Stil im Alltag

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    Nicholas J. Freitas über den Zweiten Verfassungszusatz

    Eine hörenswerte Rede im House of Delegates des US-Bundesstaats Virginia. Beachten Sie bitte auch das große Szepter vor der Bank des Sprechers.

    Herr Freitas streift nicht nur das Recht auf Waffenbesitz, sondern auch andere Punkte, z.B. die Vorliebe für krude Ad-hominem-Argumente auf der Linken und deren Implikationen für dasjenige, was Debattenkultur zu nennen kaum noch möglich wirkt. (Sie werden kaum glauben, welche Freude es mir bereitet hat, das Attribut „krude“ zu setzen.)

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    Mentalitätsunterschied

    Noch einmal Ryszard Legutko:

    …trzeba być zupełnym ignorantem i prymitywem, by nie zdawać sobie sprawy z tego morza krwi przelanej w historii Polski przez rodaków broniących swojej ojczyzny. Polskie święta narodowe to nie urodziny królowej, jak w przypadku Wielkiej Brytanii, ani jak we Francji rocznica zdobycia przez tłum więzienia i wypuszczenia na wolność kilku złodziei i alfonsów. Zarówno 3 maja, jak i 11 listopada odsyłają nas pośrednio lub bezpośrednio do tego co krwawe i do ludzkich ofiar.

    (…man müßte schon ein völliger Ignorant und primitiver Mensch sein, um zu ignorieren, welches Meer von Blut vergossen wurde, als unsere Landsleute die Heimat verteidigen mußten. Polnische Nationalfeiertage sind nicht, wie in Großbritannien, der Geburtstag der Königin oder, wie in Frankreich, die Wiederkehr eines Tages, an dem der Mob mit Waffengewalt ein Gefängnis besetzte und eine Handvoll Verbrecher und Zuhälter befreite. Sowohl der 3. Mai, als auch der 11. November stoßen uns unmittelbar oder mittelbar auf das Blutige in unserer Geschichte zurück und auf menschliche Opfer.)

    Aus: Ryszard Legutko, Polska, Polacy i Suwerenność, Wydawnictwo Kraków 2014, S. 26-27. Photographie: polnischsprachige Wikipedia, Artikel über die Zerstörung der polnischen Hauptstadt nach dem Warschauer Aufstand.

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    Dwinger lesen

    Studia Neofilologiczne, 14 (2018), S. 9-31 (zitierfähiges PDF)

    Der gegenwärtige Aufsatz beschäftigt sich mit ausgewählten Zügen des Schaffens von Edwin Erich Dwinger (1898-1981), einem heute weitgehend vergessenen, da politisch desavouierten Erfolgsautor der zwanziger bis vierziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, der bis hinein in die Bundesrepublik Deutschland publizierte. Dabei werden vor allem Fragen des Gehalts ins Auge gefaßt, formale Aspekte eher am Rande behandelt. Die Darstellung besitzt Längsschnitt-Charakter; sie springt zwischen verschiedenen Werken Dwingers, die zwischen 1929 und 1936 erschienen sind, hin und her, um diesen oder jenen Standpunkt ideologischer Art herauszuarbeiten. Ihr unterliegt die erkenntnisleitende Annahme, daß eine weltanschauliche Nähe zwischen den positiv gezeichneten Figuren Dwingers und ihrem Schöpfer bestehe.[1] Der anklagende, ‚kämpferische‘ Charakter der im Folgenden diskutierten Bücher rechtfertigt eine solche Hypothese, die unter anderen Umständen mehr als problematisch wäre.

    Die Beschäftigung mit Dwingers Werk lohnt, weil sie interessante Perspektiven auf die Literatur über den Ersten Weltkrieg – wie unten in einem Vergleich mit Remarques Im Westen nichts Neues durchgeführt – und gewinnbringende Einblicke mentalitätsgeschichtlicher Art erlaubt. Letzteres gilt besonders dort, wo die unterschiedlichen Spielformen des deutschen Antiliberalismus (Kollektivismus, in stärkster Ausprägung Totalitarismus; auch der Symptome Antiamerikanismus und Anglophobie) erforscht werden.[2] Eine Reinwaschung Dwingers wird nicht beabsichtigt.

    Seiner Anlage nach betrachtet der vorliegende Aufsatz zunächst Dwingers Rezeption in Deutschland und Polen, um zu einem Vergleich von Remarques Im Westen nichts Neues mit Dwingers frühen Schriften voranzuschreiten. Der darauffolgende Abschnitt arbeitet heraus, weshalb das Bild der Bolschewiki in den besprochenen Bänden der Sibirischen Trilogie nicht völlig negativ ist. Der vierte und letzte Abschnitt untersucht Dwingers Zerrbild vom Bürgertum; dies dürfte einiges Licht auf dessen Entschluß werfen, dem braunen Totalitarismus zu dienen. Eine kurze Schlußbetrachtung wägt das Erarbeitete.

