Neuerscheinung: Stefan George, „Gwiazda przymierza“
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Neuerscheinung: Stefan George, „Gwiazda przymierza“

Stefan Georges Gedichtband Der Stern des Bundes (1914) in polnischer Sprache. Übertragung (S. 5-117): Wojciech Kunicki. Einführung und Kommentar (S. 121-221): Karsten Dahlmanns. Bemerkungen zur polnischen George-Rezeption (S. 223-247): Beata Rudy.

Warschau: Fundacja Evivva L’arte 2025, 256 Seiten, 45 PLN.

Weitere Informationen auf den Seiten des Verlags.

Wien – Berlin

Der lebensphilosophisch-ästhetische Kontrast unserer beiden Hauptstädte im deutschsprachigen Raum, Wien (Österreich) und Berlin (Bundesdeutschland), könnte erstaunlicher kaum ausfallen. Es wäre segensreich, ausgewählte Partien von Berlins Einwohnerschaft – sogenannte Funktionseliten eingeschlossen, aber nicht bloß sie, sondern auch Busfahrer, Rezeptionistinnen usw. – im Turnus zu Pflichtaufenthalten in Wien zu verdonnern, damit sie lernen, wie man spricht, ohne sein Gegenüber wie auf einem Kasernenhof anzuschnarren.

Bemerkungen zu Stefan Georges „Der Stern des Bundes“ und einigen Übertragungen ins Polnische
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Bemerkungen zu Stefan Georges „Der Stern des Bundes“ und einigen Übertragungen ins Polnische

Stefan Georges Gedichtband Der Stern des Bundes, im Jahre 1914 vor Kriegsausbruch erschienen, ist ein besonders umstrittenes Werk eines ohnehin umstrittenen Dichters. Georges Schaffen und die Anekdoten über sein Leben, seine elitäre Haltung usw. rufen Emotionen hervor, die, zum Teil auf Fehleinschätzungen noch zu Lebzeiten Georges beruhend (Karlauf 2007: 416–417), den Blick auf ihn und seine Leistungen verstellen. Daher empfiehlt sich ein dezidiert sachlicher Umgang, der Ungereimtheiten (‚Inkonsequenzen‘‚ ‚Widersprüche‘ etc.) im Leben und Denken
des Dichters zur Kenntnis nimmt – etwa den Umstand, dass der gestrenge, ja unbotmäßig radikale Kulturkritiker zugleich ein talentierter Unternehmer war, der es verstand, mit den Mitteln von Subskription und künstlicher Verknappung, Buch-kunst und Typographie, Portraitphotographie und dem, was heute als Networking bezeichnet würde, die Marke „Stefan George“ aufzubauen (Dahlmanns 2016: 212–250). Außerdem sammelte der eben nur scheinbar weltfremde Poet des L’art pour l‘art mit Friedrich Gundolf, Ernst Kantorowicz u.a. „exzellente Talente“ um sich, „die sich bei ihm in die Lehre begaben“ und mit ihren Gestaltbiographien „Meisterleistungen“ vollbrachten: „sprachlich brillant, beinahe wie eigenständige Kunstwerke instrumentiert, voller Genieblitze und durchaus ernstzunehmender psychologischer sowie interpretatorischer Einsichten“ (Światłowski 2001: 116).Der vorliegende Aufsatz führt zunächst in den Band Der Stern des Bundes ein, indem er einige seiner formalen und inhaltlichen Züge bespricht, außerdem seine Beziehungen zu anderen Werken Georges beschreibt. Dies kann hier natürlich nur stark verkürzt geschehen. Anschließend werden ausgewählte Übertragungen in die polnische Sprache diskutiert – von Stefan Napierski, Jacek Stanisław Buras und Andrzej Lam. Die Übersetzungen der beiden Erstgenannten stammen aus der von Krystyna Kamińska 1979 herausgegebenen Anthologie Stefan George. Poezje. Lams Übertragungen sind der ersten durchgängigen polnischen Übersetzung vom Stern des Bundes (2020) entnommen.

Mehr in der Zeitschrift Acta Neophilologica XXVI/2 (2024) (PDF), Open Access.

Leszek Balcerowicz über ausbleibende Privatisierungen

Leszek Balcerowicz über ausbleibende Privatisierungen

Ex-Wirtschaftsminister Dr. habil. Leszek Balcerowicz, Prof. der SGH in Warschau, dem Polen die rasche Einführung der Markt- und Unternehmerwirtschaft nach dem Ende des Kommunismus verdankt, bemerkt am 28.11.2024 auf X (ehemals Twitter):

Od 2014 r nie było w Polsce żadnej prywatyzacji choć mamy największy po Turcji udział firm państwowych w gospodarce.

