Res publica

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    Steinhöfel über das Netzwerk-Durchsetzungsgesetz

    Das permanente Operieren mit unbestimmten Rechtsbegriffen wie „Hate speech“ oder „Fake news“ ist deshalb so geschickt, weil es Verunsicherung in die öffentliche Debatte trägt und zur Verängstigung der Menschen bei der Wahrnehmung ihrer Grundrechte führt.

    Ein hörenswerter Vortrag von Joachim Steinhöfel in Berlin. Bitte klicken Sie hier, um zu dem Film zu gelangen.

  • Der verdeckte Lehrplan

    Das bei Cornelsen erschienene Deutsch-als-Fremdsprache-Lehrbuch Prüfungstraining DSD Stufe 1 (2012) von Jürgen Weigmann läßt den Jammer unseres durchideologisierten Schulsystems deutlich hervortreten. Hören Sie selbst:

    Für die meisten Tiere auf der Erde und für den Menschen bringt der Klimawandel Probleme mit sich.

    So beginnt einer der Texte für eine Auswahlübung (S. 147). Gleich danach (S. 148) heißt es:

    Trotz Klimaerwärmung ist das Eis in der Antarktis noch immer sehr dick und Blauwale scheinen sich im eisigen Wasser sehr wohlzufühlen.

    Man hätte die sich dort tummelnden Meeressäuger als Erfolg konkreter Artenschutz-Maßnahmen feiern können, ohne eine Weltuntergangsdrohung an den Beginn zu setzen – piecemeal social engineering (Karl R. Popper) statt Apokalypse. Aber das wäre wohl zu ‚einfach‘ gewesen. Zumal ja immer noch – sorry, „noch immer“ – viel zu viele Menschen in Deutschland mit dem falschen Bewußtsein herumlaufen (S. 130):

    Ich habe das Thema gewählt, […] weil ich der Meinung bin, dass wir noch viel zu wenig tun, um unsere Umwelt zu schützen.

    Oder (ebd.):

    Umweltschutz ist ganz wichtig. […] Wir brauchen eine Welt, die gesund und schön ist.

    Das ist nett. Zumal gerade bundesdeutscher Windmühlen-Wahn die Welt ja wirklich „gesund und schön“ macht. Geht aber eine solche Bestimmung nicht schon ins Neopagane, nähert sich der Kult um Jugend und Gesundheit nicht bedenklich rechtem Gedankengut an?

    Irritierend wirkt zuweilen der Zeitplan (ebd.):

    Deswegen finde ich es sehr gut , dass unsere Stadt damit begonnen hat, Maßnahmen zum Schutz der Umwelt zu ergreifen.

    Sollte Cornelsen diesen Text aus alten Verlagsbeständen recycelt haben? „Begonnen hat“ paßt eher zu den, sagen wir, siebziger oder achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Das Lehrbuch hingegen gibt 2012 als Erscheinungsjahr an, eine volle Generation später.

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    Europas Kinder für Baal-Hammon

    Menschenopfer waren unter vielen Kulturen verbreitet. Daß die Sache noch nicht ausgestanden ist, verdeutlichen die Ereignisse der vergangenen Monate. Wir sind eher geneigt, unsere Kinder dem Götzen von Multikulti und Toleranz, des virtue signalling, der Politischen Korrektheit zu opfern, als etwas zu unternehmen.

    Wir spielen Karthago.  Eine unerwartete Folge unserer De-Christianisierung. Sollten wir vergessen haben, daß das alte abhorret vacuum eben nicht nur für natura gilt?

    Bemerkenswert überdies: So viele Europäer haben keine Kinder, die sie opfern könnten. Die Kanzlerin ist kinderlos, der neue Präsident Frankreichs ebenfalls. Für viele meiner deutschen Bekannten gilt Entsprechendes; „ich brauche das nicht“, sagen sie. – Nun, dann opfert man eben fremde Kinder. Werner Reichel:

    Ein Mädchen, das sich für das Konzert ihres Idols extra schön gemacht und lustige Partyohren aufgesetzt hat, steht, eingehüllt in eine Decke, neben einem Polizeiauto und schaut verstört und verängstig in eine Kamera. Ein Bild, das sich einbrennt, ein Bild, das mehr über das Massaker in Manchester und den Zustand Europas aussagt, als die unzähligen Berichte, Analysen, Experten-Interviews und Einschätzungen, mit den immer selben beliebigen Aussagen und Antworten, die gerade in Dauerschleife auf den europäischen TV-Sendern laufen.

