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Stefan George und Wilhelm Röpke über – und gegen – die Massengesellschaft

Studia Neofilologiczne, X (2014), S. 35-52 (PDF)

Stefan George (1868-1933) führte verbalen „Krieg gegen das zur Masse gewordene Volk“[1]. Viele Gedichte namentlich des Spätwerks zeugen von seinem Widerwillen gegen die Großstadt und deren Einwohnerschaft; hinzu kommen einschlägige Äußerungen in Briefen und Gesprächen, soweit letztere von der Erinnerungsliteratur überliefert werden. Auch der Nationalökonom Wilhelm Röpke (1899-1966), dessen bekannteste Schriften – Die Gesellschaftskrisis der Gegenwart und Jenseits von Angebot und Nachfrage – über die Grenzen der Wirtschaftstheorie hinaus weit in die kultur- und staatsphilosophische Reflexion reichen, war der Massengesellschaft abhold. Wo zwei so unterschiedliche Persönlichkeiten den Griffel über ein- und dasselbe Problem führen, wird es interessant sein zu sehen, wie sich deren Bestandsaufnahmen und Therapie-Vorschläge gegeneinander verhalten. Ebendies soll im Folgenden geschehen.

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Mit Rudyard Kipling zum neuen Jahr (III): The Roman Centurion’s Song
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Mit Rudyard Kipling zum neuen Jahr (III): The Roman Centurion’s Song

Legate, I had the news last night – my cohort ordered home
By ships to Portus Itius and thence by road to Rome.
I’ve marched the companies aboard, the arms are stowed below:
Now let another take my sword. Command me not to go!

I’ve served in Britain forty years, from Vectis to the Wall,
I have none other home than this, nor any life at all.
Last night I did not understand, but, now the hour draws near
That calls me to my native land, I feel that land is here.

Here where men say my name was made, here where my work was done;
Here where my dearest dead are laid – my wife – my wife and son;
Here where time, custom, grief and toil, age, memory, service, love,
Have rooted me in British soil. Ah, how can I remove?

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Kultur zwischen Gewinnstreben, Nächstenliebe und Sozialstaat
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Kultur zwischen Gewinnstreben, Nächstenliebe und Sozialstaat

Epistemologische und ethische Katastrophen ereignen sich für gewöhnlich in den unausgesprochenen Zusatzannahmen. Einen beliebten Fehler bilden überstrenge Dichotomien, das ewige „Entweder-Oder“, wo es rein gar nichts zu suchen hat. Hören wir, um solcher Infantilerei abzuhelfen, ein wenig Wilhelm Röpke zu:

Daß […] den höchsten geistigen Leistungen das Gewinnmotiv keineswegs fremd ist, lehrt besonders eindringlich der Fall Goethes, der offenbar erst durch ein günstiges Angebot Cottas, seines Verlegers, den letzten Anstoß erhielt, seinen „Faust“ zu vollenden. Es war Schiller gewesen, der dieses Angebot hinter Goethes Rücken veranlaßt hatte, indem er an Cotta am 24. März 1800 schrieb: „Ich fürchte, Goethe läßt seinen „Faust“, an dem schon so viel gemacht ist, ganz liegen, wenn er nicht von außen und durch verlockende Offerten veranlaßt wird, sich noch einmal an diese große Arbeit zu machen und sie zu vollenden… Er rechnet freilich auf einen großen Profit, weil er weiß, daß man in Deutschland auf dieses Werk sehr gespannt ist. Sie können ihn, das bin ich überzeugt, durch glänzende Anerbietungen dahin bringen, dieses Werk in diesem Sommer auszuarbeiten“ […]. Die prompte Wirkung auf Goethe ist in seinem Brief an Schiller vom 11. April 1800 nachzulesen. Wer aber wollte deshalb das Gewinnmotiv schmähen!

