Stil im Alltag

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    Stefan George (12.07.1868-4.12.1933)

    Heute vor einhundertfünfzig Jahren wurde Stefan George geboren. Ein Leserbrief-Schreiber auf der Achse des Guten fragt, warum er lesen solle, was „dieses unverständliche, mystisch überzogene Ego“ verfaßt habe.  Nun, darum vielleicht:

    Sie sagen dass bei meinem sang die blätter
    Und die gestirne beben vor entzücken ·
    Dass die behenden wellen lauschend säumen ·
    Ja dass sich menschen trösten und versöhnen.
    Erinna weiss es nicht · sie fühlt es nicht.
    Sie steht allein am meere stumm und denkt:
    So war Eurialus beim rossetummeln
    So kam Eurialus geschmückt vom mahle –
    Wie mag er sein bei meinem neuen liede?
    Wie ist Eurialus vorm blick der liebe?

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    Max Scheler: Staat und Kunst

    Ein kluges Wort aus einem schlimmen Buche: „Kultur freilich, deren Schöpfer der Staat sein will, Kultur auf Grund von Staatsauftrag ist meist nur Öldruck und Kulisse.“ Max Scheler, Der Genius des Krieges und der Deutsche Krieg, Leipzig 1917 (dritte Auflage), S. 67.

    Photographie (Wikipedia, gemeinfrei): Hannover, ein Gebäude der Leibniz-Universität.

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    Ein höflicher junger Mann…

    …aus Deutschland, den ich da kürzlich in Krakau getroffen habe.  Doch hat er alle Üblichkeiten des sozialstaatlich-ökologischen Konsenses so brav repetiert, daß ich an Stanisław Jerzy Lec‘ Aphorismus denken mußte: „Czasem psy merdają łańcuchem.“ (Das ist: Manchmal wedeln die Hunde mit ihrer Kette.)

    Quelle:  Stanisław Jerzy Lec, Myśli nieuczesane, Warschau 2017, S. 198. Bild: John Singer Sargent: Zeichnung von Edwin Austin Abbey (Wikimedia, gemeinfrei).

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    Hoffnung durch Menschenwitz und Kunst

    Eine britische Firma hat eine Armprothese entwickelt, die sich steuern läßt, ihrem Träger das Greifen, Halten und Fangen ermöglicht. Zudem ist sie erschwinglich, da im 3D-Printverfahren hergestellt. Schauen Sie in den Film hinein, um sich von zweierlei Freude anstecken zu lassen: von der Freude derjenigen, denen das Ding ein besseres Leben ermöglicht, und der Freude derjenigen, die das Ding entwickelt haben und weiter verbessern. Dergleichen wirkt besser als Kaffee!

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    101.200 Kinder

    So lautet offiziell die Anzahl der in der Bundesrepublik Deutschland 2017 vorgenommenen Schwangerschaftsabbrüche, zweieinhalb Prozent mehr als im Vorjahr. Die wenigsten davon dürften aus medizinischen oder kriminologischen Indikationen geschehen.

    Unabhängig von der Haltung, die man zu solchen Dingen einnehmen möchte, sollte man sich das Ausmaß der Angelegenheit verdeutlichen. Dabei hilft Felix Honekamp, der über den Anstieg von zweieinhalb Prozent bemerkt, er bedeute, daß

    knapp 2.500 Kinder mehr im Mutterleib getötet wurden. 2.500 Kinder mehr, das ist eine Zahl, die man sich so kaum vorstellen kann. Aber im Durschnitt wird es in sechs Jahren rund 100 Einschulungsklassen weniger geben, als es sie ohne diesen Anstieg der Abtreibungszahlen gegeben hätte. Abgesehen davon, dass man bei einer Klassengröße von 25 Schülern gut 4.000 Klassen in Deutschland mehr bräuchte, wenn keine Abtreibungen vorgenommen werden sollten. 4.000 Klassen … denken Sie einfach mal darüber nach: Das sind bei dreigliedrigen Grundschulen über 300 Schulen.

    Wie bemerkte Mark Steyn? „The future belongs to those who show up for it.“ (Das ist, mehr oder weniger: „Die Zukunft gehört denen, die an ihr teilzunehmen bereit sind.“) Sofern sie nicht daran gehindert werden.

