Stil im Alltag

  • Globalisierungsetüde

    Da sitzt dieser sportlich wirkende Mann um die Dreißig bei Ikea in Katowice, seine sympathisch anmutende Frau nebst fröhlich plappernden Kindern um sich, und trägt ein T-Shirt mit dem (von Seiten des Produzenten, als Element des Designs) durchgestrichenen Schriftzug „Globalization“, unter dem eine kaum sachlich zu nennende Definition des inkriminierten Prozesses erscheint, gleichfalls in englischer Sprache; er sucht etwas in seinem Smartphone. Das also ist Globalisierungskritik: Wenn ein Mann aus Polen in einem schwedischen Möbelhaus auf die Oberfläche seines koreanischen, chinesischen, japanischen oder amerikanischen Smartphones blickt, während sein in Bangladesh oder Vietnam hergestelltes T-Shirt verkündet, was von alledem zu halten sei, und ein aus Deutschland stammender Metöke ihn beobachtet.

    (Bild: jplenio auf Pixabay.)

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    Der Blick für’s Detail

    Der zweisprachige Tumblr-Blog „Life of Architecture“ (Englisch/Polnisch) lädt dazu ein, den Blick für architektonische Details zu schärfen. Die Aufnahmen stammen aus Krakau und anderen Städten oder Gegenden im Süden Polens. Schauen Sie vorbei – bei dem Blog, aber auch sonst -; es lohnt sich. Er enthält keine Reblogs, sondern nur Original-Postings. Wenn Sie mehr erfahren möchten, finden Sie dort Angaben zu den abgelichteten Gebäuden, teils mit einigem über deren Historie.

    (Wiedergabe-Genehmigung.)

  • Global Warming 2019

    Wie man hört, sind im Westen der USA – eine Woche nach Herbstanfang – drei Fuß Schnee gefallen. Und das nicht in einer kleinen Ecke, sondern in den Staaten Kalifornien, Oregon, Washington, Montana, Idaho, Nevada und Utah. Da wurde irgendjemand nicht gebrieft.

    Drei Fuß entsprechen 91,44 cm.

    (Bild: Jason Gillman, Pixabay.)

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    Neulich in Krakau

    Ein beliebiger Abend in der letzten Woche. Menschenmassen schieben sich durch Krakaus Altstadt, die immer mehr an eine Mischung aus Freilichtmuseum und Freizeitpark mit Alkoholausschank gemahnt. Gut, daß ich mit meiner Familie hier bin – das Eis in der alteingesessenen Konditorei am Hauptmarkt, gleich bei der Einmündung der Grodzka-Straße schmeckt großartig -, so habe ich Ruhe vor den Anquatschern und Anquatscherinnen, die, wie es scheint, alle nicht in weiblicher Begleitung durch die Stadt schlendernden Männer unter siebzig zum Besuch von Etablissements veranlassen wollen, in denen nicht nur gegessen und getrunken wird. Die seit einiger Zeit mit ungemein grellen LEDs auf der Unterseite versehenen Pferdedroschken haben Schwierigkeiten, an der Gruppe von Breakdancern vorbeizufahren, die den Gästen eines der vielen Restaurants, die Tische auf den Rynek Główny gestellt haben, zu überlautem Utz-Utz-Utz ihre Künste darbieten, ob jene wollen oder nicht. Dicht aufeinander folgende Grüppchen von Engländerinnen und Engländern, an denen ein Dalrymple seine (melancholisch gebrochene) Freude hätte, vervollständigen das Bild; es gibt inzwischen eine Reihe von Kneipen, die sich speziell auf diese Klientel ausgerichtet hat, während andere Lokale mit dem Hinweis „No Stag/Hen Parties“ die Sache im Zaum halten wollen. Ältere Deutsche tauchen auch auf; man erkennt sie daran, daß sie beigefarbene Westen tragen und die Männer mit ihrer jeweiligen Frau, die Frauen mit ihrem jeweiligen Manne so rein gar nichts zu tun zu haben scheinen.

    Kurzum: es steht nicht zum Besten – oder allzu gut – um die Innenstadt von Krakau, selbst wenn handfeste Skandale wie jener selten sind, als sich im März 2019 eine Gruppe von so-gut-wie-nackten Touristen, die Englisch sprachen, in einer Droschke um den Rynek kutschieren ließ; und natürlich ließen die Herren es sich nicht nehmen, nach der Fahrt über den Hauptmarkt zu stolzieren. – Eher überkommt eine gewisse Schwermut den Metöken, der sich an das vergleichsweise stille und, bei aller Beschränkung der Mittel und mancher Bausünde um die Innenstadt herum, trotzig-elegante Krakau vor anderthalb Jahrzehnten erinnert.

