Literatur

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    Stefan George: aus dem Stern des Bundes

    Wer seines reichtums unwert ihn nicht nüzt
    Muss weinen: nicht wer arm ist wer verlor ..
    Du bist der gerte finder deren ruck
    Verrät wo heilsam wasser steigen will
    Und adern goldes in der tiefe ruhn.
    Erschrick nicht staune nicht: ›warum denn ich?‹
    Wirf nicht im trotz das wunderding beiseit
    Weil du es nicht begreifst .. geniess und hilf
    Solang der stab in deiner hand gehorcht.

    (Stefan George, Der Stern des Bundes (Gesamt-Ausgabe der Werke, Bd. VIII), Berlin: Georg Bondi 1928, S. 60; ohne die Kapitälchen des Originals. Bild: Władysław Czachórski, Portret Władka Szernera (1879), Wikimedia Commons, gemeinfrei.)

  • Neuerscheinung: Stefan George, „Gwiazda przymierza“

    Stefan Georges Gedichtband Der Stern des Bundes (1914) in polnischer Sprache. Übertragung (S. 5-117): Wojciech Kunicki. Einführung und Kommentar (S. 121-221): Karsten Dahlmanns. Bemerkungen zur polnischen George-Rezeption (S. 223-247): Beata Rudy.

    Warschau: Fundacja Evivva L’arte 2025, 256 Seiten, 45 PLN.

    Weitere Informationen auf den Seiten des Verlags.

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    Bemerkungen zu Stefan Georges „Der Stern des Bundes“ und einigen Übertragungen ins Polnische

    Stefan Georges Gedichtband Der Stern des Bundes, im Jahre 1914 vor Kriegsausbruch erschienen, ist ein besonders umstrittenes Werk eines ohnehin umstrittenen Dichters. Georges Schaffen und die Anekdoten über sein Leben, seine elitäre Haltung usw. rufen Emotionen hervor, die, zum Teil auf Fehleinschätzungen noch zu Lebzeiten Georges beruhend (Karlauf 2007: 416–417), den Blick auf ihn und seine Leistungen verstellen. Daher empfiehlt sich ein dezidiert sachlicher Umgang, der Ungereimtheiten (‚Inkonsequenzen‘‚ ‚Widersprüche‘ etc.) im Leben und Denken
    des Dichters zur Kenntnis nimmt – etwa den Umstand, dass der gestrenge, ja unbotmäßig radikale Kulturkritiker zugleich ein talentierter Unternehmer war, der es verstand, mit den Mitteln von Subskription und künstlicher Verknappung, Buch-kunst und Typographie, Portraitphotographie und dem, was heute als Networking bezeichnet würde, die Marke „Stefan George“ aufzubauen (Dahlmanns 2016: 212–250). Außerdem sammelte der eben nur scheinbar weltfremde Poet des L’art pour l‘art mit Friedrich Gundolf, Ernst Kantorowicz u.a. „exzellente Talente“ um sich, „die sich bei ihm in die Lehre begaben“ und mit ihren Gestaltbiographien „Meisterleistungen“ vollbrachten: „sprachlich brillant, beinahe wie eigenständige Kunstwerke instrumentiert, voller Genieblitze und durchaus ernstzunehmender psychologischer sowie interpretatorischer Einsichten“ (Światłowski 2001: 116).Der vorliegende Aufsatz führt zunächst in den Band Der Stern des Bundes ein, indem er einige seiner formalen und inhaltlichen Züge bespricht, außerdem seine Beziehungen zu anderen Werken Georges beschreibt. Dies kann hier natürlich nur stark verkürzt geschehen. Anschließend werden ausgewählte Übertragungen in die polnische Sprache diskutiert – von Stefan Napierski, Jacek Stanisław Buras und Andrzej Lam. Die Übersetzungen der beiden Erstgenannten stammen aus der von Krystyna Kamińska 1979 herausgegebenen Anthologie Stefan George. Poezje. Lams Übertragungen sind der ersten durchgängigen polnischen Übersetzung vom Stern des Bundes (2020) entnommen.

    Mehr in der Zeitschrift Acta Neophilologica XXVI/2 (2024) (PDF), Open Access.

