|

Fürbitten-Kitsch

Den vielleicht heikelsten Moment einer heiligen Messe bilden die Fürbitten. Kürzlich erst durfte man – während einer deutschsprachigen Meßfeier in Krakau, aber das tut wenig zur Sache – hören, daß die Wohlhabenden doch bitte das Teilen lernen möchten. Wie banal und dumm das ist – wo doch im europäischen Teil dessen, was wir „den Westen“ zu nennen pflegen, Steuerquoten herrschen, die spätestens dann, wenn die indirekten Steuern einschließlich Inflation mitgerechnet werden, vom Lohn, Gehalt oder Sold des durchschnittlichen oder auch etwas wohlhabenderen Mitteleuropäers gewaltige Stücke abzwacken. Die Guten müssen nicht das Teilen lernen, weder in Polen, noch in Deutschland, Frankreich oder Großbritannien. Das Teilen wird für sie von Staats wegen erledigt. Eher müßten sie das Behalten und Für-die-eigene-Familie-Nutzen lernen: nachhaltigen Wohlstand für sich selbst und ihre Kinder und Kindeskinder anzulegen. (Um Letzteres mag es der festeren Familienbindung wegen in Polen besser stehen als in den anderen genannten Staaten.)

Nun möchte mancher den Einwand führen, es gehe nicht um Verdienst und Einkünfte, sondern um Wohlstand. Dergleichen wirkt mehr als drollig. Wo kommt es denn her, das Geteilte oder noch zu Teilende? Fällt es wie Manna vom Himmel? Nein, es wird erwirtschaftet. Und da das Erwirtschaftete heftig besteuert wird, wird „großzügiges“ Teilen staatlicherseits vorgenommen, bevor an private Barmherzigkeit überhaupt gedacht werden kann. – Hier sehen wir den unter Intellektuellen recht beliebten Trick, den Wohlstand von dessen Genese zu isolieren, um sogleich zu mehr oder minder geistreichen Reflexion über Prinzipien voranzuschreiten, nach denen er „verteilt“ werden solle. Daß solche Kniffe wirtschaftliche Erträge schlankerhand konfiszieren und sozialisieren – vulgo: ihren Besitzern wegnehmen -, während im Vollgefühl der eigenen Güte, gegebenenfalls auch Christlichkeit gesprochen wird, verdient kopfschüttelnd-kritische Aufmerksamkeit. Barmherzigkeit aus anderer Leute Taschen?

Wie arg die Dinge in Deutschland liegen, zeigt eine Passage aus Paul Kirchhofs Der sanfte Verlust der Freiheit (Wien 2004). Darin trägt ein Kapitel doch tatsächlich die Überschrift: „Der Steuerpflichtige darf mindestens die Hälfte behalten“.  Wie Kirchhof auf die Hälfte kommt? Er beruft sich auf das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, in dem über das Eigentum festgestellt wird, es solle „zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Aus diesem Passus wird das Wort „zugleich“ herausgegriffen und im Sinne eines Fifty-Fifty interpretiert:

Der Eigentumsgebrauch begründet „zugleich“, das heißt in gleicher Weise, zu gleichen Teilen, einen privatnützigen Ertrag und eine steuerliche Gemeinlast. (S.33)

Dies ist ein bemerkenswerter Gebrauch von „zugleich“. Die meisten Muttersprachler dürften über eine solche Verwendung überrascht sein; zwar wird sie bei Duden verzeichnet, aber lediglich als eine Möglichkeit unter vielen anderen, die sich weit größerer Verbreitung erfreuen – etwa im Sinne eines schlichten „auch“.  Außerdem, und das ist ein fundamentales Defizit, scheinen Staatsrechtler, die derart argumentieren, ihren Mandeville vergessen zu haben. Tröstlicherweise konstatiert Kirchhof:

Die Obergrenze in der Nähe hälftiger Teilung betrifft die Gesamtsteuerlast, muss also nach Addition von direkten und indirekten Steuern gewahrt bleiben.“ (S. 34)

Über die kulturellen Folgen dieser beständigen Konfiskation unterrichtet Wilhelm Röpke.

Eine weitere Kategorie von dämlichen Fürbitten ist mir in einer Gegend aufgestoßen, wo viele Berg- und Hüttenwerke betrieben werden; es möge den Kumpels und Hüttenarbeitern ein gerechter Lohn gezahlt werden. Was für ein schönes Beispiel für die Einbildung, etwas zu wissen, wo man nichts wissen kann. Wie hoch nämlich soll er denn sein, der „gerechte“ Lohn? Wer will so etwas bestimmen? Und nach welchen Maßgaben? Wie würde das (sehr wahrscheinlich) kaum übersehbare Geflecht von Subventionen, staatlichen Beteiligungen etc. dabei zu berücksichtigen sein? – Die genannte Fürbitte hat keinen feststellbaren Gehalt, sofern keinem bösen, bösen Marktradikalismus das Wort geredet werden soll.

