Harvey Mansfield über Texte in Texten
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Harvey Mansfield über Texte in Texten

Gönnen Sie sich ein Stündchen Zivilisation und hören Sie Harvey Mansfield zu, wie er über Philosophie und die Kunst der Philosophen plaudert, in ihren Schriften Hinweise zu verstecken, die anderen Philosophen die größte Freude bereiten.

(Bitte klicken Sie hier, um zu dem Film zu gelangen.)

Stefan George: Hannover, die „fahlste“ Stadt Deutschlands
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Stefan George: Hannover, die „fahlste“ Stadt Deutschlands

Ein Bekannter verdingte sich als Lohnschreiber bei einem Wochenblättchen. Einer seiner ersten (und, dank emsigen Aufwärtsstrebens bei beträchtlichem Talent, letzten) Marketing-Texte begann mit der gewaltigen Fügung: „Schon Goethe schätzte Wurst im Naturdarm.“

So habe denn nun ich das besondere Vergnügen, folgenden Satz in die virtuelle Welt zu meißeln: „Schon Stefan George lästerte über Hannover.“

(Den nicht-Hannoveranern sei hier am Rande mitgeteilt, daß die eigentlichen und auch die gottlob ehemaligen Bewohner der niedersächsischen Hauptstadt ein recht vielschichtiges Verhältnis zu dem spröden und erschütternd schmutzigen Konglomerat an Leine und Maschsee pflegen.)

Wie dem auch sei. Der Meister schrieb in seinem großen Gedicht „Der Krieg“, das, zuvor, und gänzlich unmeisterlich, als Sonderdruck vulgo Flugschrift kursierend, in den Band Das neue Reich einging:

Wo zeigt der Mann sich der vertritt? das Wort
Das einzig gilt fürs spätere gericht?
Spotthafte könige mit bühnenkronen ·
Sachwalter · händler · schreiber – pfiff und zahl.
Auch in verbriefter ordnung grenzen: taumel ·
Dann drohnde wirrsal .. da entstieg gestüzt
Auf seinen stock farblosem vororthaus
Der fahlsten unsrer städte ein vergessner
Schmuckloser greis .. der fand den rat der stunde
Und rettete was die gebärdig lauten
Schliesslich zum abgrundsrand gebracht: das reich ..

Da haben Sie’s: Hannover, die „fahlste“ aller Städte Deutschlands. Der Greis ist Paul von Hindenburg; das „farblose vororthaus“ sehen Sie oben – die Villa Köhler, hier als Villa Hindenburg bezeichnet.

Vielleicht trifft der downgrade, welchen der Dichter dem Domizil des Herrn von Hindenburg verpaßt hat, die Stadt am Rande mit; als ästhetisch-weltanschaulicher Kollateralschaden. Vielleicht war es gezielte und sauber dosierte Bösartigkeit. Wer kann das wissen – außer dem Meister?

*

Bildnachweis. Ein wenig mehr über George, von Hindenburg, die Villa Köhler in Hannover und das Gedicht „Der Krieg“ in meinem Aufsatz „Geist bei George. Beobachtungen“, in: Aneta Jachimowicz, Tomasz Żurawlew (red.), Geisteskultur zwischen Ästhetik und Poetik, Würzburg 2016.

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Leszek Kołakowski über die politische Kultur der Bundesrepublik Deutschland im zweiten Jahrzehnt des einundzwanzigsten Jahrhunderts

Aus den Dreizehn Fabeln aus dem Königreich Lailonien für groß und klein (13 bajek z królestwa Lailonii dla dużych i małych), im polnischen Original zuerst 1963 erschienen:

Über die Stadt Ruru herrschte der gestrenge Gott Maior. Der Gott Maior hatte ein eigenes Gesetz erlassen, dem sich alle fügen mußten. In den Verordnungen des Gottes hieß es unter anderem:

I. Man muß wissen, daß alles, was für die Menschen unten, für Gott oben ist, und – umgekehrt – was für die Menschen oben, für Gott unten ist.

II. Wer verneint, daß für Gott alles unten ist, was für die Menschen oben ist –  und umgekehrt -, wird in die Hölle gestoßen. Wer aber nach dem Gesetz handelt, kommt in den Himmel.

III. Wer auf Erden nicht irrt, der kann sich auch nach dem Tode nicht irren, aber wer auf Erden irrt, der kann sich auch nach dem Tode nicht bessern.

