|

Karsten Dahlmanns: „Stefan George zwischen Antiamerikanismus und Anglophilie“ jetzt im OA verfügbar

Nach Ablauf der Schutzfrist ist mein Aufsatz über Antiamerikanismus und Anglophilie bei Stefan George jetzt im OpenAccess zugänglich. Sie finden ihn in der eLibrary des Verlags Vandenhoeck & Ruprecht oder hier (PDF), außerdem – mit den Fußnoten des Originals als Endnoten – einige wenige Millimeter unterhalb dieser Vorrede. Viel Freude bei der Lektüre!

I

Stefan George war kein Freund der Vereinigten Staaten von Amerika und ihrer Bewohner. Kamen Land und Leute vor dem ‚Meister‘ zur Sprache, „rümpfte Man [George – K.D.] gleich die Nase.“[1] Während eines Tischgesprächs in Minusio bemerkte der Dichter, dass „Amerika […] wohl ungefähr dem entspräche was für die Griechen die Barbarei gewesen sei.“[2] Als zur Diskussion stand, ob Friedrich Wolters für einige Monate an eine amerikanische Universität gehen solle, sprach sich George dagegen aus: „nee, um Gottes willen – wenn man da nur ausspuckt, hinterläßt man viel zu viel geist – – die pa[a]r deutschen ideen davon lebt die welt sogar der sozialismus der schund – nicht mal den können sie hervorbringen“.[3] Denn „Geist gibt’s dort nicht.“[4]

Dies ist die radikalste Variante Georgescher Amerikaverdammung; eine geringfügig mildere Abart – von Ute Oelmann aus dem Nachlass herausgegeben – gesteht
zu, dass es in der Neuen Welt ‚Geist‘ gebe, dieser aber bloß als Unterhaltung oder ergänzende, oberflächliche Motivation zu weiterer Wirtschaftstätigkeit geduldet werde:

In Amerika ist die Erziehung zum Dollar, das geistige wird dort nur geduldet, weil┌obwol xxxxx┐es doch nötig┌könnte┐damit der Dollarmensch┌macher┐nicht einschläft. (weil es vielleicht doch dazu gehört)[5]

Ob nun die schärfere oder die mildere Variante als wesentlich für Georges Denken angenommen wird: in beiden Fällen fungieren die Vereinigten Staaten als eine Art Gegenwelt. Dort herrscht, was George nicht schätzt, und dorthin lassen sich Anhänger, die den ‚Meister‘ enttäuscht oder verärgert haben, abschieben. Entsprechend bemerkte George über Percy Gothein: „Früher hat man einem solchen Menschen ein paar hundert Mark in die Hand gedrückt und gesagt, geh übers große Wasser und verschwinde!“[6]

Ein entscheidender Zug Georgescher Amerikafeindschaft besteht darin, dass sie mit den tatsächlich existierenden Vereinigten Staaten allenfalls mittelbar zu tun hat. Dies zeigt die folgende, von Edith Landmann überlieferte Äußerung, in der den Menschen in der Neuen Welt jegliche Möglichkeit abgesprochen wird, sich zum Besseren zu entwickeln:

als er [George – K.D.] von einer grässlichen rosinenbrühe erzählte, die als kalifornischer wein ausgegeben wurde, und I. [Julius Landmann – K.D.] meinte, das habe seine zeit, in 200 jahren werde es da einen possiblen wein geben, er: nie wird es ihn geben, Lumpenpack sind sie, und lumpenpack werden sie bleiben. ich weiss auch warum. aber ich werde mich hüten es zu sagen sie sollen lumpenpack bleiben[.][7]

Das ist – natürlich – prätentiöser Unsinn.[8] Wusste George darum? Die beiden abschließenden Sätze der zitierten Passage lassen sich als Andeutung in dieser Hinsicht verstehen, als ein Ausdruck von Selbstironie. Doch kann über eine solche Frage nur spekuliert werden.

In jedem Falle gilt: Wo Amerika und Amerikaner in Rede stehen, zeigt sich George empirischen Fragen gegenüber unbekümmert. Der Dichter ‚erfindet‘ sich sein Amerika,[9] und er schafft sich ein rabenschwarzes Bild. Er will verachten. Deshalb gebraucht er die Bezeichnung „Amerikaner“ zuweilen als Abwertung, ohne Herkunft und Staatsbürgerschaft zu berücksichtigen: „When Karl Gustav Vollmoeller – once a contributor to the Blätter but more recently demoted to the status of a former friend – published a drama called Mirakel that George found wanting, the Master dismissed the man and his work by saying, ‚Ach, er ist ein Amerikaner!‘“[10] Der in Ungnade Gefallene besaß weder die amerikanische Staatsangehörigkeit, noch hatte er Wurzeln in der Neuen Welt.


II

Welche tieferen Gründe lassen sich für Georges Antiamerikanismus anführen? Seine Amerikafeindschaft dürfte – so die wenig originelle Hypothese dieses Aufsatzes – dem Widerwillen gegen dasjenige geschuldet sein, was er als bürgerliche Lebenshaltung und -führung begreift, sowie gegen manche Erscheinungen der Massengesellschaft seiner Zeit. Letztere verdankt ihr Entstehen natürlich der im neunzehnten Jahrhundert aufblühenden Markt- und Unternehmerwirtschaft, die gewaltige Fortschritte in Wissenschaft, Technik und Lebensstandard ermöglicht, wie sie ihrerseits von diesen Fortschritten angetrieben wird. Die USA verkörperten diesen Prozess zu Georges Lebzeiten wie kein anderes Land auf Erden; sie hatten „das Ausgreifen einer grenzenlos angelegten bürgerlichen Gesellschaft zu verantworten.“[11] Georges Antiamerikanismus wäre demnach der Ausdruck einer Haltung, die üblicherweise als Antikapitalismus oder Antiliberalismus bezeichnet wird.