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Mit Rudyard Kipling zum neuen Jahr (II): Norman and Saxon
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Mit Rudyard Kipling zum neuen Jahr (II): Norman and Saxon

My son,“ said the Norman Baron, „I am dying, and you will be heir
To all the broad acres in England that William gave me for share
When he conquered the Saxon at Hastings, and a nice little handful it is.
But before you go over to rule it I want you to understand this:–

„The Saxon is not like us Normans. His manners are not so polite.
But he never means anything serious till he talks about justice and right.
When he stands like an ox in the furrow – with his sullen set eyes on your own,
And grumbles, ‚This isn’t fair dealing,‘ my son, leave the Saxon alone.

Kipling fährt fort:

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Ideologiekritik an Brecht

Interview anläßlich der Veröffentlichung von „Stadt ohne Vernunft. Über die ideologischen Voraussetzungen des Theaterstücks ‚Der gute Mensch von Sezuan‘ von Bertolt Brecht“, zuerst erschienen in: Die Freie Welt.

FreieWelt.net: Sie haben eine Ideologiekritik aus liberaler Perspektive über das Stück der „Der gute Mensch von Sezuan“ von Bertolt Brecht verfasst. Warum gerade dieser Autor?

Karsten Dahlmanns: Der „Deutsche Bildungsserver“, ein Projekt von Bund und Ländern, bietet auf seiner Seite zum Fach Deutsch an prominenter Stelle Dossiers zu acht Schriftstellern und/oder Dichtern. Goethe fehlt, Brecht ist dabei. (Stand 24.03.2011)

Brecht zählt zu den Autoren, die an unseren Schulen gelesen werden. Damit entfaltet sein Werk eine größere Wirkung, als sie dem Schaffen eines Schriftsteller und/oder Dichters zukommt, der zwar geschätzt wird, aber im Regal bleibt. Im Falle des Ideologen Brecht bedeutet dies: Er kann mehr Übel anrichten.

FreieWelt.net: Und warum gerade dieses Stück?

Karsten Dahlmanns: Das Stück „Der Gute Mensch von Sezuan“ gefällt mir. Wie es geschrieben ist, beeindruckt mich. Deshalb habe ich es ausgewählt.

FreieWelt.net: Welche Kritikpunkte haben Sie an diesem Stück gefunden?

Karsten Dahlmanns: Das Stück arbeitet mit „Leerstellen“; es bezieht seine Suggestivkraft daraus, daß es gangbare Lösungen verschweigt. Das ist natürlich im Interesse des Marxisten Brecht, der seine Zuschauer von der Notwendigkeit einer Revolution überzeugen möchte.

Aus liberaler Sicht wirkt bemerkenswert, daß man alle diese „Leerstellen“ auffüllen kann: Nicht der böse, böse Kapitalismus schafft das Elend in Sezuan, sondern einzelne Fehlentscheidungen der jeweiligen Figuren. David S. Landes und Theodore Dalrymple würden in diesem Zusammenhang auf die Rolle der Kultur hinweisen – auf dasjenige, was Mephistopheles im Blick hat, wenn er sagt: „Wie sich Verdienst und Glück verketten, das fällt den Toren niemals ein“. So läßt sich schließlich zeigen, daß Sezuan mehr Kapitalismus bräuchte, um zu prosperieren.
Wenn ausgerechnet eine promarxistische Parabel dergleichen hergibt, sollte man auch die Gelegenheit nutzen, es (genüßlich) zu zeigen.