    Zur Rezeption

    Dwingers bekannteste Werke sind die ihrer Gestaltung nach zwischen Autobiographie und fiktionalem Erzähltext angesiedelten Bände Die Armee hinter Stacheldraht. Das sibirische Tagebuch, erschienen 1929, und Zwischen Weiß und Rot. Die russische Tragödie, publiziert 1930. Die Glaubwürdigkeit des Geschilderten muß als umstritten gelten. Während viele Kommentatoren Dwingers Berichte für einigermaßen authentisch halten, sie daher z.B. als „Romanreportagen“[3] bezeichnen, führt Georg Wurzer verschiedene Argumente an, die zeigen sollen, daß die beiden Bücher weit weniger Erlebnisse ihres Verfassers spiegeln, als weithin angenommen. So sei Dwinger keineswegs der Sohn einer russischen Mutter, seien seine Russischkenntnisse, wie von Zeitzeugen belegt, viel schwächer gewesen, als in den Büchern vermerkt. Er habe seine Kriegsgefangenschaft nicht in dem Lager verbracht, welches in seinen Büchern beschrieben wird. Während des Russischen Bürgerkrieges habe sich Dwinger in Deutschland befunden und als Invalide Sozialleistungen der Weimarer Republik bezogen.[4]

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    Perfekter Tag

    „Hohe Luft“ über Kleinpolen. Strahlender Sonnenschein in glasklarer Kälte. Die Streifenfelder zeichnen die Umrisse der wenigen Wolken nach. Auf den zumeist sehr schmalen Äckern sind die Haupt- oder Nebenerwerbsbauern mit ihren jahrzehntealten Ursus-Traktoren unterwegs, die ebenso unverwüstlich sind wie ihre Besitzer, zumal Letztere an Ersteren selbst herumschrauben können. Es ist Sankt Michaelis, Festtag des Erzengels Michael.

    Wieder im Haus, finde ich die Mail eines Freundes aus Deutschland vor. Eine seiner Bekannten habe sich die Zeit genommen, Trumps Ansprache vor den Vereinten Nationen zur Gänze und im Original zu hören, halte das meiste davon für sehr vernünftig, weil die Trittbrettfahrerei auf Kosten der westlichen Führungsmacht aufhören müsse. Überhaupt habe sie manches überdacht, bedaure vorschnelle und harsch vorgetragene Urteile über den Mann, der mir die Mail geschrieben hat, sei über ihre Arroganz sogenannten Rechtspopulisten gegenüber erschüttert, wiewohl sie nicht allem, was sie auf dieser Seite des Spektrums höre, zustimmen könne und wolle. Jedoch bildeten, das sehe sie nun ein, eben sowohl die Emergenz neuer Parteien, als auch die Divergenz der Meinungen unablösbare Züge dessen, was man Demokratie und Freiheit zu nennen pflege. Mein Freund möge ihr, die, wenn ich recht orientiert bin, keine Verflossene ist, nachsehen, daß sie die letzten Jahre in unzureichend durchlüfteten Milieus übellauniger Ausrichtung verbracht, sich die tektonischen Verschiebungen im bundesdeutschen Diskurs – er habe lächeln müssen, als er dieses ihm lange schon albern scheinende Wort wie einen Bodensatz alter Sünde (a mind not to be chang’d) in ihrem Schreiben las – nur unzureichend bewußt gemacht habe. Der Unterschied zwischen Patriotismus und Nationalismus leuchte ihr ein, seit einiger Zeit schon, habe sie geschrieben, wiewohl sie niemandem außer ihm kenne, zu dem sie darüber sprechen könne; und, ja, man müsse stets prüfen, ob derjenige, welcher hochtrabende Forderungen moralischer Natur vorbringt, von Liebe oder Ressentiment getragen werde.

    Sie glauben das nicht? Ich (leider) auch nicht.

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    Die Bedeutung des Datums

    Keiner dieser Artikel (1, 2, 3) in der deutschen Presse erkennt den Zeichencharakter des Zeitpunktes, an dem der Besuch des polnischen Präsidenten Andrzej Duda bei US-Präsident Donald Trump stattfindet: am 17. September 1939 überschritt die Rote Armee die Grenze zu Polen, reichlich zwei Wochen nach dem Angriff des Deutschen Reichs auf Polen. Der rote und der braune Totalitarismus teilten das Land unter sich auf.

