten Sie, katholische Hirten des deutschen Volkes, versuchen auf Ihre eigene Art und Weise unser christliches Millenium mitzufeiern, sei es durch Gebet, sei es durch einen besonderen Gedenktag. Für jede Geste dieser Art werden wir Ihnen dankbar sein. Überbringen Sie auch, wir bitten Sie darum, unsere Grüße und Dank den deutschen evangelischen Brüdern, die sich mit uns und mit Ihnen abmühen, Lösungen für unsere Schwierigkeiten zu finden.

In diesem allerchristlichsten und zugleich sehr menschlichen Geist strecken wir unsere Hände zu Ihnen hin in den Bänken des zu Ende gehenden Konzils, gewähren Vergebung und bitten um Vergebung. Und wenn Sie, deutsche Bischöfe und Konzilsväter, unsere ausgestreckten Hände brüderlich erfassen, dann erst können wir wohl mit ruhigem Gewissen in Polen auf ganz christliche Art unser Millennium feiern. Wir laden Sie dazu herzlichst nach Polen ein.

Prosimy Was, katoliccy Pasterze Narodu niemieckiego, abyście na własny sposób obchodzili z nami nasze chrześcijańskie Millenium: czy to przez modlitwy, czy przez ustanowienie w tym celu odpowiedniego dnia. Za każdy taki gest będziemy Wam wdzięczni. I prosimy Was też, abyście przekazali nasze pozdrowienia i wyrazy wdzięczności niemieckim Braciom Ewangelikom, którzy wraz z Wami i z nami trudzą się nad znalezieniem rozwiązania naszych trudności.

W tym jak najbardziej chrześcijańskim, ale i bardzo ludzkim duchu, wyciągamy do Was, siedzących tu, na ławach kończącego się Soboru, nasze ręce oraz udzielamy wybaczenia i prosimy o nie. A jeśli Wy, niemieccy biskupi i Ojcowie Soboru, po bratersku wyciągnięte ręce ujmiecie, to wtedy dopiero będziemy mogli ze spokojnym sumieniem obchodzić nasze Millenium w sposób jak najbardziej chrześcijański.

Reihenfolge und Asymmetrie entscheiden. Nicht: „Aber ich habe mich doch entschuldigt. Und jetzt erwarte ich, daß auch der andere…“ Sondern: „Ich vergebe.“ Und dann: „Ich bitte um Vergebung.“

Es scheint, wir können davon lernen. Ob wir Jesus von Nazareth für den Messias halten oder nicht. Das Tiefe und Große strahlt auf den alltäglichen Unsinn zurück.

Am Rande der Bewegung II: Das Ende ist nah!
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Am Rande der Bewegung II: Das Ende ist nah!

Die Bewegung hat, wie üblich, eine quasi-religiöse Dimension.

In einer der Fischhallen am Rande der kleinen Stadt in Norddeutschland sagt ein älterer und sehr gediegen wirkender Mann mit flächigen, kräftigen Händen – offenbar der Besitzer des Ladengeschäfts – zu einem Dreijährigen, dessen Eltern einige Plattfische erstanden haben: „Da habt ihr ‚was Feines, mein Junge. Ich hoffe, es wird euch schmecken. Wer weiß, ob es noch Fische gibt, wenn Du groß bist.“

Marketing ist das kaum. Eher tatsächliche Erwartung und ehrliche, bohrende Besorgnis. Wie soll man das verstehen?

Und der andere Engel goß aus seine Schale ins Meer; und es ward Blut wie eines Toten, und alle lebendigen Seelen starben in dem Meer. (Offenbarung 16, 3; Luther)

Es handelt sich um die große Eitelkeit, die dem Gedanken entspringt, in einer „besonders“ schlimmen Zeit zu leben, „besonders“ verworfenen Verhältnissen entgegenwirken zu müssen, – und im Gegenzug desto reiner zu scheinen.

Mißverstehen wir einander nicht: Es hat immer wieder besonders schlimme Zeiten gegeben. Der Mut all derer, die sich gegen sie aufgelehnt haben, verdient unseren Respekt: Etwa jener der Widerstandskämpfer gegen den nationalen und internationalen Sozialismus, unter denen es, wie im Falle der polnischen Heimatarmee (Armia Krajowa), viele gab, die nach dem Sieg über den einen Totalitarismus Opfer des anderen wurden.

Es geht um den Als-Ob-Mut, das Als-Ob-Kämpfer sein; das Sich-Erheben in Abwesenheit von Übeln. Das ist der Treibstoff der Bewegung.

***

Der Klassiker zum Thema: Norman Cohn, The Pursuit of the Millenium (1957). Das Buch ist auch in deutscher Sprache erhältlich; allerdings habe ich selten eine schlechtere Übersetzung in der Hand gehabt (Bern und München 1961, besorgt von Eduard Thorsch). In jüngster Zeit beschäftigt sich Richard Landes mit dem Thema.

Zbigniew Herbert, Rozmyślania Pana Cogito o odkupieniu
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Zbigniew Herbert, Rozmyślania Pana Cogito o odkupieniu

Zbigniew Herberts „Herrn Cogitos Gedanken über die Erlösung“ gefallen mir sehr.