Nun gebraucht George das Wort „Bürger“ ähnlich empiriefern wie das Wort „Amerikaner“. Der Dichter bedient sich keines beschreibenden (z. B. soziologischen oder volkswirtschaftlichen), sondern eines wertenden Begriffs von Bürgerlichkeit.[12] Es versteht sich, dass seine Wertung dabei negativ ist. Wie die Vereinigten Staaten George als Gegenwelt dienen, dient ihm der Bürger als Gegengestalt. Und wie im Falle der USA gerät ihm der Bürger zu einer Art Karikatur dessen, was ist. Bei einigen Gelegenheiten spricht George sogar vom „Fettbürger“, was den abwertenden Charakter deutlich hervortreten lässt.[13]

Was wirft George den Bürgern vor? Sie seien für umfassende Nivellierung verantwortlich: „heut ist alles mittel. – schlechter demokratischer gedanke, dass alles wissen für alle sei.“[14] So heißt es in einem der portraitartigen Gedichte („Tafeln“) aus dem Band „Der Siebente Ring“:

Einem pater

Kehrt wieder kluge und gewandte väter!
Auch euer gift und dolch ist bessre sitte
Als die der gleichheit-lobenden verräter.
Kein schlimmrer feind der völker als die mitte! [15]

Ernst Osterkamp kommentiert, George habe hier seinem „antibürgerlichen Vernichtungswunsch in Gestalt einer kruden ultramontanen Kolportage poetischen
Ausdruck verliehen“.[16] Osterkamps Hinweis auf die Geographie verdient Aufmerksamkeit. Die Rettung vor dem Übel kommt, wie oft bei George, aus einem ideell überhöhten Süden, der von Hellas und (heidnischem wie katholischem) Rom geprägten Mittelmeer-Welt. Das Übel selbst, eine nach den Begriffen des Dichters bürgerliche Lebenshaltung und deren Ausdruck in Gesellschaft, Wirtschaft und Staat, herrscht in einem gleichfalls ideell aufgefassten, aber nicht zum Ideal taugenden Norden. Damit ist vermutlich das protestantisch geprägte Europa (vornehmlich Preußen und die Freien Städte Norddeutschlands) und Nordamerika gemeint: „über den norden: viel geld – sonst nichts – arbeit ohne sinn, so versklavt, daß sie das arbeiten nicht mehr lassen können, es gibt kein genug – unmoralische
arbeit“.[17] Es versteht sich, dass auch die gegenwärtig berührte ideelle Landkarte Georges mit einer gewissen Empirieferne geschlagen ist; sonst wäre sie keine ideelle Landkarte.

Was George als Mitte bezeichnet, ist ein Leben, das – von dem eben berührten Arbeitsfleiß und Gelderwerb abgesehen – wenig Auszeichnendes erkennt und anzuerkennen sich bereitfindet. Der Dichter begreift derartigen Reduktionismus
als Ausdruck von Schwäche. Dem Bürger mangle Vitalität, deshalb scheue er vor höheren Zielen, die stets auch unversöhnliche Herausforderungen bilden, zurück.
Er bleibe – oder werde (nach wilden Jugendjahren) – „brav“ in dem Sinne, wie George das Wort in der folgenden, von Edith Landmann überlieferten Anekdote gebraucht: „Der Arzt, bei dem wir wohnten, war der Vetter von Karl Bauer. Dessen Frau hatte einmal ein Relief von George gemacht, unsäglich ahnungslos und spiessig. Als es ihm gezeigt wurde, betrachtete er es eine Weile und sagte endlich: ‚Ich wollt, ich wär so brav!‘“[18] Der dem Bürger unterstellte Mangel an Vitalität tritt ebenfalls in einer von Clotilde Schlayer kolportierten Äußerung des Dichters ans Licht, die dem in Minusio bewohnten Haus gilt: „nun hätte Man [George – K.D.] so lange hier gewohnt und Kraft und Substanz in die Räume mitgebracht und wenn Man wegginge sei alles vertan und es zögen wieder irgendwelche Spiesser ein.“[19] Für George ist Bürger derjenige, welchem „Kraft und Substanz“ mangeln; der naheliegende Einwand, dass das Aufbauen einer Firma und die Bewahrung, ja weitere Steigerung des einmal errungenen Erfolgs auf dem Markt mit seinen stets
sich wandelnden Rahmenbedingungen keine triviale Aufgabe darstellen,[20] wird vom Dichter weder gesehen, noch diskutiert. Was nach den Maßgaben Georges auch nicht nötig ist, gebraucht er doch einen wertenden, und zwar abwertenden Begriff vom Bürger.

Ironisch wirkt in diesem Zusammenhang, dass George selbst dem Bürgertum entstammte und unter Angehörigen des Bürgertums verkehrte. Seine Bürger-Verachtung erweist sich damit als innerbürgerliche Angelegenheit. Sie würde auf einen performativen Selbstwiderspruch hinauslaufen, sobald Georges wertender (empirieferner) Begriff vom Bürger als beschreibender (empirischer) Begriff missverstanden wird. Zudem legte der ‚Meister‘ beträchtliches Unternehmer-Talent – und damit eine genuin bürgerliche Tugend – an den Tag, besonders im Hinblick auf Markenbildung und -pflege, Kundenbindung und Vertrieb.[21] George wusste also die Möglichkeiten der Markt- und Unternehmerwirtschaft seiner Zeit zu nutzen, obgleich der kulturkritische Gehalt seines Spätwerks einen Eindruck asketischer Marktferne, ja -verachtung hervorruft. Sollte er mit letzterem Eindruck wie mit einer Ware gehandelt haben?

Was Georges Verhältnis zur Massengesellschaft angeht, lassen sich verschiedenste Zeugnisse für dessen Abneigung gegen das Leben in „wimmel-orten“[22] wie Berlin als größter Stadt im Deutschen Reich aufbieten. Eine von Clotilde Schlayer aufgezeichnete Äußerung belegt den Zusammenhang von Georges Antiamerikanismus und seinem Widerwillen gegen die Massengesellschaft:

Früher müsse an Amerika noch die Weiträumigkeit, der viele Platz bestochen haben, […] und das sei wirklich etwas Einnehmendes, so für sich zu sein und keine Nachbarn in der Nähe zu haben, wo in Europa sich alles so dränge. Jetzt aber sei es dort noch schlimmer, überall nur Masse und Gewimmel.[23]

Georges Amerika ist das Amerika der Metropolen, nicht der ländlichen Gegenden und Kleinstädte. In den Megapoleis der Neuen Welt sei es „noch schlimmer“ als in den Großstädten Europas, was „Gewimmel“ und „Masse“ betrifft.

