Röpke lesen und lernen

Röpke lesen und lernen

Wilhelm Röpke zählt zu den „stillen“ Großen deutscher Wissenschaft. Sein Denken verbindet Nationalökonomie und Geisteswissenschaft, wie kaum sonst zu finden; es zeigt, wie die Ergebnisse „der anderen Seite“ berücksichtigt sein wollen, und es tröstet, wo jene Einseitigkeit, die notwendig in Beschränktheit mündet, nicht zur Kenntnis nehmen will, was Kenntnisnahme verdiente. Deshalb ist es erfrischend unmodisch.

Eine der schönsten Passagen aus dem Röpke’schen Werk sei nun gegeben:

Daß freilich ein Buch wie dieses, das die Dinge ohne billige Trostgründe beim Namen nennt, nicht ganz ins Leere gesprochen zu sein scheint, gehört zu den Umständen, die Hoffnung machen. Die Aufnahme, die es […] gefunden hat, läßt im ganzen erkennen, daß ich mit vier Möglichkeiten der Reaktion zu rechnen habe.

Da sind erstens diejenigen, die das Buch en bloc ablehnen, weil es ihren mehr oder weniger kollektivistisch-zentristischen Ideen vollständig zuwiderläuft. Da sind zweitens die anderen, die an diesem Buche, das sich „Jenseits von Angebot und Nachfrage“ nennt, eigentlich nur das zu schätzen scheinen, was diesseits und nicht jenseits liegt, die unbekehrten Rationalisten, die hartgesottenen Ökonomisten, die prosaischen Utilitaristen, die vielleicht meinen, daß aus dem Verfasser bei fester Führung ein halbwegs brauchbarer Nationalökonom hätte werden können. Da sind umgekehrt drittens diejenigen, die den Ökonomisten in mir selber als allzu hartgesotten tadeln und dafür nur den Teil des Buches loben, der von den Dingen „jenseits von Angebot und Nachfrage“ handelt, die reinen Moralisten und Romantiker, die mich vielleicht als Beweis dafür anführen, wie eine reine Seele durch die Ökonomie verdorben werden kann. Da sind endlich diejenigen, die dem Buche als ganzem günstig gesinnt sind und es als seinen Vorzug ansehen, daß es die drei anderen Gruppen herausgefordert hat.

Ich würde aus meinem Herzen eine Mördergrube machen, wenn ich nicht offen bekennen würde, daß mir die vierte Gruppe die liebste ist.

Die Botschaft dieser Zeilen ist deutlich. Wenn ein Geisteswissenschaftler auf Fragestellungen stößt, zu deren Beantwortung Kenntnisse der Nationalökonomie nötig sind, sollte er sich nicht davor drücken, den einen oder anderen Klassiker dieser Wissenschaft zu konsultieren. Wer angesichts eines Werkes, das Röpke, von Mises oder von Hayek verfaßt haben, ausruft: „Oeconomica sunt, non leguntur!“ handelt nicht vornehm, sondern kindisch. Fürchtet er, durch eine Erweiterung seines Horizonts zu verlieren? Wie das Beispiel Brecht zeigt, wird der in ökonomischer Hinsicht willentlich „blinde“ Geisteswissenschaftler sich eher ein X vor ein U machen lassen, wenn er auf persuasive Texte trifft.

Es ist mir gut erinnerlich, wie in einem Seminar über die sogenannte Kommunitarismus-Debatte – die sich um eine bestimmte Spielart antiliberaler Kritik dreht – erbittert gerungen worden ist. Dabei wäre viel Streit zu vermeiden gewesen, wenn sich die anwesenden Philosophen bereit gefunden hätten, Rat bei Rechtstheoretikern zu suchen, um sich über einige grundsätzliche Eigenschaften des Rechts zu informieren. Auch hier gilt: Der geisteswissenschaftliche Diskurs hätte von einem Blick über den Tellerrand nur profitieren können.

Wie fügt sich Röpkes Werk in das Weltbild eines Botho Strauß? Gelassener Ton, gelinde Ironie, Eleganz im Ausdruck, Liebe zur Sprache – von „unholfenem Informationsaustausch“ (Strauß) kann bei Röpke keine Rede sein. Von einem Zugang zur Welt als „Ingenieursphantasie“, die „das Reservoir des Möglichen plündere“, gleichfalls nicht.

Für „die andere Seite“ zeigt sich Röpke nicht minder wertvoll: Selten wird mit solchem Charme der Nachweis erbracht, daß Liberalismus auf Privateigentum und Marktwirtschaft gründet, mitnichten aber auf diese beiden Größen zu reduzieren sei.