Weit ernster scheint mir, daß dem Stück eine besondere Hinterhältigkeit eignet, gegen die sich besonders Jugendliche nur schlecht zur Wehr setzen können, weil sie von den Stürmen erster Liebe hin- und hergeworfen werden. Brechts Stück handelt nämlich nicht lediglich von der Politik, sondern auch von der Liebe; der letztere Strang dient dem ersteren. Seine Schilderung der Liebe läßt sich kaum ertragen, eine solche Vergeblichkeit vermittelt sie. Die Suggestion des Proselytenmachers lautet: „Schaut her, im Kapitalismus läßt sich nicht lieben. Ihr jungen Liebenden müßt den Kapitalismus überwinden, um in Freiheit und Würde lieben zu können.“
Dieser Kniff ist nicht neu. Schon Marx hat sich seiner bedient, als er im „Kommunistischen Manifest“ die bürgerliche Ehe desavouiert hat. Später wird Erich Fromm mit ähnlichen Argumenten arbeiten. Vor alledem hat ein verantwortlicher Lehrer seine Schüler zu schützen.

FreieWelt.net: Worin liegen die Stärken des Stückes? Ist es aus Ihrer Sicht trotzdem große Literatur oder reine Ideologie?

Karsten Dahlmanns: Die Stärken des Stückes liegen in seiner Sparsamkeit. Brecht versteht es, mit wenigen Strichen ein Bildnis zu schaffen, mit sparsamen Mitteln eine bestimmte Atmosphäre fühlbar zu machen. Trotz aller Distanz, was den Gehalt angeht, kann ich mich dieses Reizes nicht entziehen. Deshalb halte ich es für große Literatur, auch wenn mir kürzlich ein Ordinarius der Germanistik mitgeteilt hat, daß „man“ jenem Stück inzwischen andere Werke Brechts vorziehe.

FreieWelt.net: Kann man bei Brecht den Dichter überhaupt von dem Ideologen trennen? Kann man sagen, es gibt einen guten Brecht, den Künstler und einen schlechten Brecht den kommunistischen Ideologen?

Karsten Dahlmanns: Es scheint mir keineswegs geboten, eine solche Trennung vorzunehmen. Popper folgend, kann Aberglaube – z. B. Astrologie – Forschung beflügeln. In ähnlicher Weise dürfte der Dichter Brecht vom Aberglauben des Ideologen Brecht angespornt worden sein. Das hat zur Größe des Dichters beigetragen, ihn aber auch beschränkt. Soll man das tragisch nennen? Vielleicht wäre ein Brecht ohne Ideologie größer, vielleicht geringer. Das bleibt unwägbar.

FreieWelt.net: Was machte den Marxismus für so viele Autoren so attraktiv?

Karsten Dahlmanns: Es sind wahrscheinlich jene beiden Elemente des Marxismus, die Leszek Kołakowski als „romantisch“ und „prometheisch“ bezeichnet. „Romantisch“ will auf Gemeinschaft hinaus. Das heißt, der Marxismus zieht Menschen an, die mit den „unpersönlichen“, „abstrakten“ und „kalten“ Eigenarten einer liberalen Gesellschaft hadern, weil sie weder deren freiheitsverbürgende Funktion begreifen, noch erkennen, daß man nur in einer solcherart gestalteten Gesellschaft Gemeinschaft finden und, nach Änderung seiner Präferenzen, wieder verlassen kann.
Mit der Bezeichnung „prometheisch“ weist Kołakowski auf Marx Überzeugung hin, daß bei rechter Handhabung des Sozialen alle anderen Probleme verschwinden würden. Damit bildet er eine Art Selbsterlösungslehre – und zugleich, wie Karl Popper und Helmut Schoeck ergänzen würden, die beste aller denkbaren Rechtfertigungen für intellektuelle Unduldsamkeit, Machthunger und Grausamkeit.
Wir müssen damit rechnen, daß intelligente, gebildete und schöpferische Menschen für eine Lehre, die solche Züge vereint, anfällig sind. Nicht im Sinne einer billigen Entlarvung des Zuschnitts „Alle Schriftsteller (Intellektuellen usf.) sind machthungrig“, wohl aber im Sinne einer Versuchung, der sie erliegen oder widerstehen können.