Freilich sollten auch in diesem Fall Georges schriftliche oder mündliche Verlautbarungen nicht für bare Münze genommen werden. Zwar wetterte der Dichter „im Zusammenhang seiner Kulturkritik gegen die degenerierten Menschenmassen der Großstadt, die liberale Gesellschaft, die kapitalistische Industrie, die kommerzielle Presse etc.“, so Kai Kauffmann, doch „fühlte er sich in Berlin erstaunlich wohl.“[24]

Der Mensch George dürfte die Anonymität der Großstadt,[25] der aufstrebende (oder bereits etablierte) Dichter die Karriere- und Absatz-Möglichkeiten dort geschätzt haben. In seinen Gedichten findet dieser Umstand keinen Ausdruck. In ihnen figuriert die Großstadt als ‚Geist‘-lose Umgebung, in deren „Endlosen strassen […] mit gleicher gier / Die menge tages feilscht und abends tollt“,[26] „wo an pfosten und mauereck / Jed nichtig begebnis von allerwärts / Für eiler und gaffer […] angeklebt“[27] hängt, um Menschen anzulocken, die weder tiefere Interessen, noch höhere Aufgaben kennen.


III

Georges Verhältnis zum Vereinigten Königreich wird wesentlich dadurch bestimmt, dass es dort ‚Geist‘ gibt. Oder früher einmal gab. In dem nachgelassenen, erst 1984
veröffentlichten frühen Gedicht „Windsor“ heißt es:

In dem königlichen Windsor
Des palastes stolzen sälen
Und den mauern die vergangner
Zeiten kraft und pracht erzählen
Rührte so mich keine stelle
Als das grabmal in der schlosskapelle

Ausgeformt in weissen marmor
Liegt dort eines jünglings leiche
Er der sohn gewaltgen herrschers
Er der erbe weiter reiche
Ihm in glanz zu hohem ziel geboren
Ging des vaters thron und reich verloren[28]

Diese Verse sind in verschiedener Hinsicht bemerkenswert. Zunächst sollte hervorgehoben werden, dass George keinen Kontrast zeichnet zwischen der kleinen Stadt Windsor und der kaum 40 Kilometer entfernten, Themse-abwärts gelegenen Innenstadt von London, das zu den größten „wimmel-orten“ seiner Zeit zählte. Kulturkritik erweist sich damit als etwas, das stark von selektiver Wahrnehmung abhängt.[29] Vermutlich war George damals noch wenig an ihr interessiert, wiewohl Zeugnisse jugendlichen Umstürzlertums bestehen.[30]

Sodann verdient Augenmerk, dass in dem Gedicht „Windsor“ nicht lediglich von „pracht“, sondern von „kraft und pracht“ die Rede ist, außerdem davon, dass jemand „zu hohem ziel“ geboren worden sei. Ersteres betont die Vitalität der Engländer; Letzteres unterstreicht Aufgaben, denen sich ein Bürger (Georgescher Anschauung) mangels Vitalität kaum gewachsen zeigen würde.

Wie wichtig die englische Literatur für George war, lässt sich leicht an Äußerlichkeiten belegen. 1905 erschien seine Anthologie „Zeitgenössische Dichter“ in zwei Bänden. Die Übertragungen englischer Originale machen 18 der insgesamt 41 Gedichte im ersten Band der Erstausgabe aus.[31] George übersetzte Gedichte von Dante Gabriel Rossetti, Algernon Charles Swinburne[32] und Ernest Dowson, den er als einzigen der drei Dichter persönlich kennengelernt hatte.[33]

Im Frühjahr 1907 begann George mit der Übertragung von Shakespeares Sonetten, um – ein Indiz für Georges unternehmerisches Talent – eine deutsche Ausgabe jener Sonette zum 300. Jubiläum ihres Erscheinens in der Londoner Quarto-Ausgabe vorlegen zu können.[34] Weit wichtiger als alle Marketing-Fragen dürften jedoch die, wie Antje Hartje ausführt, „Affinitäten“ zwischen George und dem Shakespeare der Sonnets gewesen sein, nämlich die „Verewigung des vergänglichen Lebens im Gedicht, das Durchdeklinieren der Beziehung zwischen einem männlichen Ich und einem männlichen ‚Du‘“, wobei Georges Übersetzung von Sonett Nr. 18 das „geschlechtsneutral formulierte ‚Du‘ in einen dezidiert männlichen Charakter“ umformt, außerdem „die Umfunktionierung des Lesers vom bloß passiven Rezipienten zum Akteur in der Handlung, die im Text inkorporiert ist“.[35] Antje Hartje und Ute Oelmann heben den Einfluss der Beschäftigung mit Shakespeares Sonetten auf die Konzeption des Bandes „Der Stern des Bundes“ und die Gestalt seiner Gedichte hervor.[36]

Für die Fragestellung des gegenwärtigen Aufsatzes ist besonders wichtig, dass es in England für George und auch seinen Kreis nicht nur ‚Geist‘ gab, sondern dieser ‚Geist‘ als höchst wirkungsmächtig eingeschätzt wurde. Friedrich Gundolfs Aufsatz „Dichter und Helden“ gibt Auskunft; er zählt Shakespeare neben Dante und Goethe zu den äußerst wenigen „Menschen welche in sich Kulturen sind und um sich her Kultur schaffen, Ausdruck und Leib für Stoff und Trieb der ohne sie Chaos bliebe: in ihnen wird das Wort Fleisch, das Wesen Gestalt.“[37] Das sind hohe Anforderungen, die verdeutlichen, dass der Titel des Gundolfschen Aufsatzes „Dichter und Helden“ gelesen werden könnte, wenn nicht auch von Männern des Schwertes die Rede in ihm wäre; in jedem Falle verdeutlichen seine Zeilen desto mehr den vertikalen Abstand zum Bürger Georgeschen Verständnisses. Shakespeare habe „die Urkraft und Fülle eines großen Menschen“ in sich gehabt, „die hinausreichte und die ganze Sphäre der angesammelten Wirklichkeiten aus Natur, Geschichte und Gesellschaft, durchdrang, sich anverwandelte und vermenschlichte für alle.“[38] Was auch immer das bedeute.