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    Bild: John Singer Sargent: Édouard und Marie-Louise Pailleron (Wikimedia, gemeinfrei).

  • Übereifrig

    …er hatte ein nicht-ambivalentes Verhältnis zur Ambivalenz; für ihn war die Ambivalenz eine unter allen Umständen einzufordernde Tugend.

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    Echokammern und Frieseninseln

    Echokammern sind derzeit in wenn nicht aller, so doch vieler Munde. Eine bedeutende Anzahl von Zeitgenossen soll sich in solchen Räumen von Gleichgesinnten befinden, darin ihre eigenen Überzeugungen so lange bestätigt finden, bis sie sie für „normal“ und „allgemein-menschlich“ hält.

    Natürlich lungern vor allem Rechtspopulisten und Schlimmere in solchen Echokammern herum. Das versteht sich. Das müssen wir kaum diskutieren.

    Weit interessanter wirkt die Frage, ob die Echokammern mehr als ein untergeordnetes Problem bezeichnen. Schließlich ist ja nicht das Bestätigt-Werden in Kreisen von mehr oder minder vernünftigen, teils gut-, teils böswilligen Menschen, was brennende Sorge bereitet. Sondern das Driften des politischen Diskurses nach links, das Abtreiben der Bundesrepublik Deutschland in Gefilde, wo gewöhnliche bürgerlich-patriotische Auffassungen plötzlich als unmenschlich gelten.

    Nicht die Echokammer ist der Punkt, sondern etwas, das der Trift ostfriesischer Inseln entspricht, die sich, wie allgemein bekannt, mit Wind und Strömung nach Osten bewegen – oder es wenigstens tun würden, wenn nicht massive Befestigungen sie daran hinderten. Keines Menschen Auge vermag eine solche Bewegung zu erblicken, aber ihr Ergebnis läßt sich deutlich erkennen. Die Sache wird durch das Schicksal des alten Westturm auf Wangerooge trefflich veranschaulicht. Dabei handelt es sich um eine Art Kirchturm mit integrierter Kirche. An der Wende zum 17. Jahrhundert im Südosten der Insel erbaut, stand der Turm am Beginn des 20. Jahrhunderts westnordwestlich der Insel im Wasser, bis er während des Ersten Weltkriegs gesprengt wurde. So weit hat sich die Insel unter ihm fortbewegt.

    Siehe auch Henryk M. Broder zum Thema.

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    „…dass Leute wie ich keineswegs Eliten hassen“

    Wolfram Ackner auf Publico:

    Einem Großteil der Bevölkerungsgruppe, der ich mich zugehörig fühle – hart arbeitende kleine, bodenständige Leute, die in unspektakulären Jobs schuften und sich oft genug gerade so über Wasser halten können – wurde von Hillary Clinton die Bezeichnung ‘deplorables’ verpasst. Genau so werden wir auch hier in den Medien und Talkshows pathologisiert – als bedauernswerte, minderwertige Gestalten, zerfressen von Hass und Abstiegsängsten, die an Fake News glauben und in bösartiger Borniertheit die (selbsternannten) kosmopolitischen, humanistischen, gebildeten Schichten verachten.

    Ich möchte dazu nur kurz anmerken, dass Leute wie ich keineswegs Eliten hassen. Wir verstehen darunter nur etwas anderes als das momentane Spitzenpersonal in Medien, Kultur und Politik. Deren Mitglieder sollten vielleicht schon im Eigeninteresse erkennen, dass die Gelder, welche sie verteilen möchten, immer noch mit unseren rauchenden Industrie-Schloten verdient werden. Und nicht, indem wir uns gegenseitig bezahlte Vorträge über Antifaschismus, Critical Whiteness und Gender Studies halten.

    Völlig richtige Bemerkungen, saftig-herzhaft formuliert. Besonders gefällt mir der Hinweis auf die Abstiegsängste, ein nahezu universell brauchbares Psycho-Argument, das schon auf das Bildungsbürgertum des Hohenzollernreiches angewandt wurde, inzwischen jedoch in der Fachliteratur einen, nun, gewissen Abstieg erleben mußte (vgl. Thomas Rohkrämer, Eine andere Moderne? (1999), Carola Groppe, Die Macht der Bildung (2001)).