  • J. M. M. Aler anläßlich einer Studie über Stefan George

    Lässt die Heraushebung des axiologischen Komplexes vom Gehalt auch nur einer einzigen grossen Dichtung viel mehr als Splitter übrig?

    J. M. M. Aler, Im Spiegel der Form. Stilkritische Wege zur Deutung von Stefan Georges Maximindichtung, Amsterdam 1947, S. 23, Fußnote.

  • Eugeniusz Korkosz: Schuhwerk und Moral

    Niejednego fatalny stan obuwia uchronił przed podjęciem zdecydowanych kroków.

    (Manchen hat der fatale Zustand seines Schuhwerks vor dem Unternehmen entscheidender Schritte bewahrt.)

    Eugeniusz Korkosz, in: Joachim Glensk (Hrsg.), Współczesna aforystyka polska. Antologia 1945–1984, Łódź 1986, S. 199.

    (Beitragsbild: Gemälde von Vincent van Gogh (1886). Wikimedia Commons, gemeinfrei.)

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    Karsten Dahlmanns: „Stefan George zwischen Antiamerikanismus und Anglophilie“ jetzt im OA verfügbar

    Nach Ablauf der Schutzfrist ist mein Aufsatz über Antiamerikanismus und Anglophilie bei Stefan George jetzt im OpenAccess zugänglich. Sie finden ihn in der eLibrary des Verlags Vandenhoeck & Ruprecht oder hier (PDF), außerdem – mit den Fußnoten des Originals als Endnoten – einige wenige Millimeter unterhalb dieser Vorrede. Viel Freude bei der Lektüre!

    I

    Stefan George war kein Freund der Vereinigten Staaten von Amerika und ihrer Bewohner. Kamen Land und Leute vor dem ‚Meister‘ zur Sprache, „rümpfte Man [George – K.D.] gleich die Nase.“[1] Während eines Tischgesprächs in Minusio bemerkte der Dichter, dass „Amerika […] wohl ungefähr dem entspräche was für die Griechen die Barbarei gewesen sei.“[2] Als zur Diskussion stand, ob Friedrich Wolters für einige Monate an eine amerikanische Universität gehen solle, sprach sich George dagegen aus: „nee, um Gottes willen – wenn man da nur ausspuckt, hinterläßt man viel zu viel geist – – die pa[a]r deutschen ideen davon lebt die welt sogar der sozialismus der schund – nicht mal den können sie hervorbringen“.[3] Denn „Geist gibt’s dort nicht.“[4]

    Dies ist die radikalste Variante Georgescher Amerikaverdammung; eine geringfügig mildere Abart – von Ute Oelmann aus dem Nachlass herausgegeben – gesteht
    zu, dass es in der Neuen Welt ‚Geist‘ gebe, dieser aber bloß als Unterhaltung oder ergänzende, oberflächliche Motivation zu weiterer Wirtschaftstätigkeit geduldet werde:

    In Amerika ist die Erziehung zum Dollar, das geistige wird dort nur geduldet, weil┌obwol xxxxx┐es doch nötig┌könnte┐damit der Dollarmensch┌macher┐nicht einschläft. (weil es vielleicht doch dazu gehört)[5]

    Ob nun die schärfere oder die mildere Variante als wesentlich für Georges Denken angenommen wird: in beiden Fällen fungieren die Vereinigten Staaten als eine Art Gegenwelt. Dort herrscht, was George nicht schätzt, und dorthin lassen sich Anhänger, die den ‚Meister‘ enttäuscht oder verärgert haben, abschieben. Entsprechend bemerkte George über Percy Gothein: „Früher hat man einem solchen Menschen ein paar hundert Mark in die Hand gedrückt und gesagt, geh übers große Wasser und verschwinde!“[6]

    Ein entscheidender Zug Georgescher Amerikafeindschaft besteht darin, dass sie mit den tatsächlich existierenden Vereinigten Staaten allenfalls mittelbar zu tun hat. Dies zeigt die folgende, von Edith Landmann überlieferte Äußerung, in der den Menschen in der Neuen Welt jegliche Möglichkeit abgesprochen wird, sich zum Besseren zu entwickeln:

    als er [George – K.D.] von einer grässlichen rosinenbrühe erzählte, die als kalifornischer wein ausgegeben wurde, und I. [Julius Landmann – K.D.] meinte, das habe seine zeit, in 200 jahren werde es da einen possiblen wein geben, er: nie wird es ihn geben, Lumpenpack sind sie, und lumpenpack werden sie bleiben. ich weiss auch warum. aber ich werde mich hüten es zu sagen sie sollen lumpenpack bleiben[.][7]