Welche Bedeutung Shakespeare von George und Gundolf beigemessen wurde, verdeutlicht zudem eine von Edith Landmann überlieferte Episode: „Ich fragte, ob denn eine Erneuerung durch Gesang möglich sei. ‚Es ist Wirklichkeit. […] Ohne Shakespeare kein englisches Imperium.‘ Gundolf habe einen teuflischen Plan ausgeheckt zur Vernichtung Englands, nämlich Shakespeare zu verbrennen.“[39] Natürlich will hier einiges an Ironie abgezogen werden. Aber auch danach bleibt höchste Anerkennung spürbar.


IV

George behandelte Großbritannien vermutlich nicht nur der ‚Geist‘-Frage wegen besser als die Vereinigten Staaten von Amerika, sondern auch deshalb, weil er England und dessen Menschen aus eigener Anschauung, nicht bloß vom Hörensagen (einschließlich literarischer und publizistischer Zeugnisse) kannte. Wo es zu einer solchen Vertrautheit aus erster Hand gekommen war und besonders dort, wo sie in eine Freundschaft gemündet hatte, zeigte sich der ‚Meister‘ bereit, gegen landläufige Desavouierungen ganzer Völkerschaften anzugehen, wie die folgende, von Edgar Salin aufgezeichnete Anekdote nachweist:

Der Verfasser [Salin – K.D.] berichtete einmal vom Vormarsch nach Suwalki und Augustowo und liess dabei eine Bemerkung über die Kulturlosigkeit der Polen fallen. Der Meister fuhr auf, – die Zigarette, die er wie meistens zwischen dem dritten und vierten Finger hielt, zitterte in seiner Hand: „Was ist das für ein alberner Schnickschnack! Mein Freund Waclaw allein reicht aus, um Ihre Phrase zu entlarven. Hätte ich unter Deutschen so viel natürlichen Adel gefunden wie unter Polen und Spaniern, dann müsste ich mir nicht solche Mühe geben, um Euch zu erziehen.“[40]

Wo hingegen – wie im Falle der USA – weder unmittelbare Vertrautheit noch eine Freundschaft wirkten, lagen die Dinge anders.

Über das ganz persönliche Verhältnis Georges zu England verraten Edith Landmanns Tagebücher ein anrührendes Detail, das keinen Eingang in die veröffentlichte Version ihrer Notizen gefunden hat. In den handschriftlichen Aufzeichnungen gibt George zu, nördlich des Ärmelkanals an Einsamkeit gelitten zu haben:

daß ers in Deutschland doch aushalte, in England, in all dem bewunderten comfort, nach einiger zeit, da gehts dann nicht mehr, da muß man sich lieber in Deutschland über allerhand kulturloses ärgern, in England müßte man sich isolieren, und dazu gehören menschen die die einsamkeit ertragen können, ich hätt es nicht gekonnt.[41]

Sollte ein solches Eingeständnis zu wenig titanenhaft gewirkt haben, um auf Veröffentlichung hoffen zu dürfen?

V

In „Der Krieg“, Georges großem – und aller Verachtung der ‚Masse‘ oder ‚Menge‘ ungeachtet 1917 „als Einzeldruck von acht Seiten Umfang […] in einer Auflage von 6500 Exemplaren und zum Preis von 1 Mark und 20 Pfennigen“[42] publiziertem – Gedicht zum Ersten Weltkrieg wird ein anderes Bild der Briten gezeichnet. Über die Kriegsziele und die Kriegsziel-Propaganda des Deutschen Reichs und
Großbritanniens bemerkt die zehnte Strophe:

Hier: sorge nur zu krämern
Wo schon ein andrer krämert .. ganz zu werden
Was man am andren schmäht und sich zu leugnen
›Ein volk ist tot wenn seine götter tot sind‹
Drüben: ein pochen auf ehmaligen vorrang
Von pracht und sitte · während feile nutzsucht
Bequem veratmen will ..[43]

Das „pochen auf ehmaligen vorrang / Von pracht und sitte“ erinnert an „kraft und pracht“ aus dem frühen Gedicht „Windsor“. „[K]raft und pracht“ seien, wie George in jungen Jahren formulierte, ein Gut „vergangner / Zeiten“, das bis in die Gegenwart „rührt“. Der späte George unterstreicht, dass die führende Stellung britischer Zivilisation und Kultur etwas Ehemaliges, mithin Zerstobenes sei. Was füllt die Gegenwart? „[F]eile nutzsucht“. In dieser Formulierung mag ein Hieb auf den Utilitarismus und damit auf eine häufig mit der angelsächsischen Welt assoziierte Philosophie und deren „Erhebung des Nützlichkeitswertes“[44] über andere Werte erblickt werden. Diese Deutung wirkt jedoch zu eng, weil sie die Bedeutung des Utilitarismus für die Genese und Gestalt der angelsächsischen Kultur und Staatlichkeit überschätzt. Deshalb sei sie durch die allgemeinere Deutung ergänzt, dass „feile nutzsucht“, die „bequem veratmen will“, ebenfalls auf die florierende Marktund Unternehmerwirtschaft in Großbritannien zielt, einschließlich der Haltungen, welche ein solches Aufblühen ermöglichen, und der Genüsse, welche sie erlaubt.[45]

Die Kulturkritik des späten George kritisiert den Kapitalismus für dessen Erfolge. Entsprechend tauchen letztere Genüsse zusammen mit dem Wunsch, sie durch Aufstieg und Karriere zu erwerben, in verschiedenen Gedichten Georges als etwas auf, das von höheren Aufgaben ablenkt. In einem sehr bekannten Gedicht aus dem Band „Der Stern des Bundes“, das mit dem Vers „Neuen adel den ihr suchet“ beginnt, wird „de[r] rohe[] blick der spähe“[46] gerügt. Dies dürfte wenigstens zu Teilen den Typus des Karrieristen meinen, der stets nach Gelegenheiten Ausschau hält. In einem weiteren Gedicht, das demselben Band entstammt, verstellen Güter und Genüsse („Alles habend“), Aufstiegs- und Erwerbsmentalität („drang und hunger“) zusammen mit der neueren Wissenschaft („alles wissend“), die zur Zeit der Veröffentlichung des Buches bereits in einigen Großforschungsinstituten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft vonstatten ging,[47] den Blick auf dasjenige, was das Dasein lebenswert mache. Deshalb laufe das „Volk“ allem Überfluss zum Trotz „in lumpen“:

Alles habend alles wissend seufzen sie:
›Karges leben! drang und hunger überall!
Fülle fehlt!‹
Speicher weiss ich über jedem haus
Voll von korn das fliegt und neu sich häuft –
Keiner nimmt ..
Keller unter jedem hof wo siegt
Und im sand verströmt der edelwein –
Keiner trinkt ..
Tonnen puren golds verstreut im staub:
Volk in lumpen streift es mit dem saum –
Keiner sieht.[48]

George folgend, wäre damit die Fehlorientierung seiner Landsleute umrissen. Sie habe dazu geführt, dass die Deutschen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts sich den Westmächten anzugleichen versucht hatten, jenen Mächten also, die nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs bekämpft und in verschiedenen Schriften – etwa Werner Sombarts berühmt-berüchtigter, gegen Großbritannien gerichteter Abhandlung „Händler und Helden“ (1915)[49] – verächtlich gemacht wurden. Man hatte sich bemüht, „ganz zu werden / Was man“ gegenwärtig „am andren schmäht“. Das Gedicht „Der Krieg“ stellt den Talmi-Charakter derartiger Propaganda fest. Dennoch akzeptiert es weite Teile der ideellen Geographie, die von jener Propaganda gezeichnet wird. „Hier: sorge nur zu krämern / Wo schon ein andrer krämert“ möchte darauf hinaus, dass die gründlich verbürgerlichten Deutschen seiner Zeit anderen durchweg verbürgerlichten Völkern Absatzmärkte streitig machen wollten.[50]

Verbürgerlichung – wie erinnerlich, mit den einschlägigen Abwertungen zu verstehen – rufe einen Verlust der eigenen Identität hervor, verbunden mit einem Absturz aus vitaler Höhe: „›Ein volk ist tot wenn seine götter tot sind‹“.

Schlussbetrachtung

Wie George nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg Edith Landmann gegenüber bemerkte, habe sich das deutsche Volk dem englischen und auch dem amerikanischen Geist der Gegenwart angepasst: „Was jetzt unterlegen ist, ist […] die jüngere und schwächere Vertretung des angloamerikanischen Prinzips gegenüber seiner vollkommeneren Inkarnation.“[51] Der Krieg von 1914 bis 1918 war für George ein Streit zwischen Mächten, die in jenem wertenden Sinne, wie oben beschrieben, als verbürgerlicht anzusehen seien. Mit dem alles umstürzenden, reinigenden Krieg, der im Band „Der Stern des Bundes“ besungen wurde, habe der Waffengang zwischen den Mittelmächten und der Entente nichts zu tun gehabt, wie George bereits 1914 den August-Begeisterten unter seinen Anhängern beschieden hatte.[52]

In Georges Gedicht „Der Krieg“ tritt ein Großbritannien auf, das, da von „feiler nutzsucht“ besessen, wie der Schatten eines besseren Englands wirkt – eines Englands, in dem es ‚Geist‘ gab, zuvörderst von Shakespeare verkörpert. In diesem Zusammenhang ist nicht zuletzt auf (die Anekdote von) Gundolfs Plan zu verweisen, England als Kriegsgegner auszuschalten, indem die Werke Shakespeares verbrannt werden. Folglich taugt „Der Krieg“ nicht, um Georges Haltung zu Großbritannien vollständig zu bestimmen.[53]

Die Vereinigten Staaten von Amerika hingegen fungieren bei George als grundsätzlich ‚Geist‘-lose Weltgegend. Der ‚Meister‘ sieht hier keinerlei Entwicklung vor; die Amerikaner „sollen lumpenpack bleiben“. Wie so oft in Fällen empirieferner USA-Verdammung handelt Georges Antiamerikanismus vor allem von den ideologischen und ästhetischen Scharmützeln in der Alten Welt. Dem Dichter dienen die Vereinigten Staaten als negativer Fluchtpunkt zur Bestimmung von Lebenshaltungen, die er in Kontinentaleuropa antrifft und für verdammenswert hält. Dies betrifft selbst die schreibende Zunft, also jenen Berufsstand, dem auch George angehört. So werden seine eingangs zitierten Bemerkungen über die „Erziehung zum Dollar“ eingeleitet mit den auf die Gesellschaft des Deutschen Reiches gemünzten Worten: „Mit fast kindischer adoration des┌,freien Amerika‘┐“.[54] Sie werden beendet mit folgendem Hinweis:

Diesen „Idealtypus“┌(jenseits aller Parteien)┐┌Confessionen┐haben wir nicht. Doch bemerkte einer der cynischen der Jungen dass wir bereits darauf losarbeiten: Der ideal=Typus ist der Ullstein=Deutsche[55]

– mithin derjenige Schriftsteller, welcher sich an die Bedingungen „eines industrialisierten Literaturbetriebs und Massenbuchmarkts […], hauptsächlich geprägt von internationalen Pressekonzernen wie Rudolf Mosse, Adolf Scherl und Leopold Ullstein in Berlin“ mit ihren „Billigbuchreihen“,56 anpasst und Texte für hoi polloi produziert.

Anmerkungen

[1] Clotilde Schlayer, Minusio. Chronik aus den letzten Lebensjahren Stefan Georges, hg. v. Maik Bozza / Ute Oelmann (Castrum Peregrini, Neue Folge, Bd. 4, hg. v. Wolfgang Braungart u. a.), Göttingen 2010, S. 309.

[2] Ebd., S. 32. Sämtliche Zitate Georges und aus seinem Umkreis bewahren die Eigentümlichkeiten in Zeichensetzung und Rechtschreibung.

[3] Edith Landmann, Tagebuch ab Januar 1926, Manuskript im Stefan George Archiv, zitiert nach Karsten Dahlmanns, Das verfluchte Amerika. Stefan Georges Bildnis von Unternehmertum, Markt und Freiheit, Würzburg 2016, S. 99. Die veröffentlichte Version wurde etwas geglättet; Edith Landmann, Gespräche mit Stefan George, Düsseldorf 1963, S. 172, vermeidet den Hinweis auf das Ausspucken: „Nein, um Gottes willen, der hinterlässt da viel zu viel Geist. Die paar deutschen Ideen, davon lebt die Welt, sogar Sozialismus und aller Schund, nicht mal den können sie selbst hervorbringen.“ Über Edith Landmanns Verhältnis zu George und die Editionsgeschichte ihres Erinnerungsbuches Korinna Schönhärl, „Wie eine Blume die erfroren ist“ – Edith Landmann als Jüngerin Stefan Georges, in: Bruno Pieger / Bertram Schefold (Hg.), Stefan George: Dichtung – Ethos – Staat. Denkbilder für ein geheimes europäisches Deutschland, Berlin 2010, S. 207–242, bes. S. 239–242.