FreieWelt.net: Ist es ein Problem, dass Künstler, Schriftsteller und Intellektuelle den Diskurs prägen, die eigentlich gar nichts von Wirtschaft verstehen?
Glauben Sie, dass das einen Einfluss auf die Art und Weise hat, wie wir Wirtschaft und Gesellschaft beurteilen?

Karsten Dahlmanns: Das ist natürlich ein sehr ernstes Problem. Vor einigen Jahrzehnten hat Lord Snow über „die zwei Kulturen“ der Natur- und Geisteswissenschaftler gesprochen; wir können die Ökonomie als dritte Kultur hinzunehmen. Es wäre gut, sehr gut, wenn zwischen diesen drei Kulturen mehr Austausch stattfinden würde. Das Werk Wilhelm Röpkes beweist, wie fruchtbringend die Verbindung nationalökonomischer und geisteswissenschaftlicher Betrachtung sein kann.

Sicher besteht auf der geisteswissenschaftlichen Seite eine Art Schwellenangst vor der Ökonomie. Sie läßt sich – manchmal – überwinden, indem man darauf hinweist, daß Friedrich August von Hayek nicht selten sprachkritische Argumente gebraucht: „Ein Nationalökonom in den Gefilden eines Karl Kraus? Wer hätte das gedacht!“
Eine weitere Bresche läßt sich schlagen, wenn man darauf hinweist, daß der Philosoph Max Scheler und der Nationalökonom Ludwig von Mises gute Bekannte waren, von Mises mit „The Anticapitalistic Mentality“ ein Buch geschrieben hat, das in methodischer Hinsicht Schelers Studie „Das Ressentiment im Aufbau der Moralen“ sehr ähnelt.

FreieWelt.net: Ist es eigentlich ein Naturgesetz, dass Dichter und Künstler eher links stehen? Welche Autoren stehen aus Ihrer Sicht eher für das Ideal einer freien Gesellschaft?

Karsten Dahlmanns: Ein Naturgesetz sicher nicht. Ich würde, wie oben angedeutet, von Versuchung sprechen. Daß so viele Schriftsteller, Dichter und andere Künstler ihr erliegen, liegt zum einen an der Droge selbst, zum andern an der Schwäche der Gegenkräfte. Diese Schwäche resultiert nicht zuletzt daraus, daß das verbreitete Rechts-Links-Schema politischer Ideologien und Philosophien irreführend wirkt. Es wäre besser, alle diese Theorie-Vorschläge nach der Frage anzuordnen, welches Maß an Freiheit sie gewähren. Dann würden der „linke“ Kommunismus und der „rechte“ Nationalsozialismus sich zusammen am unteren Ende der Skala befinden.

Unter den Autoren, die für das Ideal einer freien Gesellschaft werben, möchte ich den vor einigen Jahren viel zu früh verstorbenen Dietrich Schwanitz nennen. Seinem Roman „Der Campus“ eignet weit größere Tiefe, als die burleske Oberfläche vermuten läßt; er ist eine fulminante Verteidigung von Rationalität (Wissenschaft); Freiheit, bürgerlichem Leistungswillen und Anstand.

FreieWelt.net: Wenn Sie ein Fazit ziehen sollten. Wenn wir die Ideologie und die historische Bedeutung einmal beiseite lassen, was wird von Brecht bleiben?

Karsten Dahlmanns: Brecht kann schreiben. Einige seiner Gedichte, manche Passagen aus seinen Stücken bestechen durch ihre sparsame und dichte Art. An allem Anderen wird man vorbeilesen.

Rudyard Kipling über die Tradition als Voraussetzung der Freiheit
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Rudyard Kipling über die Tradition als Voraussetzung der Freiheit

Rudyard Kiplings „The Gods of the Copybook Headings“ („Die Götter der Schönschreibheft-Sinnsprüche“) sind ein erstaunliches Gedicht. Es ist knapp hundert Jahre alt. Wie konnte der Dichter so viele der Torheiten vorhersehen, die wir in den vergangenen Jahrzehnten begangen haben?