    Nur wer selbst Kinder oder gar eine Tochter in diesem Alter hat, kann überhaupt ermessen, was in diesem Mädchen auf dem beschriebenen Bild vorgeht, was das für ihre Psyche, ihrer Zukunft und ihr Leben bedeutet. Die unzähligen kinderlosen Europäer haben nicht die geringste Ahnung, was so ein Blutbad für die überlebenden Kinder, ihre Eltern oder die Eltern und Geschwister der zerfetzten Opfer bedeutet.  Nein, können sie nicht, auch wenn sie so tun als ob. Eine Eltern-Kind-Beziehung und all die daraus erwachsenden Gefühle, Bindungen und Verantwortlichkeiten sind für kinderlose Menschen einfach nicht begreif-, nicht nachvollziehbar.

    Statt solcher Bindungen und der Verantwortlichkeit, die aus ihnen erwächst, herrscht in den Hirnen zu vieler Europäer der Wunsch, ein etwas zu lautes, zu empfindliches Gut-Sein herauszukehren, mit dem es schon deshalb nicht allzu weit her sein kann, weil jeder, der es aus den lautersten Beweggründen heraus kritisiert, zum Rechtspopulisten oder Nazi erklärt wird. Weshalb seid Ihr so empfindlich?

    Weil der interkulturelle Dialog außerhalb gepflegter Seminargebäude kollabiert?

    Nein, sondern deshalb, weil Ihr einem Kult anhängt, einem grotesken Todeskult: Kulturmarxismus trifft Neopaganismus. Selbsthaß wird zur Tugend.

  • Blumen und Teddybären

    Wahrscheinlich geht es Ihnen wie mir: Sie können die Blumen und Teddybären, Teelichte und gefühlig-korrekt betexteten Karten nicht mehr sehen, die nach einem jeden Anschlag, der im Namen Allahs geschehen ist, aus dem Boden wachsen. Wo sind die Opfer? Nähern wir uns einem von ihnen, einem elfjährigen Mädchen namens Ebba Åkerlund. Schauen Sie sich das Bild der toten Ebba an. Sie finden es leicht. Aber sie werden es nicht so leicht vergessen.

    Ebbas Körper wurde unterhalb der Hüfte zerrissen. Ein Bein liegt nahe am Rumpf. Zwischen ihm und dem Leib des Mädchens ist eine Art Fleisch-Brei, den man nicht beschreiben möchte. Seine Farbe verstört. Das andere Bein, abgerissen und etwa einen halben Meter vom Körper der Ermordeten liegend, zeigt mit dem Knie nach links, vom zerstörten Leib, den es getragen, fort; sein Fuß liegt mit der Ferse zum Antlitz der Toten. Beide Füße stecken in hellbraunen Freizeitschuhen mit weiß abgesetzten Sohlen.

    Der linke Arm des Mädchens ragt auf den Betrachter zu. Die Hand scheint unversehrt. Der Kunstfell-Rand der blauen Wetterjacke ist an einem Ende von dem Fleisch-Brei bespritzt.

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    Unernst über Hanau

    Zwei Artikel der Welt beschreiben Massenprügeleien in Hanau. Beteiligt seien „sowohl Deutsche als auch Deutsche mit Migrationshintergrund und Ausländer“, dazu sog. Flüchtlinge. Ein Unbeteiligter von 38 Jahren wurde dabei so verprügelt, daß er möglicherweise blind wird.

    Es lohnt nicht, die Sache selbst zu kommentieren.

    Interessanter ist die äußere Form der Artikel.

    Da ist von „Krawallkids“ die Rede. Das ist rührend. Man scheint bei der Welt zu meinen, es handle sich um etwas größere Kinder, die ein wenig über die Stränge schlagen. Gleichzeitig wird behauptet, es sei ein Neunzehnjähriger festgenommen worden. – Ja, was denn nun? Kinder oder junge Männer?

    Vielleicht tun wir uns keinen Gefallen mit solcher Unklarheit. Um die Sache an einem Beispiel zu erklären: Mit neunzehn Jahren nahm Ernst Jünger am Ersten Weltkrieg teil, um mit dreiundzwanzig Jahren nicht weniger als den Pour le Mérite zu erhalten. Es ist denkbar, daß sich unsere Maßstäbe hinsichtlich grundlegender Dinge wie Lebensalter und -phasen seltsam verschoben haben, inzwischen durchweg verschroben sind.