[4] Landmann, Gespräche mit Stefan George, S. 54. Zu Georges Begriff von Geist vgl. Karsten Dahlmanns, Geist bei George. Beobachtungen, in: Aneta Jachimowicz / Tomasz Żurawlew (Hg.), Geisteskultur zwischen Ästhetik und Poetik, Würzburg 2016, S. 113–143.

[5] Stefan George, Von Kultur und Göttern reden. Aus dem Nachlass hg. v. Ute Oelmann, Stuttgart 2018, S. 76. Die winkelförmigen Zeichen weisen auf Einfügungen oberhalb der jeweiligen Zeile hin.

[6] Ludwig Thormaelen, Erinnerungen an Stefan George, Hamburg 1962, S. 185.

[7] Edith Landmann, Tagebuch ab September 1927, Manuskript im Stefan George Archiv, zitiert nach Dahlmanns, Das verfluchte Amerika, S. 99. In der veröffentlichten Version wird auf die Bezeichnung „Lumpenpack“ verzichtet. Dafür bietet Landmann, Gespräche mit Stefan George, S. 202, eine äußerliche Erklärung für Georges Einlassung an: „‚Nie wird es ihn geben. Ich weiss auch warum, aber ich werde mich hüten es zu sagen. Sie sollen immer bleiben, was sie sind.‘ (Das bezog sich wohl auf die Gemeinheiten, die das Gold in Kalifornien hervorgerufen.)“

[8] Als Kuriosum sei festgehalten, dass der stets um Abgrenzung von der ‚Masse‘ oder ‚Menge‘ bemühte George in seiner Einschätzung amerikanischer Weine einer populären Einschätzung folgt, die noch heute anzutreffen ist. Stuart Pigott, Gruß aus der neuen Welt (21.08.2015), https://www.faz.net/ aktuell/stil/essen-trinken/weine-aus-amerika-tipps-vom-experten-13752035.html [letzter Zugriff:
25.03.2022], bemerkt, als wolle er Georges Wertung kommentieren, dass „amerikanische Weine immer noch von vielen deutschen Konsumenten belächelt [werden]. Nach wie vor hält man sie für ein süßlich breites Gesöff, erzeugt mit einem Übermaß an Technik. Hinter diesem Bild lauert oft ein gewisser Antiamerikanismus, nicht selten in Verbindung mit der Vorstellung, die Gesamtbevölkerung der Vereinigten Staaten bestehe ausnahmslos aus geschmacklosen Kulturbanausen.“

[9] Vgl. Georg Kamphausen, Die Erfindung Amerikas in der Kulturkritik der Generation von 1890, Weilerswist 2002, S. 15–17; Janine Ludwig, Amerika, die andere Kultur. Abgrenzung in literarischen Darstellungen des Kaiserreichs und der Weimarer Republik, in diesem Band.

[10] Robert E. Norton, Secret Germany. Stefan George and His Circle, Ithaca 2002, S. 484.

[11] Dan Diner, Feindbild Amerika. Über die Beständigkeit eines Ressentiments, München 22003, S. 17.

[12] Dass um George ein wertender Begriff vom Bürger gebraucht wurde, bestätigt Kurt Hildebrandt, Erinnerungen an Stefan George und seinen Kreis, Bonn 1965, S. 149: „Wir alle waren Bürger […] – aber […] als ob wir, im Paulinischen Sinne, es nicht wären.“

[13] Vgl. Landmann, Gespräche mit Stefan George, S. 134, 171, und Schlayer, S. 35–36.

[14] Landmann, Tagebuch ab September 1927, zitiert nach Dahlmanns, Das verfluchte Amerika, S. 124.

[15] Stefan George, Der Siebente Ring. Sämtliche Werke in 18 Bänden, Bd. VI/VII, Stuttgart 1986, S. 168.

[16] Ernst Osterkamp, Poesie der leeren Mitte. Stefan Georges Neues Reich, München 2010, S. 131.

[17] Landmann, Tagebuch ab Januar 1926, zitiert nach Dahlmanns, Das verfluchte Amerika, S. 125.

[18] Landmann, Gespräche mit Stefan George, S. 122. Siehe auch Thormaelen, S. 199, über einen nicht hinreichend begabten Adlatus im weiteren Umkreis des ‚Meisters‘: „Gegen […] dessen persönliche Entwicklung war nie etwas einzuwenden, denn er wurde ein brauchbarer und tüchtiger Bürger, der seinen Platz und seinen Beruf voll und ganz ausfüllte. Aber in der Umgebung Stefan Georges […] war […] dieser Zögling […] eine leichte Hemmung.“

[19] Schlayer, S. 132.

[20] Vgl. Ludwig von Mises, The Anticapitalistic Mentality, Auburn, AL, 2008, S. 6, 9–15, 25

[21] Vgl. Dahlmanns, Das verfluchte Amerika, S. 225–235.

[22] George an Sabine Lepsius (Mai 1902), zitiert nach Thomas Karlauf, Stefan George. Die Entdeckung des Charisma, München 2007, S. 211.

[23] Schlayer, S. 32–33.

[24] Kai Kauffmann, Stefan George. Eine Biographie (Castrum Peregrini, Neue Folge, Bd. 8, hg. v. Wolfgang Braungart u. a.), Göttingen 2014, S. 174–175.

[25] Vgl. den Merkspruch „Lob unsrer Zeit“, in: Blätter für die Kunst, siebente Folge (1904), S. 4.

[26] George, Der Siebente Ring, S. 30; zitiert wird aus dem Gedicht „Die tote Stadt“.

[27] Stefan George, Das neue Reich. Sämtliche Werke in 18 Bänden, Bd. IX, Stuttgart 2001, S. 47; zitiert wird aus dem Gedicht „Geheimes Deutschland“.

[28] Zitiert nach George, Von Kultur und Göttern reden, S. 26. Es werden die ersten beiden von insgesamt vier Strophen wiedergegeben.