As I pass through my incarnations in every age and race,
I make my proper prostrations to the Gods of the Market Place.
Peering through reverent fingers I watch them flourish and fall,
And the Gods of the Copybook Headings, I notice, outlast them all.

We were living in trees when they met us. They showed us each in turn
That Water would certainly wet us, as Fire would certainly burn:
But we found them lacking in Uplift, Vision and Breadth of Mind,
So we left them to teach the Gorillas while we followed the March of Mankind.

Bestimmte Einsichten und Empfehlungen locken keinen Hund hinter dem Ofen hervor – so selbstverständlich wirken sie. Vielen Menschen, besonders wenn sie jung sind, scheinen diese Maximen deshalb nichtssagend zu sein („Wasser macht naß“ etc.). Es fehlt ihnen das Erhebende und Orignelle („Uplift“, „Vision“ usw.); genau deshalb kann man mit vielen Auffassungen, die vernünftig sind, nicht renommieren. Auch erlauben sie nicht, uns für fortgeschrittener und also klüger als frühere Generationen zu halten („March of Mankind“)… Erkennen wir Köder und Falle?

We moved as the Spirit listed. They never altered their pace,
Being neither cloud nor wind-borne like the Gods of the Market Place;
But they always caught up with our progress, and presently word would come
That a tribe had been wiped off its icefield, or the lights had gone out in Rome.

Dergleichen ist geschehen, und es kann wieder geschehen.

With the Hopes that our World is built on they were utterly out of touch,
They denied that the Moon was Stilton; they denied she was even Dutch;
They denied that Wishes were Horses; they denied that a Pig had Wings;
So we worshipped the Gods of the Market Who promised these beautiful things.

Im Englischen gibt es die wunderbare Fügung „wishful thinking“, um eine bestimmte Form des Kindisch-Seins zu beschreiben, die uns allen immer wieder unterläuft. Das Deutsche ist gerade hier, an dieser für die Ethik und Staatskunst entscheidenden Stelle so viel ärmer! Auf Wünschen kann man nicht reiten, und Hoffnungen sind kein Fels, auf dem man bauen könnte; Hoffnung kann allenfalls dabei helfen, auf der Suche nach festem Grund nicht vorschnell aufzugeben.

When the Cambrian measures were forming, They promised perpetual peace.
They swore, if we gave them our weapons, that the wars of the tribes would cease.
But when we disarmed They sold us and delivered us bound to our foe,
And the Gods of the Copybook Headings said: „Stick to the Devil you know.“

Über die europäische (und deutsche) „Nachkriegsweisheit“ muß kaum ein Wort mehr verloren werden. Wir verlassen uns darauf, daß die Vereinigten Staaten von Amerika uns im Fall der Fälle heraushauen werden. Und verachten sie genau dafür.

On the first Feminian Sandstones we were promised the Fuller Life
(Which started by loving our neighbour and ended by loving his wife)
Till our women had no more children and the men lost reason and faith,
And the Gods of the Copybook Headings said: „The Wages of Sin is Death.“

Der „neue Mensch“ wollte nicht weniger als eine neue Welt gewinnen, und jetzt hat er sogar Schwierigkeiten damit, sich fortzupflanzen. Und er hat seinen Glauben und seine Vernunft verloren. Darüber lohnt nachzudenken. Die „Ehrfurcht vor dem Traditionellen“ ist, so Friedrich August von Hayek, „für das Funktionieren einer freien Gesellschaft unentbehrlich“.