    Um beim „Westfernsehen“ nicht immer nur auf die Schweiz angesehen zu sein, empfiehlt sich z.B. ein Besuch auf der Internetpräsenz des polnischen Präsidenten (in englischer Sprache verfügbar; 1, 2, 3, siehe zum letzten Punkt auch hier). Der deutsche Leser erhält hier, sofern er nur des Englischen mächtig ist, Einblicke in Taten, Sentimente und Bindungen, von denen er wenig weiß, die zu kennen jedoch nützlich sein dürfte. (Daß vieles, von dem hier zu lesen ist, in Polen vehementer Diskussion unterliegt, tut der Sache keinen Abbruch. Es versteht sich von selbst, ist Freiheit.)

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    Enjoy the Decline!

    Gern, zweifellos! Nur kommt man ja kaum noch hinterher. Bezüglich Chemnitz‘ und der von Dr. Hans-Georg Maaßen, dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, vorgebrachten Einschätzung der Vorgänge dort erleben wir gerade dasjenige, was Friedrich August von Hayek in seinem Buch Der Weg zur Knechtschaft als „Das Ende der Wahrheit“ (Kapitel 11) beschrieben hat.  Die Bundesrepublik wandelt sich zum Weltanschauungsstaat, und Weltanschauungsstaaten werden stets auf Sand gebaut.

    Was haben wir also? Einen schönen Artikel von Dushan Wegner, der das Niveau sowohl der Staatskunst, als auch der, soweit sie offiziösen Charakters ist, staatsphilosophischen Reflexion in der Bundesrepublik Deutschland auf den Punkt bringt:

    Der »Kampf gegen Rechts« ist das Schlangenöl linksgrüner Politik. Eingewachsene Fußnägel? Kampf gegen Rechts! Menstruationsbeschwerden? Kampf gegen Rechts? Bürger werden von Flüchtlingen getötet? Kampf gegen Rechts!

    Dann haben wir Titus Gebel, der in einer äußerst prägnanten und dabei erschöpfenden Analyse nachweist, daß und weshalb die Linke keine Ruhe geben wird, bis alle Nicht-Linken im Gulag sitzen:

    Die Linke will die Gesellschaft nicht spalten, sondern nach ihren Vorstellungen einen. Auf dem Weg dahin müssen freilich alle Andersdenkenden beseitigt werden. Selbstverständlich durch Überzeugungsarbeit, aber wenn das nicht fruchtet, sind auch alle anderen Mittel recht. Etwa Verleumdung, Bedrohung, Zerstörung der beruflichen und gesellschaftlichen Existenz, körperliche Gewalt.

    Freie Gesellschaften werden immer gespalten sein. Im Optimalfalle in Abertausende Grüppchen, Vereine und Gemeinschaften – Edmund Burkes little Platoons. Wer Freiheit will, muß Uneinigkeit,“Gespaltenheit“, aushalten. (Es fällt mir auf die Nerven, wenn Historiker an der Gesellschaft des Deutschen Reiches unter den Hohenzollern bemängeln, sie sei „gespalten“ gewesen.  Das genau ist Freiheit, Ihr Weltenretter!)

    Des Weiteren haben wir Roger Köppel, der mit jenem Überblick, den helvetische Freiheit und Ruhe schenken, zu bedenken gibt:

    Das offizielle Deutschland hat verlernt, mit seinen Kritikern zu reden. Anstatt ihnen zuzuhören, verstampft man die Sachsen kollektiv als Rechtsextreme. […] Die Sachsen haben es satt, dass über ihre Köpfe hinwegregiert wird. Deshalb protestieren sie. Das ist kein Angriff auf die Demokratie, sondern ihre Verwirklichung.

    Westfernsehen. Wie schön, daß es die Schweiz gibt.

    Welche Opportunity Costs anfallen, wenn ein Staat auf ideologisch befeuerte oder sonstige Döneken aus ist, beschreibt David P. Goldman (Spengler):

    [George  W.] Bush, supported by Senator McCain and the Republican mainstream, spent $5.6 trillion chasing the phantom of democracy in the Middle East, not to mention more than 6,700 American dead, more than 50,000 wounded and millions of lives disrupted.

    (George W. Bush gab, unterstützt von Senator [John] McCain und dem Großteil der Republikaner, 5,6 Billionen Dollar aus, um das Wahngebilde eines demokratischen Mittleren Ostens zu jagen, ganz zu schweigen von mehr als 6.700 gefallenen Amerikanern, mehr als 50.000 Verwunderten und Millionen von beeinträchtigten oder zerstörten Leben.)