(Der Auszug stammt aus dem Vorwort zur dritten Auflage von Röpkes Jenseits von Angebot und Nachfrage, abgeschlossen im Januar 1961; zitiert nach der vierten Auflage, Erlenbach-Zürich und Stuttgart 1966. Bild: John Singer Sargent: Henry Tonks, 1918.)

Capitalism Works

Capitalism Works

Diese Erfindung hat mehr Bäume gerettet, als Greenpeace jemals vermochte.

Update 2020: Oh, und natürlich x-fach Plastikmüll verhindert. In Gestalt eingesparter CDs, DVDs, Disketten – Sie erinnern sich? – und anderem Zeugs.

Rudyard Kipling: Gestern vor knapp 800 Jahren
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Rudyard Kipling: Gestern vor knapp 800 Jahren

Rudyard Kiplings „The Reeds of Runnymede“ (Magna Charta, June 15, 1215) — mit einigen Hervorhebungen und Kommentaren.

At Runnymede, at Runnymede
What say the reeds at Runnymede?
The lissom reeds that give and take,
That bend so far, but never break.
They keep the sleepy Thames awake
With tales of John at Runnymede.

At Runnymede, at Runnymede,
Oh, hear the reeds at Runnymede: —
„You mustn’t sell, delay, deny,
A freeman’s right or liberty.
It wakes the stubborn Englishry,
We saw ‚em roused at Runnymede!

Rechte sind „negativ“; sie verbieten dem Staat und dem Mitbürger, dies und jenes mit einem Menschen zu tun. Und sie müssen verteidigt werden.

„When through our ranks the Barons came,
With little thought of praise or blame,
But resolute to play the game,
They lumbered up to Runnymede;
And there they launched in solid line
The first attack on Right Divine —
The curt, uncompromising ‚Sign!‘
That settled John at Runnymede.

„At Runnymede, at Runnymede,
Your rights were won at Runnymede!
No freeman shall be fined or bound,
Or dispossessed of freehold ground,
Except by lawful judgment found
And passed upon him by his peers.
Forget not, after all these years,
The Charter Signed at Runnymede.“

Rechte fallen nicht vom Himmel; sie müssen erkämpft werden.

And still when Mob or Monarch lays
Too rude a hand on English ways,
The whisper wakes, the shudder plays,
Across the reeds at Runnymede.
And Thames, that knows the moods of kings,
And crowds and priests and suchlike things,
Rolls deep and dreadful as he brings
Their warning down from Runnymede!

Die Herrschaft des Rechts (Rule of Law) darf nicht mit der Herrschaft der Mehrheit des Volkes verwechselt werden. Die Frage, wer herrschen soll, ist irreführend. Es geht darum, was herrschen soll: Ein Recht, das jeden einzelnen Bürger vor Staat und Mitbürgern schützt.

Was hat die chilenischen Bergleute gerettet? Der Kapitalismus!
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Was hat die chilenischen Bergleute gerettet? Der Kapitalismus!

Auszüge aus einem bemerkenswerten Artikel von Daniel Henninger – in freier Übersetzung:

Wenn diese Bergleute vor fünfundzwanzig Jahren so tief verschüttet worden wären, wären sie zum Tode verurteilt gewesen. Welches Ereignis der vergangenen fünfundzwanzig Jahre hat ihr Leben gerettet?

Kurz gesagt, ein Bohrkopf der Firma Center Rock.

Dieses Wundergerät hat den Weg hinunter zu den gefangenen Bergleuten freigemacht. Center Rock Inc. ist eine Firma in Berlin, Pennsylvania. Sie hat vierundsiebzig Mitarbeiter. Nachdem der Chef der Firma, Brandon Fisher, von dem Unglück erfahren hatte, rief er in Chile an, um seinen Bohrkopf anzubieten. Die Chilenen haben akzeptiert. Die Bergleute sind am Leben.

Die längere Antwort? Der Bohrkopf der Firma Center Rock bildet ein bemerkenswertes Stück Technik, das von einer kleinen Firma entwickelt worden ist, die dergleichen für Geld – für Profit – tut. Darin liegt ihr Beweggrund, innovative Bohrtechnik zu entwickeln. Wenn sie Geld verdienen, können sie die Bohrtechnik weiter voranbringen.