In the Carboniferous Epoch we were promised abundance for all,
By robbing selected Peter to pay for collective Paul;
But, though we had plenty of money, there was nothing our money could buy,
And the Gods of the Copybook Headings said: „If you don’t work you die.“

Der Wohlfahrtsstaat beruht auf Diebstahl („robbing… Peter“), und er ist nur um den Preis chronischer Inflation zu haben. Allein Kiplings Hinweis, daß es nichts gebe, was unser Geld kaufen könne, muß nicht nur auf dessen Entwertung hinweisen. Hier mag auch dasjenige eine Rolle spielen, was Wilhelm Röpke „Langeweile in der Massengesellschaft“ nennt:

Die Menschen werden nicht nur als Produzenten, die typisierte Serienfabrikate in einer mehr und mehr mechanisierten Erzeugung herstellen, sondern auch als Konsumenten ihrer natürlichen Individualität entkleidet, da diese Serienerzeugnisse den individuellen Geschmack ignorieren müssen, während die Klasse derjenigen, die wohlhabend genug sind, die nicht über denselben Leisten geschlagenen Güter zu erwerben, dank einer von der erdrückenden Masse der Normalverbraucher erzwungenen Neidbesteuerung immer mehr zusammenschmilzt.

Kipling fährt fort:

Then the Gods of the Market tumbled, and their smooth-tongued wizards withdrew
And the hearts of the meanest were humbled and began to believe it was true
That All is not Gold that Glitters, and Two and Two make Four —
And the Gods of the Copybook Headings limped up to explain it once more.

Wir beginnen zu glauben, daß an den Weisheiten in den Schönschreibheften etwas dran sein könnte. Das heißt, die sich überlegen dünkenden Menschen aus Kiplings zwanzigstem und unserem einundzwanzigsten Jahrhunder tun das, was Tom Wolfe als Relearning beschrieben hat. Wir lernen, was Generationen vor uns wußten:

In 1968, in San Francisco, I came across a curious footnote to the hippie movement. At the Haight-Ashbury Free Clinic, there were doctors treating diseases no living doctor had ever encountered before, diseases that had disappeared so long ago they had never even picked up Latin names, diseases such as the mange, the grunge, the itch, the twitch, the thrush, the scroff, the rot. And how was it that they now returned? It had to do with the fact that thousands of young men and women had migrated to San Francisco to live communally in what I think history will record as one of the most extraordinary religious fevers of all time.

The hippies sought nothing less than to sweep aside all codes and restraints of the past and start from zero. At one point, the novelist Ken Kesey, leader of a commune called the Merry Pranksters, organized a pilgrimage to Stonehenge with the idea of returning to Anglo-Saxon’s point zero, which he figured was Stonehenge, and heading out all over again to do it better. Among the codes and restraints that people in the communes swept aside–quite purposely–were those that said you shouldn’t use other people’s toothbrushes or sleep on other people’s mattresses without changing the sheets, or as was more likely, without using any sheets at all, or that you and five other people shouldn’t drink from the same bottle of Shasta or take tokes from the same cigarette. And now, in 1968, they were relearning…the laws of hygiene…by getting the mange, the grunge, the itch, the twitch, the thrush, the scroff, the rot.

Aber zurück zu Kipling:

As it will be in the future, it was at the birth of Man —
There are only four things certain since Social Progress began: —
That the Dog returns to his Vomit and the Sow returns to her Mire,
And the burnt Fool’s bandaged finger goes wabbling back to the Fire;

And that after this is accomplished, and the brave new world begins
When all men are paid for existing and no man must pay for his sins,
As surely as Water will wet us, as surely as Fire will burn,
The Gods of the Copybook Headings with terror and slaughter return!