    Das ist traurig genug. Jetzt erst aber werden die Opportunity Costs, die verpaßten Gelegenheiten eingerechnet:

    America had no military competitors of importance when George W. Bush took office in 2001, and an edge in high technology that made the American economy seem insuperable.  Since then:

    China has taken America’s place as the leading exporter of high-tech equipment;

    America faces credible military competition from China;

    Real median household income hasn’t grown since 2000;

    The civilian labor force participation rate has fallen from 67% in 2000 to 63% today;

    Productivity growth has languished at 1% a year since the global financial crisis;

    US federal debt has between 2000 and 2018 has doubled as a share of GDP;

    The American economy became “cartelized, corrupt and anti-competitive,” dominated by a handful of tech monopolies who combined to crush competition.

    (Die USA hatten keine ernstzunehmenden militärischen Konkurrenten, als George W. Bush 2001 Präsident wurde, und eine Überlegenheit in Sachen HighTech, die kaum zu toppen schien. Seit damals:

    hat China die Vereinigten Staaten als führender Exporteur von HighTech-Produkten abgelöst;

    ist China zu einem ernstzunehmenden militärischen Herausforderer aufgestiegen;

    stagniert das mittlere Realeinkommen von US-Haushalten;

    ist der Anteil der Berufs- und Erwerbstätigen an der erwerbsfähigen Bevölkerung von 67% im Jahre 2000 auf 63% gefallen;

    ist die Produktivität seit der Wirtschaftskrise um kaum mehr als ein Prozent pro Jahr gestiegen;

    hat sich das nationale Haushaltsdefizit gegenüber dem Bruttoinlandsprodukt verdoppelt,

    ist die US-amerikanische Wirtschaft korrupt und wettbewerbsfeindlich geworden, von Kartellen bestimmt und beherrscht von einigen wenigen HighTech-Monopolisten, die sich verbündet haben, um die Konkurrenz auszuschalten.)

    Bevor sich jetzt jemand aufregt, das sei ja alles ziemlich imperialistisch, sei bemerkt, daß Opportunity Costs natürlich auch im Falle kaum verteidigungsfähiger Sozialstaaten anfallen, die sich behaglich in der Pax americana eingerichtet haben.

  • Der freundliche Zehnjährige,…

    …der es versteht, „Entschuldigung“ zu sagen, wenn ihm Leute den Weg verstellen, erntet zutunliches Lächeln, ja nostalgische Erleichterung bei den „jung“ gekleideten Fünfzig- bis Siebzigjährigen um ihn. Nicht zuletzt bei jenen, die sich für gewöhnlich mit einem „Vorsicht!“ oder, schlimmer noch, „Achtung!“ durch ihre Mitmenschen drängen.

    (Bild: John Singer Sargent: Olimpio Fusco (Wikipedia Commons).)

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    Viva Mitteleuropa!

    György Schöpflin schreibt in der Druck-Ausgabe von Tichys Einblick (8/2018, S. 22), die durchweg empfehlenswert finde, man habe in Ostmitteleuropa oder, wie er es nennt,

    Mitteleuropa einen besonderen Stil des Denkens, […] eine besondere Art, Ideen und Probleme zu strukturieren. Das Erbe der aus dem 19. Jahrhundert stammenden Auffassung von Nation und Nationalismus ist eine intensive Emotionalität, die durch Ironie und Skeptizismus gemildert wird.

    Das ist eine gute Einführung für unsere grünwählenden Gut- und Bessermenschen, deren Auffassung von Nation und Nationalismus von allesverzehrendem Selbsthaß geprägt ist, der durch keinerlei Ironie und Skeptizismus gemildert wird.

    Wie dem auch sei; passend zum Thema „(Ost-)Mitteleuropa“ bietet Dushan Wegner einen launigen Text über Plzeň/Pilsen, Tschechien und Polen. Die intensive Emotionalität, von der oben die Rede war, zeigt sich hier – in den Kommentaren nämlich – vor allem in der Frage, woher der Braumeister stamme, welcher in Pilsen das Pilsener erfunden habe.

    Natürlich enthält Wegners Essay auch eine ernstere Note – so in dem Hieb auf ein in Norddeutschland beheimatetes und kaum anders als überflüssig zu bezeichnendes Nachrichtenmagazin, es moniere, „dass das katholische Polen nicht um Menschen wirbt, deren Religion ihnen zu verbieten scheint, sich Juden oder Christen zu Freunden zu nehmen“.

    23,5% meines Bekanntenkreises beiderseits der Oder/Odra dürften diese Einschätzung reichlich undifferenziert finden.

    Unterdessen empfiehlt David P. Goldman (Spengler) Ungarn als eines der Länder in Europa, in dem Juden am sichersten leben können. Dazu auch das kurze Interview mit Ezra Levant.