Die Dynamik „Profit = Innovation“ war überall um das Bergwerk in Chile zu beobachten: Das Hochleistungskabel für den einfachen Rettungsbohrturm war aus Deutschland gekommen. Japan hatte das äußerst flexible Glasfiber-Kabel beigesteuert, durch das die Bergleute mit der Welt über Tage kommunizieren konnten.

Jeffrey Gabbay, der Gründer der Firma Cupron Inc. aus Richmond, Virgina, versorgte die Bergleute mit Socken, die Kupfer enthalten. Das Metall vernichtet Bakterien und vermindert so Fußgeruch und Infektionsgefahr. Chiles Gesundheitsminister kommentierte: „Ich wußte nicht, daß so etwas überhaupt existiert.“

Genau darum geht es. In einer „offenen Wirtschaft“ weiß niemand, was die innovativsten Firmen dieser oder jene Branche gerade entwickeln. Meistens achtet niemand darauf. Sie schaffen ja lediglich Arbeitsplätze und Wohlstand. Doch ohne sie wären die chilenischen Bergleute verloren gewesen.

Den gesamten Artikel finden Sie hier.

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Ralf Dahrendorf: Liberalismus ohne Liberalismus

Zbliżenia interkulturowe 3, 2008, S. 169-171

Ralf Dahrendorf, Versuchungen der Unfreiheit. Die Intellektuellen in Zeiten der Prüfung, München 2006: C.H. Beck, 239 Seiten.

Ralf Dahrendorfs Versuchungen der Unfreiheit unternehmen „eine Erkundungsreise zu den Quellen des liberalen Geistes” (S. 9). Das Interesse des Autors gilt einer besonderen „Art” (ebd.) unter den Intellektuellen, die – da es sich um Exponenten des auf dem europäischen Kontinent nur allzuoft mißverstandenen oder gar verleumdeten liberalen Denkens handelt[1] – „nicht jedermanns Helden” (S. 10) sind, z.B. Karl Popper und Isaiah Berlin. Sir Ralf fragt darnach, „wie diese bedeutenden Gestalten den Versuchungen der Unfreiheit widerstanden haben. Was war die Quelle ihrer Kraft, als die Umstände, in denen sie lebten, die Sonne der Freiheit verfinsterten?” (S. 9) – eine faszinierende und außerhalb des im engeren Sinne Wissenschaftlichen mehr als wichtige Fragestellung. Denn es werden sehr oft wenig verantwortungsvolle, wenig redliche Denker[2] als Vorzeige-Intellektuelle gefeiert. Max Horkheimer und sein im Wesentlichen auf Unkenntnis basierender Angriff auf die Philosophie des amerikanischen Pragmatismus bildet dafür nur ein Beispiel.[3]

Dahrendorf interessieren die Menschen „hinter” den Intellektuellen; er versucht zu formulieren, was den Menschen Popper, den Menschen Berlin gegen die Sinn-Angebote der beiden Totalitarismen des zwanzigsten Jahrhunderts – „Gemeinschaft, ein Führer und verklärende Romantik der Sprache einerseits, die Partei, die Hoffnung auf das Paradies auf Erden und die Aura des Religiösen andererseits” (S. 39) – gewappnet habe. Dies verleiht dem Buch einen eigentümlichen Reiz; dem Autor gelingt es, die Dilemmata der Zeit einzufangen, angereichert durch eine Fülle teils anrührender Details aus dem Leben der Protagonisten, deren Selbstreflexion. Äußerungen von Denkern, die erkennen mußten, daß sie der totalitären Versuchung erlegen waren, verleihen dem Buch menschliche Tiefe (vgl. S. 34ff.). Exemplarisch Ignazio Silone, wie von Dahrendorf gegeben: „»Etwas davon bleibt und hinterlässt seine Zeichen auf dem Charakter, die man sein ganzes Leben mit sich herumträgt. Es fällt auf, wie leicht erkennbar die Ex-Kommunisten sind. Sie bilden eine Kategorie für sich, wie ehemalige Priester und frühere aktive Offiziere.«” (S. 38)