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    G. K. Chesterton über Rudyard Kipling

    Es mag nicht schaden, aus Gilbert K. Chestertons Buch Heretics eine kaum anders als gewaltig zu nennende Stelle über Rudyard Kipling anzuführen, die – und was – natürlich nicht bloß mit Kipling zu tun hat:

    He is a perfect master of that light melancholy with which a man looks back on having been the citizen of many communities, of that light melancholy with which a man looks back on having been the lover of many women. He is the philanderer of the nations. But a man may have learnt much about women in flirtations, and still be ignorant of first love; a man may have known as many lands as Ulysses, and still be ignorant of patriotism.

    (Er ist ein vollendeter Meister jener gelinden Schwermut, mit der ein Mann darauf zurückblickt, Bürger vieler Gemeinwesen gewesen zu sein, jener gelinden Schwermut, mit der ein Mann darauf zurückblickt, der Liebhaber vieler Frauen gewesen zu sein. Er ist ein Schürzenjäger, was Völker und Länder angeht. Aber ein Mann kann viel über Frauen gelernt haben, während er mit ihnen Affären hatte, und trotzdem keine wirkliche, erste Liebe erlebt haben; ein Mann kann so viele Länder kennen wie Odysseus, und dennoch nicht wissen, was Patriotismus ausmacht.)

    Manche „Anywheres“ fürchten sich, ein „Somewhere“ zu werden. Chesterton meint, ihnen fehle etwas – ein bindender Entschluß, vielleicht auch dasjenige, was zuweilen mit dem grauenhaft mißbrauchten Wort „Offenheit“ bezeichnet zu werden pflegt, die Bereitschaft nämlich, sich von seiner eigenen Zuneigung überwältigen zu lassen.

    (Zitiert nach einer online verfügbaren Ausgabe des 1905 erschienen Werks. Die Passage findet sich in Kap. 3: On Mr Rudard Kipling and Making the World Small. Beitragsbild: Stockholm, Altstadt, Pixabay.)

  • Vor der Rückkehr (Stefan George: An Kallimachus)

    Als deine treusten geleiter stehen wir im hafen ·
    Zu des gerüsteten schiffes brüstung schauen wir
    Trennungbeklommen dich teuren · unserm arm entrissen ·
    Lang schon der unsre geworden ob auch fremden bluts.
    Willst du den leuchtenden himmel · heitrer bildung wohnsitz ·
    Wieder vertauschen mit küsten nebelgrau und kühl
    Fern bei den äussersten menschen? schlichte rohe sitte
    Wieder erlernen der heimat die dir’s kaum mehr ist?
    Dort müssen schrecklich und einsam deine tage fliessen ·
    Freund unsrer frohen gelage · unsrer lehrer gast!
    Dessen gesang der verwöhnten Phillis ohr gefallen ·
    Der in geglätteten sprüchen es uns gleichgetan ·
    Wirst du ein leben ertragen am barbarenhofe ·
    Finstren gesetzen dich beugen · strengem herrscherwink ·
    Zögling der losesten freiheit? uns erfasst die sorge.
    Ruder und anker bewegt sich – o Kallimachus!
    Schäumendes wasser beschwichtigt lezte segenrufe ·
    Unser verhaltenes weinen mög es töricht sein.

    Mehr Abschied (mit oder ohne Schiff) hier und hier.

    (Stefan George, An Kallimachus, aus dem Band Die Bücher der Hirten- und Preisgedichte, der Sagen und Sänge und der Hängenden Gärten, zitiert nach Zeno.org (gemeinfrei) und überprüft an der von Robert Boehringer herausgegebenen Jubiläumsausgabe in zwei Bänden, Bd. 1, S. 76-77. Beitragsbild: Zeichnung von Abraham Casembroot (geb. vor 1593, gest. 1658), Wikimedia Commons, gemeinfrei.)