[29] Wie Jürgen Egyptien, Stefan George. Dichter und Prophet, Darmstadt 2018, S. 30–31, ausführt, „absolvierte [George] in London das übliche Besichtigungsprogramm. Im Mai [1888] schrieb er an Stahl: ‚Ich habe all die hauptsachen Westminster Abbey St Pauls Cathedral National gallery gesehen und bewundert. […] Alles eminent grossartig superbe magnifique.‘ […] Auch einen Ausflug nach Brighton […] unternahm George.“ Ein Abstecher zu Schloss und Park von Windsor fügt sich in ein solches Programm nahtlos ein. Der Dichter dürfte, per Eisenbahn von London kommend, am in Sichtweite des königlichen Schlosses gelegenen Bahnhof der Stadt ausgestiegen sein, der 1849 eröffnet worden war.

[30] Vgl. Karlauf, S. 76. Ute Oelmann, „Zu jubeln ziemt nicht: kein triumf wird sein“. Stefan George, der George-Kreis und der Erste Weltkrieg, in: Karsten Dahlmanns u. a. (Hg.), Krieg in der Literatur, Literatur im Krieg, Göttingen 2020, S. 207–215, hier S. 211–212, bemerkt über George, „der schon 1889 Bomben auf Deutschland werfen wollte“, dass seine „Radikalität, sein Aufrührertum“ und also „die antibürgerlichen Impulse eines gesellschaftlichen Außenseiters […] bis heute in ihrer Bedeutung für Leben und Werk des Dichters unterschätzt sein“ dürften.

[31] Die Angaben folgen Jutta Schloon, Zeitgenössische Dichter (SW XV, XVI), in: Achim Aurnhammer u. a. (Hg.), Stefan George und sein Kreis. Ein Handbuch, Bd. 1, Berlin 22016, S. 269–290, bes. S. 275.

[32] George hatte einige Einwände gegen Swinburnes Verskunst; vgl. George, Von Kultur und Göttern reden, S. 80, 85. Zur Swinburne-Rezeption Georges vgl. ferner Friedmar Apel, Konkurrenz im Traumland. Algernon Charles Swinburne bei Stefan George, Hugo von Hofmannsthal und Rudolf Borchardt, in: Wolfgang Braungart / Ute Oelmann (Hg.), George-Jahrbuch, Bd. 11 (2016/2017), Berlin 2016, S. 13–26.

[33] Vgl. Schloon, S. 277.

[34] Vgl. Ute Oelmann, Shakespeare Sonette. Umdichtung (SW XII), in: Aurnhammer u. a., S. 223–254, bes. S. 241.

[35] Antje Hartje, Shakespeare-Übertragungen, in: Jürgen Egyptien (Hg.), Stefan George – Werkkommentar, Berlin 2017, S. 692–711, hier S. 697–698.

[36] Vgl. ebd., S. 699. Oelmann, Shakespeare Sonette, S. 248, formuliert über den „Abstand der ersten Gedichte aus dem Stern des Bundes von den Maximin-Gedichten im Siebenten Ring […]: StG [George – K.D.] ist durch die Shakespeare-Sonette ‚hindurchgegangen‘. […] Da nimmt es nicht mehr wunder, dass die Gedichte des Eingangs [im Band „Der Stern des Bundes“] jeweils 14 Verse aufweisen, d. h. ‚vierzehnzeiler‘ sind, allerdings reimlose.“

[37] Friedrich Gundolf, Dichter und Helden, in: Ders., Dichter und Helden, Heidelberg 1921, S. 23–58, hier S. 31. Nach Gundolfs Auskunft ebd., S. 4, handelt es sich bei diesem Text um die erweiterte Fassung eines Aufsatzes, der 1912 im „Jahrbuch für die geistige Bewegung“ erschienen war. Über die Shakespeare-Rezeption im George-Kreis und besonders durch Gundolf äußerst informativ Jürgen Egyptien, Shakespeare im George-Kreis, in: Béatrice Dumiche (Hg.), Shakespeare und kein Ende? Beiträge zur Shakespeare-Rezeption in Deutschland und in Frankreich vom 18. bis 20. Jahrhundert, Bonn 2012, S. 105–121.

[38] Gundolf, S. 38.

[39] Landmann, Gespräche mit Stefan George, S. 70.

[40] Edgar Salin, Um Stefan George. Erinnerung und Zeugnis, München 1954, S. 261. Gemeint ist Wacław Rolicz-Lieder.

[41] Edith Landmann, Tagebuch ab September 1918, Manuskript im Stefan George Archiv, zitiert nach Dahlmanns, Das verfluchte Amerika, S. 203. Die entsprechende Passage bei Landmann, Gespräche mit Stefan George, S. 67, lautet: „Dass er es in Deutschland doch aushalte. ‚In England, bei all dem bewunderten Komfort, da geht’s nicht mehr, da ärgert man sich lieber über Deutschland. Als ich in Paris war, das erste Mal, da hatte ich […].‘“

[42] Egyptien, Stefan George. Dichter und Prophet, S. 355.

[43] George, Das neue Reich, S. 26. Die Darstellung geht davon aus, dass die drei letzten der zitierten Verse Großbritannien betreffen, weil direkt im Anschluss Frankreich als „schooss der hellsten / Einsicht“ (ebd.) angesprochen wird. Vers 1–5 der zehnten Strophe behandeln Kriegsziele und Kriegsziel-Propaganda des Deutschen Reiches, Vers 6–8 jene des Vereinigten Königreichs, Vers 8–12 jene Frankreichs, einschließlich eines Kommentars durch die kalkuliert unklare Sprechinstanz des Gedichts. Die gegenwärtigen Ausführungen folgen, was die geographische Zuordnung der Verse angeht, Ute Oelmann, Anhang, in: George, Das neue Reich, S. 113–175, bes. S. 141. Bezüglich der Sprechinstanz im Gedicht „Der Krieg“ bemerkt Armin Schäfer, Interpretationen von Goethes lezte nacht in Italien, Hyperion, An die Kinder des Meeres, Der Krieg, Der Dichter in Zeiten der Wirren und Einem jungen Führer im Ersten Weltkrieg (SW IX, 7–33), in: Egyptien, Stefan George – Werkkommentar, S. 569–589, bes. S. 579: „Es führt zwei Sprecher ein: einen Siedler auf dem Berg sowie eine anonyme Sprechinstanz, die dessen Rede wiedergibt. Obwohl es Markierungen wörtlicher Rede, Konjunktive und Relativsätze gibt, die der Analyse eine Orientierung bieten, scheinen die Redeanteile ineinander zu verfließen. Es gibt keine festen Konturen der jeweiligen Reden, die insgesamt im Stil harter Fügung verschwimmen.“ Zur Sprechinstanz im Gedicht „Der Krieg“ ferner Gabriela Wacker, „Ich werde heldengrab.“ Georges ‚Hyperion‘ und ‚Der Krieg‘ zwischen Heldenverdichtung und Selbstentzug, in: Braungart / Oelmann, S. 133–156, hier S. 146, die die „auftretende Propheten-Figur […] als Archiv von Vorbildern […] charakterisiert“.