Der Gott Maior erließ noch andere Verordnungen, doch diese drei waren die wichtigsten. Sie wurden allen Menschen verkündet, damit später niemand zu seiner Entschuldigung sagen könne, er habe nichts davon gewußt. Fast alle, die zuhörten, wiederholten laut, daß alles, was für sie oben, für Gott unten sei und umgekehrt; schließlich wollte keiner in die Hölle kommen. Übrigens galt es, den Wortlaut dieser Gesetze möglichst häufig zu wiederholen, um solcherart zu zeigen, daß man ihn kenne, und um sich bei Gott in Erinnerung zu bringen. Wenn also zum Beispiel ein Lehrer den Kindern in der Schule erklärte, daß die Bäche zu Tal fließen, fügte er sogleich hinzu: „Für Gott aber fließen sie den Berg hinauf.“ […] Deutete einer auf einen Vogel, der in die Höhe flog, hatte er zugleich zu betonen, für Gott fliege der Vogel nach unten usw. Mit der Zeit gewöhnten sich die Menschen an diese Art zu sprechen, ja, sie waren sogar zufrieden damit, denn je öfter sie dies taten, desto sicherer waren sie, daß der Gott Maior sie nach ihrem Tode zu sich nähme.

(Zitiert nach der – meinerseits veränderten – Übersetzung von Mikołaj Dutsch; in: Leszek Kolakowski, Der Himmelsschlüssel, München 1992, S. 163-164. Dutsch‘ Übertragung wurde anhand des Originals durchgesehen und überarbeitet. Original: Leszek Kołakowski, 13 bajek z królestwa Lailonii dla dużych i małych oraz inne bajki, Warszawa 1998, S. 47-48. Bild: Niederländisches Nationalarchiv, via Wikimedia Commons.)

Zbigniew Herbert: Mój ojciec (in deutscher Übersetzung)
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Zbigniew Herbert: Mój ojciec (in deutscher Übersetzung)

Mój ojciec bardzo lubił France’a
i palił Przedni Macedoński
w niebieskich chmurach aromatu
smakował uśmiech w wargach wąskich
i wtedy w tych odległych czasach
gdy pochylony siedział z książką
mówiłem: ojciec jest Sindbadem
i jest mu z nami czasem gorzko

przeto odjeżdżał Na dywanie
na czterech wiatrach Po atlasach
biegliśmy za nim zatroskani
a on się gubił W końcu wracał
zdejmował zapach kładł pantofle
znów chrobot kluczy po kieszeniach
i dni jak krople ciężkie krople
i czas przemija lecz nie zmienia

na święta raz firanki zdjęto
przez szybę wyszedł i nie wrócił
nie wiem czy oczy przymknął z żalu
czy głowy ku nam nie odwrócił
raz w zagranicznych ilustracjach
widziałem jego fotografię
gubernatorem jest na wyspie
gdzie palmy są i liberalizm

*

Mein Vater liebte Anatole France
und rauchte Selbstgedrehte
in den himmelfarbenen Duft-Wolken
schmeckte ihm sein Lächeln auf den schmalen Lippen
und damals in diesen weit zurückliegenden Zeiten
als er gebeugt saß über einem Buch
sagte ich: Vater ist ein Sindbad
und mit uns ist es ihm manchmal bitter

weshalb er aufbrach Auf dem Teppich
auf allen Winden Durch die Atlanten
rannten wir ihm nach voller Sorge
doch er blieb verloren Am Ende kehrte er zurück
legte den Duft ab schlüpfte in die Pantoffeln
aufs neue das Geräusch der Schlüssel in den Taschen
und Tage wie Tropfen schwere Tropfen
und die Zeit vergeht aber sie verändert nicht

einmal vor den Feiertagen nahmen wir die Gardine ab
da ging er durch die Scheibe hinaus und kehrte nicht wieder
ich weiß nicht ob er bedauernd die Augen halb schloß
ob er sein Haupt nicht uns zuwandte
einmal in einer ausländischen Illustrierten
habe ich sein Bildnis gesehen
er ist Gouverneur auf einer Insel
wo es Palmen gibt und Liberalismus

***

Nach: Anna Rajca, Jerzy Polanicki, Poezja polska od średniowiecza do współczesności, Warszawa 2001, S. 561.

Wer, des Polnischen nicht mächtig, den Klang des Originals hören möchte, findet hier eine Lesung durch den Schauspieler Marek Kondrat. Eine vertonte Version hier.

Konstanty Ildefons Gałczyński: Rozmowa liryczna (in deutscher Übersetzung)
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Konstanty Ildefons Gałczyński: Rozmowa liryczna (in deutscher Übersetzung)

– Powiedz mi, jak mnie kochasz.
– Powiem.
– Więc?
– Kocham cie w słońcu. I przy blasku świec.
Kocham cię w kapeluszu i w berecie.
W wielkim wietrze na szosie, i na koncercie.
W bzach i w brzozach, i w malinach, i w klonach.
I gdy śpisz. I gdy pracujesz skupiona.
I gdy jajko roztłukujesz ładnie
nawet wtedy, gdy ci łyżka spadnie.
W taksówce. I w samochodzie. Bez wyjątku.
I na końcu ulicy. I na początku.
I gdy włosy grzebieniem rozdzielisz.
W niebezpieczeństwie. I na karuzeli.
W morzu. W górach. W kaloszach. I boso.
Dzisiaj. Wczoraj. I jutro. Dniem i nocą.
I wiosną, kiedy jaskółka przylata.
– A latem jak mnie kochasz?
– Jak treść lata.
– A jesienią, gdy chmurki i humorki?
– Nawet wtedy, gdy gubisz parasolki.
– A gdy zima posrebrzy ramy okien?
– Zimą kocham cię jak wesoły ogień.
Blisko przy twoim sercu. Koło niego.
A za oknami śnieg. Wrony na śniegu.