Und: Natürlich haben staatliche Eingriffe ihre Tücken, nämlich ungewollte Konsequenzen. Wenn Republik X den gesetzlichen Mindestlohn anhebt, um den weniger Begüterten unter ihren Bürgern zu helfen, werden z.B. die Burger- und sonstigen günstigen Restaurants teurer. Oder Mitarbeiter werden durch Maschinen ersetzt, z.B. Bestell-Automaten. Beides dürfte kaum jemanden schmerzen – außer ebenjenen weniger Begüterten.

Mehr lesen „Fürbitten-Kitsch“
Schönes Beispiel für die Wirkung von Anti-Fake-News-Gesetzen
|

Schönes Beispiel für die Wirkung von Anti-Fake-News-Gesetzen

Jennifer Wright in The New York Post:

If you don’t allow for investigative journalism, people die. There’s no clearer time to witness this fact than during 1918 when the Spanish Flu broke out.

The Spanish Flu was no ordinary illness. While most flu viruses attack the elderly and the very young, the Spanish Flu produced a reaction called a cytokine storm that essentially turned healthy immune systems against themselves. In under two years, it would kill somewhere between 20 million to 50 million people worldwide. But if you’ve never heard of it, don’t worry — that’s because journalists were afraid to report on it.

The plague broke out during WWI after a morale law had been put in place in 1917. The law dictated that journalists shouldn’t report anything negative about the US government that might demoralize the populace — for instance, that a disease was spreading through the populace that they had no idea how to combat. If you defied the law, you could go to jail for up to 20 years. The epidemic was called the Spanish Flu not because it originated there (it most likely came from Kansas) but because Spanish newspapers, who had no such laws, reported on it with great frequency as early as May 1918.

Zum Begriff des Populismus

Zum Begriff des Populismus

„Populismus“ ist ein Kampfbegriff. Er dient nicht zur sachbezogenen Auseinandersetzung über Probleme und Chancen unseres Gemeinwesens, sondern dazu, den Gesprächspartner abzutun. Die Bezeichnung insinuiert, daß jemand zu sehr auf dasjenige höre, was an den sprichwörtlichen Stammtischen geredet werde, oder daß er gar an einem dieser Schreckensmöbel Platz zu nehmen pflege. In beiden Fällen wird er von der kultivierten, höflichen und gebildeten Gesellschaft für untauglich gehalten, ihre Kreise zu segnen. Und das selbst dann, wenn es mit jener Bildung nach so-und-so viel Jahren Reform-Uni nicht mehr weit her sein sollte.

Der Begriff „Populismus“ zeigt, das muß man anerkennen, recht spinnenhafte Züge: Wer gegen ihn antritt, nähert sich der Gefahr, selbst für einen von „denen“ gehalten zu werden. Da wirkt es erfrischend, wenn einige dem Vorwurf des Rechtspopulismus schlankerhand den Gegen-Vorwurf des Linkspopulismus entgegensetzen. Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil!

Allerdings läßt sich damit nicht das Eigentliche treffen, das den Kampfbegriff „Populismus“ so wirksam macht. Dessen Wucht nämlich verdankt sich einer Unterscheidung, von der Arthur Rosenberg in seinem Buch Demokratie und Sozialismus unterrichtet:

Endlich erschien die erste Schar der aufständischen Sieger [in der französischen Nationalversammlung], aber schüchtern, wie manchmal Arbeiter in ungewohnter Umgebung sind, taten sie nichts Böses. Da rief ein republikanischer Journalist: „Das ist ja das falsche Volk, ich werde das richtige holen!“ (1988, S. 18)

Der Populismus-Vorwurf unterscheidet zwischen dem „richtigen Volk“, d.h. jenem, das sich so entscheidet, so wählt etc., wie es die jeweilige Elite braucht, und dem „falschen Volk“. So einfach ist das. Entsprechen Ihre Ziele und Wünsche, Vorhaben und Mittel demjenigen, was die etatistisch und ökologistisch eingestellten Meinungsführer der Bundesrepublik Deutschland wollen, sind sie „verantwortlicher Bürger“, „kultiviert“ usf. – Weichen Ihre Vorstellungen mehr als marginal von diesem Kodex ab, sind Sie „Rechtspopulist“, Spinner oder Schlimmeres.