(Seit 2014 gab es in Polen keine Privatisierung, obwohl wir einen Anteil von staatlichen Firmen in der Wirtschaft haben, der fast an jenen in der Türkei heranreicht.)

Dies gelte, so Balcerowicz weiter, wenn man die 2015 erfolgte Privatisierung von PKP Energetyka, einem Zweig der polnischen Staatsbahnen, außeracht lasse, die per Wiederverstaatlichung rückgängig gemacht wurde.

In einem Eintrag vom 29.11. ergänzt Balcerowicz seine Bemerkungen durch eine grundsätzliche Frage:

Jakim politykom podoba się własność państwowa?

(1) Wierzącym socjalistom.
(2) Dyktatorom- dominacja własności państwowej daje kontrolę nad społeczeństwem -zob. np Koreę Płn i Kubę.
(3) Oportunistom- bo daje pulę stanowisk do obsadzania.

(Welcher Art Politikern gefällt Staatseigentum?

(1) Sozialisten, die tatsächlich an den Sozialismus glauben.
(2) Diktatoren, da die Vorherrschaft des Staatseigentums Kontrolle über die Gesellschaft herstellt – siehe etwa Nordkorea oder Kuba.
(3) Opportunisten, weil es eine Menge Posten und Pöstchen zum Verteilen schafft.
)

Wie schön: Punkt (3) enthält ein genuin ökonomisches Argument zur Erklärung der Ökonomie-Abneigung vieler Politiker. „Das ist zu einfach!“-Geschrei in 3, 2, 1…

(Beitragsbild: Die beiden Verwaltungsgebäude der 1954 eröffneten Lenin-Hütte in Nowa Huta (Krakau), später Sendzimir-Hütte, heute stillgelegt. Photographiert von Piotr Tomaszewski, Wikipedia, CC BY-SA 4.0.)

J. M. M. Aler anläßlich einer Studie über Stefan George

Lässt die Heraushebung des axiologischen Komplexes vom Gehalt auch nur einer einzigen grossen Dichtung viel mehr als Splitter übrig?

J. M. M. Aler, Im Spiegel der Form. Stilkritische Wege zur Deutung von Stefan Georges Maximindichtung, Amsterdam 1947, S. 23, Fußnote.

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Deutschland im November: drei Vignetten aus einem reichen Land

I

Werktag, zwischen 21.00 und 22.00 Uhr: Fahrt mit der S-Bahn von Hamburgs Flughafen zum Hauptbahnhof. Dreimal angebettelt – allerdings nicht individuell, sondern im Kollektiv, da jeder der drei an verschiedenen S-Bahnhöfen einsteigenden Bettler sich an sämtliche Fahrgäste zugleich wandte, dabei Blickkontakt vermied. Außerdem liefen zwei Flaschen- und Dosensammler durch den Wagen, die kleinen Abfallbehälter unter den Fenstern prüfend. Einer jung, mit allen Symptomen schwerer Drogensucht; er bewegte sich durch das Abteil, als sei außer ihm und den Dämonen, die ihn zerfleischen, niemand anwesend. Der andere, zwei-drei Stationen später eingestiegen, ein älterer Mann, sauber und vergleichsweise gepflegt wirkend. Er bat um Nachsicht, daß er zwischen meinem Gegenüber und mir an den Abfallbehälter wollte.

II

Eine Kleinstadt in Weser-Nähe, Flaschenrückgabe bei einem Discounter. Ein verwahrlostes Paar in zerknitterten Regenjacken, älter, doch nicht wirklich alt, schiebt Getränkedosen und Plastikflaschen für weit über zwanzig Euro auf das Band des Rücknahme-Automaten, die sie aus riesenhaften, breiten Tüten aus recht kräftigem Plastik ziehen. Das dauert natürlich. Die Beiden sondern beißenden Gestank ab, der so schnell nicht aus dem fensterlosen Raum abziehen wird – der automatischen Türen wegen.

III

Zwei Wochen später. Eine andere, größere Stadt zwischen Aller und Elbe, ein ‚besserer‘ Supermarkt. Wieder eine stark stinkende Person am Rücknahme-Automaten, eine zierliche ältere Dame mit grauem Haar. Sie muß einmal sehr attraktiv gewesen sein. Ihr Haar klebt an ihrem Haupt, dürfte wenigstens zehn Tage nicht gewaschen worden sein. Alles an ihr ist speckig und klebt bei Berührung, so die Henkel einer der gewaltigen Plastiktüten, die berührt zu haben ein Mann mittleren Alters – Typus Handwerker – bedauert, nachdem er, der Dame helfend, die Angelegenheit vorantreiben wollte. Umgängliches Lächeln, ein Nicken zu mir, diskretes Abreiben der Finger. Der Einwurf stockt, weil die Frau am Automaten zunehmend fahriger wirkt und nicht zu verstehen scheint, weshalb – oder auch bloß: daß – der Automat die Annahme einiger Dosen oder Flaschen verweigert. Nach einigen Versuchen wird die Taste für den Pfandbon gefunden. Eine Verkäuferin eilt herbei: „Komm her, ich zahl es dir aus.“

Max Scheler: Ein Kurzportrait zum 150. Geburtstag
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Max Scheler: Ein Kurzportrait zum 150. Geburtstag

Max Scheler feiert 150. Geburtstag. Höchste Zeit also, ihn vor dem schlimmsten Los zu bewahren, das einem Denker drohen kann: zum Klassiker und folglich unschädlich gemacht zu werden.