    Mitten in dem Getriebe steht die winzige, gut zehn Jahrhunderte alte Sankt-Adalbert-Kirche (Kościół św. Wojciecha) – auf der linken Hälfte der Postkarte, die Sie oben sehen, zwischen den Bäumen. Sie ist am Abend geöffnet. Immer wieder sehe ich, etwa zehn Meter seitlich des Eingangs zur Kirche stehend, wie Touristen in Sightseeing-Absicht die Hand an der inneren Tür haben, deren Scheiben einen Blick in das Innere des nur einige Meter breiten und langen Kirchleins erlauben, sie öffnen wollen und in der Bewegung innehalten. Selbst ihre Miene gefriert, für einen Augenblick wenigstens. Dann gehen sie, einen zutiefst verwirrten, besser noch: befremdeten, durch das Fremde berührten Eindruck machend, bis sie das Gesehene durch einige Schüttelbewegungen des Hauptes verscheuchen, entweder fort, zurück in das Getriebe. Oder ihr Leib strafft sich, und sie treten ein. Das ist der seltenere Fall.

    Was geschieht in dieser Kirche? Schauen Sie auf ihre Website, die sie – natürlich – hat, denn Polen ist ein sehr modernes Land:

    My, młodzi chrześcijanie, pamiętając o wielkiej historii Krakowa, nie chcemy, aby w naszym mieście propagowana była nieczystość i by nakłaniano nas do grzechu. […] [C]hcemy się razem modlić o moralną odnowę Miasta Królów Polskich. Od dwóch lat spotykamy się codziennie przed Panem Jezusem w Najświętszym Sakramencie i prosimy Go, aby uzdrowił nasze Miasto i przebywających w nim ludzi – mieszkańców i przejezdnych.

    (Wir sind junge Christen, die sich der bedeutenden Geschichte Krakaus erinnern. Darum wünschen wir nicht, daß in unserer Stadt moralische Unreinlichkeit propagiert und zur Sünde veranlaßt werde. Wir wollen gemeinsam für eine moralische Erneuerung Krakaus, der Stadt der polnischen Könige, beten. Seit zwei Jahren versammeln wir uns an jedem Tag vor Christus, unserem Herrn, im Allerheiligsten Sakrament und bitten Ihn, daß er unsere Stadt und die Menschen in ihr gesunden lasse – sowohl die Einheimischen, als auch die Durchreisenden.)

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    Bild: Blick über den Hauptmarkt zum Wawel (Ansichtskarte, ca. 1933) Quelle: Zbiory Specjalne, Biblioteka Naukowa PAU i PAN w Krakowie. Własność: Polska Akademia Umiejętności. Prawa autorskie: Utwór w domenie publicznej.

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    Roger Scruton, England: An Elegy

    Vor einiger Zeit kam ein englischer Bekannter nach Krakau, der auf seiner Insel an einer Universität lehrt. Er ist ein fortschrittlicher Mensch. Obgleich (oder: da) er kein Wort Polnisch versteht, kam er von seinem ersten Bummel durch die ehemalige Hauptstadt Polens mit Entsetzen zurück: er habe, so (in seiner Zunge) wörtlich, einen Aufmarsch von Nazis gesehen. Ich weiß nicht, was er gemeint hat, kann mir auch nicht recht vorstellen, was er gemeint haben könnte. Am Abend des selbigen Tages noch hat er mir in einiger Erregung auseinandergesetzt, aus welchen Gründen die St.-Georgsflagge, das rote Kreuz auf weißem Grund, die Flagge Englands, rassistisch sei…

    Der Eifer meines Bekannten würde Roger Scruton zum Beispiel für die Entfremdung der Engländer von ihrem Land gereichen. Das abschließende Kapitel seines Buches England: An Elegy (London 2000) trägt den Titel „The Forbidding of England“; es beklagt, daß englische Studenten im Unterschied zu ihren Kommilitonen aus Wales oder Schottland ohne jede Vertrautheit mit den Helden ihrer eigenen – d.i. englischen (nicht: britischen) – Geschichte und von jeder Kenntnis ihrer eigenen Traditionen unbeleckt an die Universität kämen. „Nelson, to the majority of them, is Nelson Mandela“ (S. 248).

    Das England, welches Scruton beschreibt, ist Vergangenheit. Es ist untergegangen, zerrieben von den Kräften gesellschaftlicher Veränderung, in den Orkus befördert nicht zuletzt auch durch einen kräftigen Tritt von Seiten des vereinigten Europas, da – wie Scruton deutlich herausarbeitet – die englische Rechtstradition, das ‚von unten‘ her, aus der Beilegung konkreter Streitfälle erwachsene Common Law, mit der kontinentaleuropäischen Rechtssatzung, die in der Regel ‚von oben‘ und aus Rechtsprinzipien hoher (Vag- und) Allgemeinheit erfolgt, unvereinbar bleibt. Scrutons reichlich zweihundertfünfzig Seiten starker Essay ist, wie sein Autor über das Werk des Komponisten Ralph Vaughan Williams sagt, „a tender appreciation of a doomed experiment in virtue“ (S. 228).