[44] Max Scheler, Das Ressentiment im Aufbau der Moralen, in: Ders., Vom Umsturz der Werte. Abhandlungen und Aufsätze. GesammelteWerke, Bd. 3, Bern 51972, S. 33–147, hier S. 126; bereits vorhanden in der geringfügig kürzeren, vor dem Ersten Weltkrieg erschienenen Fassung: Max Scheler, Über Ressentiment und moralisches Werturteil (Sonderdruck aus der Zeitschrift für Pathopsychologie, I. Band), Leipzig 1912, S. 81. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang auch die „Kategorientafel des englischen Denkens“ bei Max Scheler, Der Genius des Krieges und der Deutsche Krieg, Leipzig (3. Auflage) 1917, S. 413–414, wo behauptet wird, dass das englische Denken dazu neige, „[d]as Gute mit dem Nützlichen“ zu verwechseln (ebd., S. 413).

[45] Helmuth Kiesel, Stefan Georges Kriegstriptychon. Über die Gedichte ‚Der Krieg‘, ‚Der Dichter in Zeiten der Wirren‘, ‚Einem Führer im ersten Weltkrieg‘ und ‚Wenn einst dies geschlecht sich gereinigt von schande‘, in: Braungart / Oelmann, S. 109–131, hier S. 115–116, hält für plausibel, dass Georges Gedicht „Der Krieg“ eine allgemeine Kritik an „utilitaristischer Lebensvernichtung“ darstelle, die nicht bloß dem Geschehen auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs, sondern der bürgerlichkapitalistischen Wirtschaft mit ihrem „Produktionskampf und Wirtschaftskrieg“ gelte: „Es fehlt ihm [dem „Siedler auf dem berg“ oder „Seher“ – K. D.] […] nicht an Empathie, doch scheint es so zu sein, dass der ‚Seher‘ an dieser Stelle Empathie auch für andere Opfer hat und eine Wahrheit ausspricht, die für die bürgerliche prosperierende Wohlstands- und Konsumgesellschaft sehr unangenehm ist: dass ihr Wohlstand, ihre Fülle an Gütern auf einer planmäßigen und rücksichtslosen Ausbeutung oder gar Vernichtung von menschlichem Leben durch Versklavung oder durch Vorenthaltung von Lebensmöglichkeiten sowie durch letale Ausbeutung der Arbeits- und Lebenskraft von Hekatomben von Menschen beruht.“ Kiesel übersieht (oder ignoriert) sämtliche positiven Aspekte der Markt- und Unternehmerwirtschaft, sowie der Industriellen Revolution, etwa Lebenschancen auch für jene Söhne, die den Hof des Vaters nicht erben, Fortschritte der Hygiene oder die annähernde Verdoppelung der Arbeiter-Realeinkommen zwischen 1871 und 1914 bei spürbarer Verkürzung der Arbeitszeit, Kranken- und Unfallversicherung (vgl. Christian Graf von Krockow, Die Deutschen in ihrem Jahrhundert 1890–1990, Reinbek bei Hamburg 1990, S. 31; ders., Der deutsche Niedergang, Stuttgart 1998, S. 31). Außerdem bezieht sich Kiesels Gewährsmann Georg Friedrich Nicolai, dessen 1917 unautorisiert, 1919 autorisiert publizierte Abhandlung „Die Biologie des Krieges“, von Kiesel, S. 115–116, in extenso zitiert, auf idealiter zu erreichende Lebensjahre, die durch Berufskrankheiten etc. verkürzt würden. Dies ist ein hochgradig spekulatives Vorgehen.

[46] Stefan George, Der Stern des Bundes. Sämtliche Werke in 18 Bänden, Bd. VIII, Stuttgart 1993, S. 85.

[47] Vgl. die Chronik der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft auf den Seiten ihrer Nachfolgerin, der MaxPlanck-Gesellschaft; https://www.mpg.de/geschichte/kaiser-wilhelm-gesellschaft [letzter Zugriff: 26.03.2022].

[48] George, Der Stern des Bundes, S. 29.

[49] Robert E. Norton, Werner Sombarts „Händler und Helden“, in: Dahlmanns u. a., Krieg in der Literatur, S. 474–482, hier S. 482, erinnert an verschiedene ablehnende Reaktionen führender deutscher Wissenschaftler auf Sombarts Abhandlung und konstatiert, dass das Buch „eher ein Psychogramm seines Schöpfers liefert als ein Abbild einer gesamtgesellschaftlichen Befindlichkeit. Es sagt sehr viel über seinen Autor aus, aber sehr wenig über die Deutschen und deren Ansichten über ‚den Engländer‘ an sich.“

[50] Die referierte Anschauung setzt voraus, dass Staaten um Absatzmärkte in der Manier eines Nullsummenspiels konkurrieren. Sie soll hier keiner näheren Kritik unterzogen werden, zumal alles Notwendige längst geäußert worden ist; vgl. Krockow, Die Deutschen in ihrem Jahrhundert, S. 32–33.

[51] Landmann, Gespräche mit Stefan George, S. 70.

[52] Vgl. Oelmann, „Zu jubeln ziemt nicht: kein triumf wird sein“, S. 209–211.

[53] Als weitere Schwierigkeit kommen die von Schäfer festgestellten Eigenarten der Sprechsituation in diesem Gedicht hinzu.

[54] George, Von Kultur und Göttern reden, S. 76.

[55] Ebd.

[56] Christine Haug / Wulf D. von Lucius, Verlagsbeziehungen und Publikationssteuerung, in: Aurnhammer u. a., S. 408–491, hier S. 409.

(Bild: Wikimedia Commons, gemeinfrei. Bearbeitet.)