Von allen Schriften Schelers empfiehlt sich zum Einstieg – und zu vielfachem Wiederlesen – seine rund 120 Seiten zählende Studie über Das Ressentiment im Aufbau der Moralen, deren erste Fassung unter dem Titel Ressentiment und moralisches Werturteil 1912 in Leipzig erschienen ist. 

Schelers Thema stammt von Nietzsche her, das Ressentiment als schöpferische Rache der Talent- und Charakterlosen, der Ungestalten und sonstwie Zukurzgekommenen an Gott und der Welt. Schöpferisch wird ihre Rache per Umwertung: sie stülpt die eigentliche Wertordnung um, so daß sie auf dem Kopf steht. Im Ergebnis gilt, wie in Deutschland leider sehr ausgeprägt, der Elegante als ‚flach‘, der Grobschlächtige als ‚authentisch‘, und Erfolgreiche werden als Leute verlacht, die psychische Defizite kompensieren.  

Schelers Ressentiment-Schrift modifiziert Nietzsches Standpunkt – gerade dort, wo jener, wie es in Ecce Homo heißt, „Dionysos gegen den Gekreuzigten“ antreten läßt. Das Christentum wird nun nicht mehr in Bausch und Bogen als Ausfluß des Ressentiments verurteilt. Für Scheler ist klar, „daß die Wurzel der christlichen Liebe von Ressentiment völlig frei ist – daß aber andererseits keine Idee leichter durch vorhandenes Ressentiment für dessen Tendenzen zu verwenden ist, um eine jener Idee entsprechende Emotion vorzutäuschen“. Wo wir beim Vortäuschen sind: Schelers Abhandlung besticht durch ihre Analyse der „Werttäuschungen“ als Folge von Ressentiment und Ursache beständigen Unglücks auf Seiten der Verbitterten, da die Täuschungen stets unvollständig bleiben. Die eigentlichen Werte sind, so Scheler, „noch da, aber gleichsam überdeckt von den Täuschungswerten, durch die sie nur schwach hindurchscheinen.“ Der Ressentiment-Mensch weiß, daß er in einer Scheinwelt lebt. Das mag das rasche Aufbrausen vieler unserer Gutmenschen erklären. 

Mit Schelers ‚Rettung‘ des Christentums öffnet sich eine faszinierende Rezeptionslinie. Karol Wojtyła, der spätere Johannes Paul II., verfaßt eine Habilitationsschrift über Scheler und variiert dort dessen Formel bezüglich des Christentums. Schelers Theorie sei – es folgt eine geraffte Übertragung des polnischen Originals – prinzipiell ungeeignet, um die christliche Ethik zu interpretieren, erweise sich jedoch als nützlich, wo es in der wissenschaftlichen Arbeit von Theologen darum gehe, ethische Phänomene und Erfahrungen zu analysieren. Aus Wojtyłas Habilitation allerdings sollte, den Realien in der Volksrepublik Polen geschuldet, nichts werden.

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Geschwurbel & Geschwätz

Geschwurbel & Geschwätz

Die grassierende Übellaunigkeit in der deutschsprachigen Welt (real und online) ließe sich vermutlich mildern, wenn wir davon absehen würden, unliebsame Meinungen als „Geschwurbel“, „Geschwätz“, „Gelaber“ usw. abzutun, von „Hass“ und „Hetze“ gar nicht erst zu sprechen. Wenn ein Mensch eine Auffassung äußert, der wir widersprechen möchten, kann das in würdiger Weise geschehen. Er sagt etwas, vertritt seine Sicht der Dinge, argumentiert so oder anders, folglich verdient er ein Gegenargument, eine Widerlegung ad rem (in der Sache), keine Beschimpfung, die seine Vernunftfähigkeit oder gar sein Menschsein in Abrede stellt.

Das ist doch nicht so schwierig. Und es würde dazu beitragen, das bisserl Kultur zu erhalten, welches uns geblieben ist.

(Beitragsbild: Francisco Goya, Bartolomé Sureda y Miserol, um 1803/1804 (Ausschnitt). National Gallery of Art (USA), gemeinfrei. )