    Drollig auch der Hinweis, die Beteiligten müßten „die Stärke des Staates zu spüren bekommen“. Sagt der Sozialdezernent in Hanau, Axel Weiss-Thiel, ein SPD-Mitglied. Das können wir uns vorstellen. Zumal gleich darauf das ganze „soziale“ Programm heruntergeleiert wird, einschließlich Gewaltprävention ab Kindergarten, die Poeten der Welt von einer „betreuungsintensiven Klientel“ schreiben.

    Über den Dünkel, auch den Rassismus, der in einem derartigen Nicht-Für-Voll-Nehmen verborgen ist, braucht kein Wort verloren zu werden.

    (Bild: J.M.W. Turner, Snow Storm: Steam-Boat off a Harbour’s Mouth, Wikipedia.)

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    Ein zivilisiertes Ad-hominem-Argument

    …präsentiert uns der gute Herr Fleischhauer bezüglich derjenigen, welche die Einwanderungspolitik der Regierung Merkel ablehnen. Sie seien – so wörtlich – „Asylapokalyptiker“; ein „ausgeprägtes Katastrophenbewusstsein“ kennzeichne sie. Darin glichen sie den verbissenen Atomkraftgegnern der achtziger Jahre.

    Es erfrischt, in der Diskussion um die „Flüchtlinge“ auch einmal auf ein elegant und geistreich – ja, geistreich: denn das ist der Vergleich zu den Atomkraft-Apokalyptikern – ausgeführtes Argument ad hominem zu stoßen. Zweifellos eine Wohltat im Vergleich zu dem ewigen „Pack!“- und „Nazi!“-Geschreie.

    Über le waldsterben und die – deutsche – Hysterie darum ließe sich ähnlich argumentieren.

    Gleichwohl bleibt ein adhominem-Argument ein adhominem-Argument: Es sagt herzlich wenig ad rem, zur Sache. Deshalb mangelt den Ausführungen des wackeren Herrn Fleischhauer jedwede Relevanz.

    Zumal die Besorgnis, auf die sich Herr Fleischhauer bezieht, im Unterschied zum deutschen Endzeit-Ökologismus eben kein spezifisch deutsches Phänomen darstellt. 

    (Bild: J. M. W. Turner, Selbstportrait (Ausschnitt), via Wikipedia.)

  • We’re Wide Open

    Gerade einmal 18 Prozent der Deutschen sind bereit, ihr Land mit der Waffe in der Hand zu verteidigen (2015). Weniger als jeder Fünfte.

    Die Bundeswehr ist allenfalls „bedingt“ einsatzbereit. Bei einer Stärke von 177.000 Mann. (Ich bitte, die reaktionäre Ausdrucksweise zu verzeihen.)

    Unterdessen läßt sich erfahren, daß selbst unsere britischen Freunde an Wehrhaftigkeit eingebüßt haben. Der ehemalige Chef des Britischen Generalstabs, General Sir Richard Barrons, geht mit den britischen Streitkräften hart ins Gericht. Man verlasse sich auf den Schutz der Amerikaner, lege zu großen Wert auf teure Waffensysteme, die man sich bloß in viel zu kleinen Stückzahlen leisten könne. Dies mache verwundbar. Um das Vereinigte Königreich seiner Verteidigung durch F-35 zu entkleiden, müsse man die Maschinen gar nicht abschießen, so der General; es reiche die knapp vier Dutzend Piloten, die sie fliegen können, im Schlaf zu ermorden.

    (Bild: Manöver Allied Spirit IV, Wikimedia Commons.)

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    Fürbitten-Kitsch

    Den vielleicht heikelsten Moment einer heiligen Messe bilden die Fürbitten. Kürzlich erst durfte man – während einer deutschsprachigen Meßfeier in Krakau, aber das tut wenig zur Sache – hören, daß die Wohlhabenden doch bitte das Teilen lernen möchten. Wie banal und dumm das ist – wo doch im europäischen Teil dessen, was wir „den Westen“ zu nennen pflegen, Steuerquoten herrschen, die spätestens dann, wenn die indirekten Steuern einschließlich Inflation mitgerechnet werden, vom Lohn, Gehalt oder Sold des durchschnittlichen oder auch etwas wohlhabenderen Mitteleuropäers gewaltige Stücke abzwacken. Die Guten müssen nicht das Teilen lernen, weder in Polen, noch in Deutschland, Frankreich oder Großbritannien. Das Teilen wird für sie von Staats wegen erledigt. Eher müßten sie das Behalten und Für-die-eigene-Familie-Nutzen lernen: nachhaltigen Wohlstand für sich selbst und ihre Kinder und Kindeskinder anzulegen. (Um Letzteres mag es der festeren Familienbindung wegen in Polen besser stehen als in den anderen genannten Staaten.)