    Scrutons Buch zählt zum Schönsten und Traurigsten, was ich in den letzten Jahren gelesen habe. Dabei ist es ganz unsentimental; faktenreich, mit einiger Distanz und Ironie, zuweilen amüsant und bissig geschrieben, empfiehlt es sich zur Einführung in die englische (und britische) Kulturgeschichte. Sofern zugestanden wird, daß das seit einigen Jahrzehnten modische In-Grund-und-Boden-Kritisieren alles Westlichen, Abendländischen, Europäischen oder ‚Weißen‘, mithin Freiheit in Wohlstand Verbürgenden eine allzu einfache, daher wohlfeile und ermüdende Übung sei.

    Selbst ein Kontinentaleuropäer, der mit den Engländern wenig am Hut hat oder eher an systematischen Fragen interessiert ist, wird aus diesem Buch manches Erhellende schöpfen können, ex negativo nämlich, über die logischen und praktischen Defizite der eigenen, von keiner vergleichbaren Gnade berührten Rechts- und Staatstradition; vielleicht wird er von hier aus Friedrich August von Hayeks Ausführungen über das Recht im Allgemeinen und das Common Law im Besonderen neu entdecken wollen (vgl. Hayeks, Law, Legislation and Liberty, Band 1). Und dem Liberalismustheoretiker oder Neocon, der Freiheit zu exportieren trachtet, dabei ein wenig „idealistisch“ (vulgo: blauäugig) sein mag, wird deutlich, daß er englische Freiheit alles Erdenkliche darstellen mag, nicht aber – den Normalfall.

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    Sir Roger Scruton und Douglas Murray im Gespräch

    Roger Scruton und Douglas Murray über die Zukunft des Konservativismus, das Ressentiment der „Fortschritt“-Fanatiker, Sündenböcke, die notwendig unschuldig sein müssen, und eine Architektur, die Menschen erlaubt, sich zuhause zu fühlen. Aber worüber hier gesprochen wird, ist gleichgültig. Wie die beiden Gentlemen sprechen, ist das Wesentliche – ein Labsal für Intellekt und Gemüt. Geist und Gelassenheit, Selbstironie und Augenzwinkern, alles was ihn ausmacht, den in unserem Alltag so schmerzlich Vermißten, den Gentleman.

    Bitte nehmen Sie sich die knapp anderthalb Stunden Zeit.

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    Bentley-Kettenfahrzeug, Eigenbau

    Amüsanter Film über ein paar junge Leute in Rußland, die einen Bentley zu einem Kettenfahrzeug – einer Art Sportpanzer (ohne Bewaffnung) – umgebaut haben. Da mögen zwei Fragen auftauchen: (1) „Wozu?“ und (2) „Warum mit einem Bentley?“ Die Antworten dürften lauten: (1) „Warum nicht?!“ und (2) „Wenn schon, denn schon!“ – In jedem Falle: Alle Achtung!

    In russischer Sprache mit englischen Untertiteln. Bitte klicken Sie hier.

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    Sonntagslektüre: Anthony Esolen, The Freedom of Heaven & the Freedom of Hell

    In Dante Alighieris Göttlicher Komödie sitzt der Teufel dort unten, im tiefsten Kreis der Hölle, im Eis eines Flusses fest, den er mit dem Schlag seiner Flügel gefrieren läßt. Das Eis hält ihn (und die Seelen von allerlei Verrätern) auf alle Ewigkeit fest, weil er nicht von dem Wunsch lassen will, sich auf eigene Faust, nach eigenem Willen und in eigener Manier aus seinem Elend zu befreien.

    Anthony Esolen bemerkt in einem gewaltigen Artikel, der vor zehn Jahren in (oder auf) First Things erschienen ist, zu diesem Bild:

    Readers of Dante’s Inferno who have traveled with him all the way to the bottom know that the essence of one’s sin is made manifest in the punishment—that the punishment is the sin repeated endlessly and inexorably. And appropriately so. Thomas Aquinas, in justifying the eternity of hell, notes that mortal sin is an infinite and self-defining act of enmity against the peace of the City of God. Such sinners long for immortality, he says (quoting Gregory the Great), so that they might sin forever—for, even more than they love life, they love the sin to which they have given their lives. 