*

„Sag mir, wie Du mich liebst.“
„Werd’ ich.“
„Also?“
„Ich liebe Dich in der Sonne. Und im Licht der Kerzen.
Ich liebe Dich im Hut und in der Baskenmütze;
Im starken Wind auf der Straße und im Konzertsaal,
In Fliedern und unter Birken, in Himbeersträuchern und unter Ahornbäumen.
Und wenn Du schläfst. Und wenn Du konzentriert arbeitest.
Und wenn Du Dein Frühstücksei so schön aufschlägst
Sogar dann, wenn Dir der Löffel herunterfällt.
Im Taxi. Und im Auto. Ohne Ausnahme.
Und am Anfang der Straße. Und an deren Ende.
Und wenn Du Deine Haare mit dem Kamm teilst.
In der Gefahr. Und auf dem Karussell.
Im Meer. In den Bergen. In Pantoffeln. Und barfuß.
Heute. Gestern. Und morgen. Tags und in der Nacht.
Und im Frühling, wenn die Schwalben kommen.“
„Und sommers, wie liebst Du mich da?“
„Wie das Wesen des Sommers.“
„Und im Herbst, wenn es Schauer und Launen gibt?“
„Sogar dann, wenn Du den Schirm verbaselst.“
„Und wenn der Winter die Fensterrahmen silbern überzieht?“
„Im Winter liebe ich Dich wie ein lustiges Feuerchen.
Ganz nah an Deinem Herzen. Bei ihm.
Und draußen vor den Fenstern Schnee, Krähen auf ihm.“

***

Nach: Anna Rajca, Jerzy Polanicki, Poezja polska od średniowiecza do współczesności, Warszawa 2001, S. 447.

Mit Rudyard Kipling zum neuen Jahr (IV): Recessional
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Mit Rudyard Kipling zum neuen Jahr (IV): Recessional

God of our fathers, known of old,
Lord of our far-flung battle-line,
Beneath whose awful Hand we hold
Dominion over palm and pine
Lord God of Hosts be with us yet,
Lest we forget – lest we forget!

The tumult and the shouting dies;
The Captains and the Kings depart:
Still stands Thine ancient sacrifice,
An humble and a contrite heart.
Lord God of Hosts, be with us yet,
Lest we forget – lest we Forget!

Far-called, our navies melt away;
On dune and headland sinks the fire:
Lo, all our pomp of yesterday
Is one with Nineveh and Tyre!
Judge of the Nations, spare us yet,
Lest we forget – lest we Forget!

If, drunk with sight of power, we loose
Wild tongues that have not Thee in awe,
Such boastings as the Gentiles use,
Or lesser breeds without the Law
Lord God of Hosts, be with us yet,
Lest we forget – lest we Forget!

For heathen heart that puts her trust
In reeking tube and iron shard,
All valiant dust that builds on dust,
And guarding, calls not Thee to guard,
For frantic boast and foolish word
Thy mercy on Thy People, Lord!

A lesser breed without the Law – das sind wir seit dem Ende der Rechtsstaatlichkeit par ordre de Mutti. Boastings, drunk with sight of power – die haben wir gehört: „Wir schaffen das!“ Thy mercy on Thy People, Lord!

Jan Twardowski: Do kaznodziei
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Jan Twardowski: Do kaznodziei

Jan Twardowskis „Do kaznodziei“ (An einen Prediger) gefällt mir außerordentlich gut. Besonders diese Stelle:

Mów o częstej komunii z Chrystusem
złotych sercach bijących w ukryciu,
z katechizmu o cnotach najprościej,
i że grzechy przeciwko nadziei
są tak ciężkie jak przeciw miłości

Nie o śmierci mów z ambony o życiu
O żonie szukającej z lampą w ręku
igły zagubionej w ciemny wieczór,
żeby mąż nie miał skarpet podartych-
wczesnej wiosny na piętach nie czuł

Das ist: „Sprich über die häufige Kommunion mit Christus / über Herzen von Gold, die im Verborgenen schlagen / über die Tugenden aus dem Katechismus so einfach wie möglich / und darüber, daß Sünden gegen die Hoffnung / so schwer wiegen wie solche gegen die Liebe // Nicht über den Tod sprich von der Kanzel, sondern über das Leben / Über die Frau, die mit der Lampe in der Hand / am dunklen Abend die verschwundene Nadel sucht / damit ihr Gemahl keinen löchrigen Strumpf habe / die Kälte des Vorfrühlings nicht an der Ferse fühle“

Können wir uns ein schöneres Bild denken selbstverständlicher, verläßlicher und tiefer ehelicher Liebe?

Soviel zu Thanksgiving 2015.