Der zugrundeliegende Mechanismus läßt sich sehr schön an den Kolumnen von Hermann L. Gremliza beobachten, der über viele Jahre als Herausgeber der (sehr) linken Zeitschrift Konkret wirkte. Nachdem die DDR auf der Müllhalde der Geschichte gelandet war, rechnete Gremliza mit den Deutschen ab. Das waren ja nun alles „Verräter“, mit denen sich kein Sozialismus bauen ließ. Jedenfalls keiner, wie Gremliza sich ihn vorstellte.

Es läßt sich tatsächlich nicht bestreiten, daß dies Volk, dem es noch nie, wenn auch auf unterschiedliche Weise, besser gegangen ist als in der BRD und in der DDR, mit dem Studium von Automobilprospekten zu sehr beschäftigt ist, um nicht den Eindruck zu erwecken, es sei zivilisiert, friedlich und vernünftig geworden. Nur in existenziell ausweglosen Krisensituationen, wenn also eine Fußballweltmeisterschaft gewonnen ist oder zwanzig rumänische Flüchtlinge ins Dorf kommen, blitzt durch die aufgeschlitzte Levis des konsumfreudigen Citoyens das alte braune Sitzfleisch. („Scheiß Deutschland“ (1990), Ein Volk gibt Gas, 1992, S. 34)

Hier haben wir alles wie auf dem Silbertablett: Ein verbitterter alter Kommunist klagt über seine Landsleute, weil sie sich den paternalistischen Bemühungen seiner Genossen in der DDR gegenüber undankbar zeigen, obschon es ihnen „besser gegangen ist“ als jemals. Er wirft ihnen Konsum-Orientierung vor („Studium von Automobilprospekten“, „Levis“), stellt aber auch fest, daß diese Konsum-Orientierung sie nur scheinbar, allenfalls oberflächlich zivilisiert habe (das Volk erweckt „den Eindruck…, es sei zivilisiert“ etc.). Es bedürfe lediglich einer größeren Sportveranstaltung oder kleineren Krise („zwanzig rumänische Flüchtlinge“) , und der nationalistische Furor der Deutschen breche wieder hervor. Denn unter dem dünnen Firnis zivilisatorischer Art seien die Landsleute Gremlizas Nazis geblieben („das alte braune Sitzfleisch“).

Augenmerk verdient der apodiktische Charakter von Gremlizas Kolumne, die übrigens zweiundzwanzig Monate vor den Ereignissen in Rostock-Lichtenhagen erschienen ist. Es geht ihrem Verfasser nicht um Einzelereignisse, sondern um Totalverwerfung. (Dergleichen wurde sogar Peter Hacks zuviel; vgl. Gremliza, „Der saubere Blockwart“ (1990), Ein Volk gibt Gas, 1992, S. 43.)

Was haben wir also vor uns? Ein großes, lautes „Ich mag Euch nicht mehr, weil Ihr nicht nach meinen Regeln spielen wollt!“ Geboren aus der Verbitterung des „klassischen“ Linken, dem die Arbeiterklasse weggelaufen ist.

Derselbe Mechanismus liegt dem Populismus-Vorwurf zugrunde. Auch dort wirkt ein großes, lautes „Ich mag Euch nicht mehr, weil Ihr nicht nach meinen Regeln spielen wollt!“ Geboren aus der Verbitterung des Sozial- oder Christdemokraten, Grünen oder Vertreters dessen, was man immer noch, vage natürlich, als Neue Linke bezeichnen darf, dem die Schäfchen weggelaufen sind.

Wie gesagt: „Das ist ja das falsche Volk, ich werde das richtige holen!“

(Bild: Winslow Homer, The Life Line, Wikimedia Commons.)

|

Nafri vs. Nazi

In dem Kindergarten, der einstmals die Bundesrepublik Deutschland war, wird neuerdings über die Bezeichnung „Nafri“ gestritten. Sie sei rassistisch, wenigstens aber pauschalisierend.

Ferner wurde kritisiert, daß die Polizei „südländisch“ anmutende Personen überprüft, auch festgehalten habe. Man dürfe sich nicht am Erscheinungsbild von Menschen orientieren; auch das sei rassistisch, entmenschlichend, wenigstens aber pauschalisierend.

So also sieht er aus, der Lohn dafür, daß es der deutschen Polizei an Silvester mit viel Aufwand gelungen ist, sexuelle Übergriffe und sonstige Gewalttaten vor dem Dom in Köln und an anderen prominenten Orten zu verhindern. (Zu einschlägigen Übergriffen kam es anderswo in Deutschland und auch Österreich.)

Wunderbar: Tust du nix, bist du Versager. Tust du was – und mit Erfolg -, bist du Rassist. Das sind die (bislang) schönsten Blüten gutmenschlicher Dialektik.