Wer atmet, dem steht auch dann, wenn er gesund ist, lebenslang Geld zu. Ob „Hartz IV“, „Bürgergeld“ oder „garantiertes Grundeinkommen“. Für das Brot und die Spiele. Keines weiteren Worts bedarf es, um in dieser Vorstellung den Gipfel der Dekadenz zu erkennen. Und zwar selbst dann, wenn nicht wieder Peter (und sein Nachwuchs bis in die x-te Generation) für den „kollektiven Paul“ zahlen müßte. Wobei überhaupt Peter, der ausgewählte („selected“) Peter, dort, wo die Schönschreibheft-Sinnsprüche auf taube Ohren stoßen, ganz offenbar der Einzige ist, der bestraft wird. Natürlich trifft es ihn nicht etwa deshalb, weil er eine Sünde oder sonstige Übertretung begangen hätte; schließlich wird wegen solcher Dinge niemand mehr ernsthaft bestraft, sondern „nur“ noch zu bessern versucht. Kipling durchdringt auch den Widersinn der pantherapeutischen Weltsicht, wie sie Theodore Dalrymple u.a. beschreiben, und erkennt sie als Symptom der Dekadenz, die er beschreibt. Peter wird ausgenommen, weil er (noch) geben kann.

Wie lange das so weitergehen kann und soll? Bis die Götter der Schönschreibheft-Sinnsprüche wiederkehren – mit Feuer und Schwert. Soviel zum Thema „vermeidbares Elend“.

***

Das Gedicht von Rudyard Kipling findet sich u.a. bei John Derbyshire, der es als Text und Hördatei bereithält. Auf Tom Wolfes Relearning-Topos bin ich durch Ed Driscoll aufmerksam geworden. Friedrich August von Hayeks Mahnung ist im vierten Kapitel, (sechster Abschnitt) von dessen „Die Verfassung der Freiheit“ enthalten. Wilhelm Röpke schreibt von der Langeweile in der Massengesellschaft im zweiten Kapitel seines Werkes „Jenseits von Angebot und Nachfrage“ (Inhaltsübersicht); das Zitat stammt von Seite 110 einer älteren Ausgabe (Erlenbach-Zürich u. Stuttgart 1966). Natürlich bildet Kiplings Strophe von der Rückkehr der Sinnspruch-Götter keine Endzeitphantasie, sondern „nur“ einen Hinweis auf die Folgen menschlicher Dummheit. (Hintergrund-Bild: Pixabay.)

Zbigniew Herbert, Rozmyślania Pana Cogito o odkupieniu
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Zbigniew Herbert, Rozmyślania Pana Cogito o odkupieniu

Zbigniew Herberts „Herrn Cogitos Gedanken über die Erlösung“ gefallen mir sehr.

Nie powinien przysyłać syna

zbyt wielu widziało
przebite dłonie syna
jego zwykłą skórę

zapisane to było
aby nas pojednać
najgorszym pojednaniem

zbyt wiele nozdrzy
chłonęło z lubością
zapach jego strachu

nie wolno schodzić
nisko
bratać się krwią

nie powinien przysyłać syna
lepiej było królować
w barokowym pałacu z marmurowych chmur

na tronie przerażenia
z berłem śmierci

„Er hätte den Sohn nicht zu uns senden sollen/zu Viele sahen/die durchschlagenen Hände des Sohnes/seine gewöhnliche Haut/ […] zu viele Nüstern/sogen mit Vergnügen ein/den Geruch seiner Angst/ […] er hätte den Sohn nicht zu uns senden sollen/besser wäre es wie ein König zu herrschen/in einem üppigen Palast aus marmornen Wolken/auf dem Thron des Entsetzens/mit dem Szepter des Todes“

Ein drohender Gott ist vielen leichter erträglich. Mit dem zu uns Gekommenen sind wir – ganz offenbar – nicht zufrieden.

Stefan George beschreibt, welche Sehnsüchte uns dabei treiben mögen:

Der Widerchrist

„Dort kommt er vom berge · dort steht er im hain!
Wir sahen es selber · er wandelt in wein
Das wasser und spricht mit den toten.“

O könntet ihr hören mein lachen bei nacht:
Nun schlug meine stunde · nun füllt sich das garn ·
Nun strömen die fische zum hamen.

Die weisen die toren – toll wälzt sich das volk ·
Entwurzelt die bäume · zerklittert das korn ·
Macht bahn für den zug des Erstandnen.