    What exactly, then, is the sin made manifest here in hell’s deepest pit? The flapping of wings, the ice, the act of treachery, and the temptation of Satan that penetrates time all derive from falling to the temptation, “Ye shall be as gods.” These four motifs have much to teach us about freedom and autonomy, rightly and wrongly understood. 

    The Psalms lend a hint: All things, says the psalmist, declare that “he made us; we did not make ourselves.” Even the atheist must agree that we did not make ourselves. The statement expresses contingency and dependence, and these are plainly discernible by reason. I did not come into the world self-made. Indeed, I came into a world already present for me to enter: an intelligible world, not a congeries of arbitrary and unrelated forces. Had there been no such world, I would not have existed. 

    To claim, then, that we did make ourselves would be to deny the real contingency of our beings—which would also be to deny the web of relations into which we have entered by our being and without which we must cease to be. Deep at the heart of this denial is the prideful sin of ingratitude. We see that we are provided with what we could not have provided for ourselves: not only the material conditions that support our existence—our food and drink, the care of our parents—but the fact of our existence itself. Yet we respond with a lie. We repeat what Satan implicitly affirms at the bottom of hell, the loneliest words ever uttered: “I am my own, I am my own! My mind is my own, to fashion what truth I shall please. My body is my own, to dispose of as I please. My will is my own. I rise—by my power. I exist— by my power .” 

    Das ist: Leser von Dantes Inferno, die ihn auf seiner Reise hinunter zum tiefsten Kreis der Hölle begleitet haben, wissen, daß das Wesen einer Sünde in der Buße wiederkehrt – daß also die Bestrafung in der immer und ewig wiederholten Sünde bestehe, wie es nicht anders sein kann. Thomas von Aquin schrieb, da er die Ewigkeit der Höllenstrafe rechtfertigte, daß die Todsünde ein Akt unbeschränkten und definierenden Charakters sei, ein Akt der Feindseligkeit gegen den Frieden in der Stadt Gottes. Derartige Sünder verlangt es nach Unsterblichkeit, sagt er (sich auf Papst Gregor I beziehend), damit sie auf ewig sündigen können, denn mehr als das Leben selbst lieben sie die Sünde, der sie ihr Leben verschrieben haben.

    Worin besteht somit genau die Sünde hier im tiefsten Kreis der Hölle? Das Schlagen der Flügel, das Eis, der Verrat und die ewige Versuchung Satans, sie sind die Folgen dessen, daß der falschen Verheißung „Ihr werdet sein wie die Götter“ stattgegeben wurde. Aus diesen vier Motiven läßt sich viel über Freiheit und Autonomie lernen, sowie über deren richtige und falsche Auffassung.

    Der Psalter gibt uns einen Hinweis, worum es geht. Alle Dinge lehren uns, so der Dichter der Psalmen, daß „Er uns geschaffen hat; wir haben uns nicht selbst erschaffen“. Selbst der Atheist muß zugeben, daß wir uns nicht selbst erschaffen haben. Eine solche Aussage gibt Beschränktheit und Abhängigkeit zu, Sachverhalte, die bei vernünftiger Betrachtung auf der Hand liegen. Schließlich sind wir in eine Welt geboren worden, die schon da war; eine Welt, die sich verstehen läßt, keine Ansammlung beliebiger und beziehungsloser Kräfte. Würde es keine solche regelhafte Welt geben, würden wir nicht existieren (können).

    Folglich würde jede Behauptung, daß wir uns geschaffen und zu dem gemacht haben, was wir sind, das tatsächliche Abhängigkeitsverhältnis unseres Daseins verleugnen. Sie würde auch jenes Geflecht von Beziehungen leugnen, in das wir mit unserem Dasein eingetreten sind und ohne dessen Bestehen wir aufhören würden zu existieren. Eine solche Leugnung entstammt der stolzbefeuerten Sünde der Undankbarkeit. Wir verstehen, daß wir mit Gütern und Gaben beschenkt worden sind, die wir niemals hätten selbst uns beschaffen können; dies meint nicht nur die äußerlichen Bedingungen unseres Daseins – Essen und Trinken, die Zuwendung unserer Eltern -, sondern auch die schlichte Tatsache unserer Existenz. Dennoch reagieren wir auf diesen Sachverhalt mit einer Lüge. Wir wiederholen, was Satan durch sein Tun im tiefsten Kreis der Hölle bekräftigt, nämlich die einsamsten Worte, die sich überhaupt äußern lassen: „Ich bin mein Eigentum, ich bin mein Eigentum! Es ist mein Wille und Intellekt, und ich kann jeder Wahrheit anhängen, die ich will. Mein Körper gehört mir, und ich kann damit anstellen, was mir gefällt. Mein Wille ist mein Wille. Ich steige auf – durch eigene Kraft. Ich bin da – aus eigener Kraft.

    Bitte lesen Sie den gesamten Text.