Nie powinien przysyłać syna

zbyt wielu widziało
przebite dłonie syna
jego zwykłą skórę

zapisane to było
aby nas pojednać
najgorszym pojednaniem

zbyt wiele nozdrzy
chłonęło z lubością
zapach jego strachu

nie wolno schodzić
nisko
bratać się krwią

nie powinien przysyłać syna
lepiej było królować
w barokowym pałacu z marmurowych chmur

na tronie przerażenia
z berłem śmierci

„Er hätte den Sohn nicht zu uns senden sollen/zu Viele sahen/die durchschlagenen Hände des Sohnes/seine gewöhnliche Haut/ […] zu viele Nüstern/sogen mit Vergnügen ein/den Geruch seiner Angst/ […] er hätte den Sohn nicht zu uns senden sollen/besser wäre es wie ein König zu herrschen/in einem üppigen Palast aus marmornen Wolken/auf dem Thron des Entsetzens/mit dem Szepter des Todes“

Ein drohender Gott ist vielen leichter erträglich. Mit dem zu uns Gekommenen sind wir – ganz offenbar – nicht zufrieden.

Stefan George beschreibt, welche Sehnsüchte uns dabei treiben mögen:

Der Widerchrist

„Dort kommt er vom berge · dort steht er im hain!
Wir sahen es selber · er wandelt in wein
Das wasser und spricht mit den toten.“

O könntet ihr hören mein lachen bei nacht:
Nun schlug meine stunde · nun füllt sich das garn ·
Nun strömen die fische zum hamen.

Die weisen die toren – toll wälzt sich das volk ·
Entwurzelt die bäume · zerklittert das korn ·
Macht bahn für den zug des Erstandnen.

Kein werk ist des himmels das ich euch nicht tu.
Ein haarbreit nur fehlt · und ihr merkt nicht den trug
Mit euren geschlagenen sinnen.

Ich schaff euch für alles was selten und schwer
Das Leichte · ein ding das wie gold ist aus lehm ·
Wie duft ist und saft ist und würze –

Und was sich der grosse profet nicht getraut:
Die kunst ohne roden und säen und baun
Zu saugen gespeicherte kräfte.

Der Fürst des Geziefers verbreitet sein reich ·
Kein schatz der ihm mangelt · kein glück das ihm weicht..
Zu grund mit dem rest der empörer!

Ihr jauchzet · entzückt von dem teuflischen schein..
Verprasset was blieb von dem früheren seim
Und fühlt erst die not vor dem ende.

Dann hängt ihr die zunge am trocknenden trog ·
Irrt ratlos wie vieh durch den brennenden hof..
Und schrecklich erschallt die posaune.

Für George sind es die Sehnsüchte der Masse.

Welches Gedicht ist das stärkere? Von der Form kann gegenwärtig nicht die Rede sein, denn das Herbertsche Gedicht besitzt keine. Über den Inhalt läßt sich sagen: Herbert bleibt ganz im Privaten. George bewegt sich (wenigstens auch) im Politischen: Seine Verse durchzieht die Kritik an der Masse. Von Vielheit ist auch bei Herbert die Rede: „zbyt wielu“/“zbyt wiele“. Aber das sind eben „zu Viele“/“zu viele“, das kann jeder von uns sein. „Menge“ oder „Masse“ („toll wälzt sich das volk“) sind immer die Anderen…

Russell über Marx und Calvin
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Russell über Marx und Calvin

Unsere Linksradikalen jugendlichen oder berufsjugendlichen Zuschnitts halten sich für „rationaler“ – es lebe der Komparativ! – als ihre nicht-linken Zeitgenossen. Diese Selbsteinschätzung könnte sich jedoch als hinfällig erweisen, wie Bertrand Russell in „New Hopes for a Changing World“ zeigt:

There is in Marx a cold logic which is reminiscent of Calvin. Calvin held that certain people – chosen not for their virtues but arbitrarily – are predestined to go to heaven, and the rest are predestined to go to hell. No one has a free will: if the elect behave well that is by God’s grace, and if the reprobate behave badly, that again is because God has so willed it. So in Marx’s system if you are born a proletarian you are fated to carry out the purposes of Dialectical Materialism (as the new God is called), while if you are born a bourgeois you are predestined to struggle vainly against the light, and to be cast into outer darkness if you live until the coming Revolution.

The whole process of history proceeds according to a logical system, which Marx took over, with slight modifications, from Hegel. Human developments are as irresistible and as independent of human will as the movements of the heavenly bodies. The force that brings about change in social affairs is the conflict of classes. After the proletarian revolution there will be only one class, and therefore change will cease. For a time the dispossessed bourgeoisie will suffer, and the elect, like Tertullian, will diversify their bliss by the contemplation of the damned in concentration camps. But Marx, more merciful than Calvin, will allow their sufferings to end with death.

This curiously primitive myth…

Was könnte man noch hinzufügen?

(Das Zitat findet sich auf den Seiten 121-122 der Ausgabe, welche 1956 bei George Allen & Unwin in London erschienen ist.)