Kein werk ist des himmels das ich euch nicht tu.
Ein haarbreit nur fehlt · und ihr merkt nicht den trug
Mit euren geschlagenen sinnen.

Ich schaff euch für alles was selten und schwer
Das Leichte · ein ding das wie gold ist aus lehm ·
Wie duft ist und saft ist und würze –

Und was sich der grosse profet nicht getraut:
Die kunst ohne roden und säen und baun
Zu saugen gespeicherte kräfte.

Der Fürst des Geziefers verbreitet sein reich ·
Kein schatz der ihm mangelt · kein glück das ihm weicht..
Zu grund mit dem rest der empörer!

Ihr jauchzet · entzückt von dem teuflischen schein..
Verprasset was blieb von dem früheren seim
Und fühlt erst die not vor dem ende.

Dann hängt ihr die zunge am trocknenden trog ·
Irrt ratlos wie vieh durch den brennenden hof..
Und schrecklich erschallt die posaune.

Für George sind es die Sehnsüchte der Masse.

Welches Gedicht ist das stärkere? Von der Form kann gegenwärtig nicht die Rede sein, denn das Herbertsche Gedicht besitzt keine. Über den Inhalt läßt sich sagen: Herbert bleibt ganz im Privaten. George bewegt sich (wenigstens auch) im Politischen: Seine Verse durchzieht die Kritik an der Masse. Von Vielheit ist auch bei Herbert die Rede: „zbyt wielu“/“zbyt wiele“. Aber das sind eben „zu Viele“/“zu viele“, das kann jeder von uns sein. „Menge“ oder „Masse“ („toll wälzt sich das volk“) sind immer die Anderen…

Rudyard Kipling: Gestern vor knapp 800 Jahren
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Rudyard Kipling: Gestern vor knapp 800 Jahren

Rudyard Kiplings „The Reeds of Runnymede“ (Magna Charta, June 15, 1215) — mit einigen Hervorhebungen und Kommentaren.

At Runnymede, at Runnymede
What say the reeds at Runnymede?
The lissom reeds that give and take,
That bend so far, but never break.
They keep the sleepy Thames awake
With tales of John at Runnymede.

At Runnymede, at Runnymede,
Oh, hear the reeds at Runnymede: —
„You mustn’t sell, delay, deny,
A freeman’s right or liberty.
It wakes the stubborn Englishry,
We saw ‚em roused at Runnymede!

Rechte sind „negativ“; sie verbieten dem Staat und dem Mitbürger, dies und jenes mit einem Menschen zu tun. Und sie müssen verteidigt werden.

„When through our ranks the Barons came,
With little thought of praise or blame,
But resolute to play the game,
They lumbered up to Runnymede;
And there they launched in solid line
The first attack on Right Divine —
The curt, uncompromising ‚Sign!‘
That settled John at Runnymede.

„At Runnymede, at Runnymede,
Your rights were won at Runnymede!
No freeman shall be fined or bound,
Or dispossessed of freehold ground,
Except by lawful judgment found
And passed upon him by his peers.
Forget not, after all these years,
The Charter Signed at Runnymede.“

Rechte fallen nicht vom Himmel; sie müssen erkämpft werden.

And still when Mob or Monarch lays
Too rude a hand on English ways,
The whisper wakes, the shudder plays,
Across the reeds at Runnymede.
And Thames, that knows the moods of kings,
And crowds and priests and suchlike things,
Rolls deep and dreadful as he brings
Their warning down from Runnymede!

Die Herrschaft des Rechts (Rule of Law) darf nicht mit der Herrschaft der Mehrheit des Volkes verwechselt werden. Die Frage, wer herrschen soll, ist irreführend. Es geht darum, was herrschen soll: Ein Recht, das jeden einzelnen Bürger vor Staat und Mitbürgern schützt.