    Nun möchte mancher den Einwand führen, es gehe nicht um Verdienst und Einkünfte, sondern um Wohlstand. Dergleichen wirkt mehr als drollig. Wo kommt es denn her, das Geteilte oder noch zu Teilende? Fällt es wie Manna vom Himmel? Nein, es wird erwirtschaftet. Und da das Erwirtschaftete heftig besteuert wird, wird „großzügiges“ Teilen staatlicherseits vorgenommen, bevor an private Barmherzigkeit überhaupt gedacht werden kann. – Hier sehen wir den unter Intellektuellen recht beliebten Trick, den Wohlstand von dessen Genese zu isolieren, um sogleich zu mehr oder minder geistreichen Reflexion über Prinzipien voranzuschreiten, nach denen er „verteilt“ werden solle. Daß solche Kniffe wirtschaftliche Erträge schlankerhand konfiszieren und sozialisieren – vulgo: ihren Besitzern wegnehmen -, während im Vollgefühl der eigenen Güte, gegebenenfalls auch Christlichkeit gesprochen wird, verdient kopfschüttelnd-kritische Aufmerksamkeit. Barmherzigkeit aus anderer Leute Taschen?

    Wie arg die Dinge in Deutschland liegen, zeigt eine Passage aus Paul Kirchhofs Der sanfte Verlust der Freiheit (Wien 2004). Darin trägt ein Kapitel doch tatsächlich die Überschrift: „Der Steuerpflichtige darf mindestens die Hälfte behalten“.  Wie Kirchhof auf die Hälfte kommt? Er beruft sich auf das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, in dem über das Eigentum festgestellt wird, es solle „zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Aus diesem Passus wird das Wort „zugleich“ herausgegriffen und im Sinne eines Fifty-Fifty interpretiert:

    Der Eigentumsgebrauch begründet „zugleich“, das heißt in gleicher Weise, zu gleichen Teilen, einen privatnützigen Ertrag und eine steuerliche Gemeinlast. (S.33)

    Dies ist ein bemerkenswerter Gebrauch von „zugleich“. Die meisten Muttersprachler dürften über eine solche Verwendung überrascht sein; zwar wird sie bei Duden verzeichnet, aber lediglich als eine Möglichkeit unter vielen anderen, die sich weit größerer Verbreitung erfreuen – etwa im Sinne eines schlichten „auch“.  Außerdem, und das ist ein fundamentales Defizit, scheinen Staatsrechtler, die derart argumentieren, ihren Mandeville vergessen zu haben. Tröstlicherweise konstatiert Kirchhof:

    Die Obergrenze in der Nähe hälftiger Teilung betrifft die Gesamtsteuerlast, muss also nach Addition von direkten und indirekten Steuern gewahrt bleiben.“ (S. 34)

    Über die kulturellen Folgen dieser beständigen Konfiskation unterrichtet Wilhelm Röpke.

    Eine weitere Kategorie von dämlichen Fürbitten ist mir in einer Gegend aufgestoßen, wo viele Berg- und Hüttenwerke betrieben werden; es möge den Kumpels und Hüttenarbeitern ein gerechter Lohn gezahlt werden. Was für ein schönes Beispiel für die Einbildung, etwas zu wissen, wo man nichts wissen kann. Wie hoch nämlich soll er denn sein, der „gerechte“ Lohn? Wer will so etwas bestimmen? Und nach welchen Maßgaben? Wie würde das (sehr wahrscheinlich) kaum übersehbare Geflecht von Subventionen, staatlichen Beteiligungen etc. dabei zu berücksichtigen sein? – Die genannte Fürbitte hat keinen feststellbaren Gehalt, sofern keinem bösen, bösen Marktradikalismus das Wort geredet werden soll.

    Und: Natürlich haben staatliche Eingriffe ihre Tücken, nämlich ungewollte Konsequenzen. Wenn Republik X den gesetzlichen Mindestlohn anhebt, um den weniger Begüterten unter ihren Bürgern zu helfen, werden z.B. die Burger- und sonstigen günstigen Restaurants teurer. Oder Mitarbeiter werden durch Maschinen ersetzt, z.B. Bestell-Automaten. Beides dürfte kaum jemanden schmerzen – außer ebenjenen weniger Begüterten.

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