Gleichwohl ruft das Werk einen zwiespältigen Eindruck hervor. Dies dürfte dem Umstand geschuldet sein, daß der Autor den Begriff „liberaler Geist” in einer Weite faßt, die von Verwässerung zu sprechen erlaubt. Zwar führt Sir Ralf – auf wenigen Seiten wunderbar anschaulich (vgl. S. 62ff) – den Nachweis, daß liberales Denken nur dort gedeihe, wo man Uneinigkeit nicht lediglich erträgt, sondern erkennt, wie wertvoll sie für alle Weiterentwicklung sei. Doch aus diesem Nachweis erwachsen keine – oder nur äußerst zaghafte (vgl. S. 65) – Konsequenzen in Sachen Wirtschaftsverfassung. Hält Dahrendorf „die Wirtschaftsfreiheit nicht für ein wesentliches Merkmal der freien Welt und die wirtschaftliche Unfreiheit nicht für ein wesentliches Merkmal der unfreien Welt”[4]? Hier muß – unter Berufung auf die Autorität Wilhelm Röpkes – vor dem „schweren und sogar verhängnisvollen” Irrtum gewarnt werden, „daß die Organisation der Wirtschaft […] den Philosophen nicht berühre, der im geistig-politischen Bereich liberal, im wirtschaftlichen jedoch ein Kollektivist sein könne”.[5] Was soll ein Liberalismus ohne Liberalismus?

Verwunderung erweckt ferner, daß ein Denker vom Format Dahrendorfs sich dazu hergibt, Ernst Jünger – gegen den gewiß viel eingewendet werden kann – in weitgehend polemischer Manier abzufertigen (vgl. S. 120f.); dabei wird Jüngers Auf den Marmorklippen fehlerhaft nacherzählt.[6] Auf diesen Lapsus jedoch folgt wie Sonnenschein auf Regen ein äußerst wertvoller Vergleich Jüngers mit Theodor W. Adorno, dessen „reines Schauen aus dem Glaskäfig der ästhetischen Verfremdung […] in manchem dem von Jünger eng verwandt” (S. 123) sei. „»Ein bisschen leichtfertiger Höllenspass und ebenso leichtfertiges Revoluzzergeschwätz, wenn auch immer in feinen Worten«, […] (um […] [Dolf] Sternberger zu zitieren). Insofern war Adorno, wie Jünger, ein sehr deutscher Intellektueller.” (S. 125) Ein derartiger Hinweis gibt zu denken; Dahrendorf hat hier ein ernstes Defizit (nicht nur) der deutschen Nationalkultur getroffen, über das man sich Rechenschaft ablegen sollte.

So ist es der Widerwille gegen den moralischen Maximalismus und Manichäismus, auf den Sir Ralf abzielt, wenn er den liberalen Denker zu beschreiben versucht. (In dieser gestalterischen Entscheidung liegt vermutlich die Ferne des Werkes zur Wirtschaftsverfassung begründet, der Liberalismus ohne Liberalismus.) Dahrendorf sieht solche Skepsis in Erasmus von Rotterdam verkörpert, dessen Distanz zu Luthers Eiferertum er hervorhebt (vgl. S.81ff.). Auch dies eine wichtige Lektion! Denn nur allzuoft wird in unserer Zeit derjenige, der nicht eifert, für schwächlich oder prinzipienlos gehalten. Zeigen wir uns damit zivilisierter, gebildeter, weiser – oder auch nur klüger – als Erasmus?

Dahrendorf liest uns also die Leviten. Er tut wohl daran, denn wir haben es nötig. Leider jedoch beeinträchtigt er deren Wirkung durch eine Ungleichbehandlung Jüngers und Adornos: Daß der Verfasser der Marmorklippen bei Sir Ralf keine Gnade findet, wirkt nachvollziehbar. Daß aber Adorno sich gegen Ende des Werkes in ein- und derselben Denker-Kohorte mit Popper und Berlin wiederfindet, bleibt trotz aller Bitten um „Nachsicht und Ironie” (S. 220) unverständlich – nach alledem, was Dahrendorf über (oder: gegen) Adorno festgestellt hatte[7], und noch vor alledem, was Popper über seinen neuen, derart ihm zugedachten Mitgenossen Adorno zu bemerken unabdingbar gefunden hätte.[8] Spätestens hier verliert sich die Entdeckungsreise zu den Quellen des liberalen Geistes im Gestrüpp der Beliebigkeit. So viele bemerkenswerte Portraits, Deutungen und Einsichten – darunter ein melancholisches, von großer Zuneigung gezeichnetes Portrait Englands (vgl. S. 157ff.) – auf dem Wege gesammelt wurden.

Anmerkungen
Samuel Adams: Maxime
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Samuel Adams: Maxime

If ye love wealth better than liberty, the tranquillity of servitude than the animating contest of freedom–go from us in peace. We ask not your counsels or arms. Crouch down and lick the hands which feed you. May your chains sit lightly upon you, and may posterity forget that ye were our countrymen!

Samuel Adams am ersten August im Jahre des Herrn 1776