Daß zuweilen der Eindruck von Rassismus entstehen kann, wo andere Größen wirken – kulturelle Unterschiede etwa, das Verhältnis zu Bildung und Arbeit, Achtung vor Frauen -, versteht sich dabei von selbst. Eben deshalb muß man es immer und immer wieder unterstreichen.

Und: Das ewige Pauschalisieren gegen Pauschalisierungen langweilt. Man sollte sich eingestehen, daß Vorurteile durchaus vernünftig sein können. Es kommt lediglich darauf an, sie fallibel zu halten – d.h. sie zu revidieren, wo die Erfahrungswirklichkeit dazu Anlaß gibt.

Darüber hinaus gilt: Seit wann haben denn all die Weltverbesserer, ob Linke oder Grüne, ein Problem mit Pauschalisierungen? Wer beschimpft Andersmeinende als „Populisten“, erhebt sich über deren „Stammtischparolen“, nennt besorgte Bürger der Bundesrepublik „Nazis“? Von „Pack“ ganz zu schweigen.

Tu quoque, Gutmenschle!

— Richtig, auch ich pauschalisiere. Doch habe ich eben nichts gegen Pauschalisierungen, jedenfalls nicht dort, wo keine empirischen Gründe gegen sie sprechen (s.o.).

Aha, und natürlich pauschalisiert ebenfalls so mancher Großschriftsteller und Dichter, an dessen Lektüre sich unsere grünen und sonstigen Bessermenschen mit strahlenden Augen erinnern. Zur bête noire gereicht nur allzuoft der „Bürger“. Jedenfalls dort, wo er nicht als Volltrottel belächelt wird. Wer daran zweifelt, möge mal wieder in seiner Hesse-Ausgabe blättern.

Pauschalisierung allerorten.

Ups, das war schon wieder eine.

Höchste Zeit also, erwachsen zu werden.

|

Zur Frage sog. „Fake News“ bemerkte schon 1914…

…das preußische Kriegsministerium:

Die im Auftrage Seiner Majestät des Kaisers von dem Reichskanzler geleitete auswärtige Politik darf in dieser kritischen Zeit, die über ein Jahrhundert entscheidet, durch keine offene und versteckte Kritik gestört und behindert werden.

Quelle: Schreiben des preußischen Kriegsministeriums an die Militärbefehlshaber: Übermittlung und Erläuterung der Ergänzungen des Merkblattes für die Presse, 9. November 1914, Bundesarchiv/Militärarchiv, Freiburg i. Br., MA/RMA, Nr. 2049, XVII. 1. Mai 1933, Bd. 1, Abschrift.

H/T: Edlef Köppen, Heeresbericht (Antikriegsroman, erschienen 1930), wo dieses Dokument im ersten Kapitel zitiert wird.

Thomas Sowell: „Diversity“ und Antisemitismus
|

Thomas Sowell: „Diversity“ und Antisemitismus

Der in Deutschland viel zu wenig bekannte Nationalökonom Thomas Sowell berichtet über die antisemitischen Ursprünge des Begriffs „Diversity“. Damit erhalten wir einen weiteren Grund, uns von dieser fatalen Phrase nicht irremachen zu lassen:

Although diversity has become one of the leading buzzwords of our time, it has a history that goes back several generations. In the early twentieth century, the principle of geographic diversity was used to conceal bias against Jews in the admission of students to Harvard and other leading academic institutions.

Because the Jewish population was concentrated in New York and other east coast communities at that time, quota limits on how many Jewish students would be admitted were concealed by saying that Harvard wanted a diverse student body, consisting of students from around the Country.

Therefore some highly qualified Jewish applicants could be passed over, in favor of less qualified applicants from the midwest or other regions of the Country.

Das ist: Obwohl „Diversity“ eine der vorherrschenden Kampfbegriffe unserer Zeit ist, verfügt er über eine Geschichte, die mehrere Generationen zurückreicht. Im frühen zwanzigsten Jahrhundert wurde das Prinzip geographischer „Diversity“ gebraucht, um Mißgunst gegen Juden zu verdecken, die sich um die Aufnahme an die Universität von Harvard oder andere führende Hochschulen bewarben.

Da zu jener Zeit amerikanische Juden vor allem in New York und anderen Städten an der Ostküste wohnten, wurden Quoten festgelegt, die bestimmten, wie viele jüdische Studenten zugelassen wurden. Diese Quoten wurden durch die Behauptung bemäntelt, man wünsche eine Studentenschaft, die von „Diversity“ gekennzeichnet sei, das heißt aus allen Gegenden der Vereinigten Staaten stamme.

Mit dieser Begründung konnten einige hochqualifizierte jüdische Bewerber übergangen werden, um weniger qualifizierte Bewerber aus dem mittleren Westen oder anderen Landstrichen der USA aufzunehmen.