Geschichte

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    Halten Sie den Bären draußen, aber ärgern Sie ihn nicht! Einige Bemerkungen aus ostmitteleuropäischer Perspektive

    USA, NATO, EU, Rußland, China. Wer wie Beate Broßmann mit Siebenmeilenstiefeln durch Zeitgeschichte und Geopolitik stapft, dabei in geheime Hinterzimmer blickt und genau zu erkennen den Anspruch hat, was gespielt werde, muß notwendig atemlos wirken. Schrittmaß und Tempo lassen übersehen, was nicht übersehen werden sollte. Verliebt in den großen Wurf und in gewollter, ja verkrampfter Abgrenzung von den „ungebildeten und verantwortungslosen bis korrupten Politikern“ entsteht ein quasi-imperialer Blick; er fegt in ebenjener Manier über Ostmitteleuropa hinweg, welche der Historiker Prof. Andrzej Nowak kürzlich in Berlin beklagte – nämlich so, als sei Rußland ein (unmittelbarer) Nachbar Deutschlands und als gebe es in Ostmitteleuropa keine legitimen Interessen, die sich von jenen des „Westens“ oder der Russischen Föderation unterscheiden. Entsprechend wird auch der Blick auf den Ukraine-Krieg zu dem eines Fernsichtigen, welchem entscheidende Details entgehen.

    Ob, wie Broßmann ausführt, „Mainstream-Medien […] Geheimdienstpropaganda verbreiten“, um Kriegsbereitschaft zu schüren, oder aber dasjenige, was Illuminati, Freimaurer oder Glasbläser unters Volk gebracht sehen wollen, entzieht sich meiner Kenntnis. Das kann ja auch gar nicht anders sein, wenn jene Dunkelmänner ihr Handwerk verstehen. Gewiß hingegen scheint mir, daß es Gegenden gibt, in denen „eingeimpfte Russophobie“ überflüssig ist. Die Polen etwa bedürfen keiner derartigen Impfkampagne, weil sie zur Genüge eigene Erfahrungen mit den Russen bzw. Sowjets gemacht haben. Als Beispiele für diese Erfahrungen aus erster – und nicht selten blutiger – Hand lassen sich anführen: das von General Suvorov gebilligte Massaker in den östlich der Weichsel gelegenen Teilen Warschaus 1794 (Rzeź Pragi, zwischen 13.000 und 20.000 getötete Männer, Frauen und Kinder) während des Kościuszko-Aufstandes; die Russifizierungsversuche in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg; die Deportation ethnischer Polen nach Sibirien und Kasachstan im Anschluß an den Ribbentrop-Molotov-Pakt, der von deutschen Fortschrittlern und Rußland-Freunden gern ‚vergessen‘ wird; die Ermordung tausender polnischer Offiziere Polens bei Katyń und weiteren Ortschaften; die Einsetzung kommunistischer Satrapen in Polen nach 1945, einschließlich der Repressalien gegen Kämpfer der polnischen Heimatarmee (Armia Krajowa), den Klerus und sonstige Eliten, soweit sie die Vernichtungspolitik der deutschen Nationalsozialisten und der Bolschewisten bis Kriegsende überstanden hatten. Der Justizmord an Witold Pilecki bildet nur ein Beispiel für diese Greuel. 

    Langer Rede kurzer Sinn: das Aufblühen Ostmitteleuropas hängt natürlich damit zusammen, daß die Russen bzw. Sowjets dort nichts mehr zu sagen haben. Der Aufstieg Polens fügt sich in diese Erfolgsstory ein. Deutsche führen sie gern auf EU-Subventionen zurück, verkennen aber die Tüchtigkeit der Menschen dort. In jedem Falle sollten die ostmitteleuropäischen Staaten, sollte Europa alles Notwendige dafür tun, den russischen Bären dort zu halten, wo er jetzt ist. Glaubhafte Abschreckung wäre eine vernünftige Maxime und Realpolitik im besten Sinne. Jedes Mehr wäre unklug. Es führt zu nichts Gutem, den Russen mit der Zerschlagung ihres Landes zu drohen oder von Regime Change zu schwätzen. Don’t poke the bear!

    Bezüglich des Ukraine-Kriegs sei hier lediglich vermerkt, daß der Betrachter Bescheidenheit an den Tag legen sollte. Es amüsiert, wenn kaum einer der Schreibtisch-Generäle und Weltendeuter westlich von Oder und Neiße die Namen der Ort- und Landschaften aussprechen kann, um die gekämpft wird. Doch stellt sich Bestürzung ein, sobald deutlich wird, daß kaum einer derjenigen, die da jetzt den Clausewitz oder Spengler spielen, einen Schimmer von slawischen Realien und slawischer Stärke hat. Schließlich darf es als aussichtslos gelten, ein Volk wie die Russen durch Sanktionen in die Knie zwingen zu wollen. Daß sich die Polen weder durch Krieg, Teilung noch eine genozidale Besatzungspolitik seitens der Deutschen 1939-45, einschließlich der systematischen Ausmordung polnischer Eliten (Professoren, Lehrer etc.) – auch darauf hat Andrzej Nowak in Berlin hingewiesen – unterkriegen lassen, haben sie in ihrer Geschichte heldenhaft bewiesen.

    Zu den erwähnten Realien gehören innerslawische Feindseligkeiten. Sie belasten unter anderem das Verhältnis von Polen und Ukrainern. 1943-1945 verübten ukrainische Nationalisten Massenmord an den polnischen Einwohnern Wolhyniens und Ostgaliziens (Zbrodnia wołyńska, Rzeź wołyńska, rund 100.000 Tote). Die Würdigung dieses Völkermords bleibt bis heute ein Streitpunkt zwischen der Republik Polen und der ukrainischen Führung (vgl. Grzegorz Motyka, Wołyń ’43, Kraków: Wydawnictwo Literackie 2016, S. 238-247). 2024 wurde in Südostpolen ein Denkmal für die polnischen Opfer enthüllt. Es zeigt unter anderem ein auf einen Dreizack gespießtes Kind, wobei der Dreizack auf das Wappen der Ukraine anspielt. Im August 2025 wurde der Sockel des Denkmals mit der Losung „Slava UPA“ (Ruhm der Ukrainischen Aufstandsarmee) und der rot-schwarzen Flagge der Bandera-Bewegung besprüht. An alledem läßt sich erahnen, daß ganz unabhängig von der Frage, was recht eigentlich im Ukraine-Krieg verteidigt werde, mit dem Ende der Feindseligkeiten in der Ostukraine kein ewiger Friede anbrechen dürfte. Der konservative – und ‚kontroverse‘ – polnische Politiker und Publizist Janusz Korwin-Mikke hält in einem Tweet vom 2. Oktober 2025 einen polnisch-ukrainischen Konflikt in zehn bis fünfzehn Jahren für mehr als wahrscheinlich.

    Der Verfasser der vorliegenden Zeilen maßt sich nicht an, Genese und Wesen des Ukraine-Kriegs zu verstehen. Doch scheint ihm empfehlenswert, die ‚großen‘ Deutungen durch ‚lokale‘ Analysen zu ergänzen, zumal erstere stets nur die üblichen Verdächtigen mit ihren Akronymen oder die Standard-Schurken aus Übersee ans Licht fördern. Das ist langweilig. Kluge Betrachter sollten ihre Siebenmeilenstiefel ausziehen. Wer die Dinge allzusehr durchschaut, verliert sie aus den Augen.   


    Erstveröffentlichung: Blog der Zeitschrift Tumult, 3.11.2025.

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    Max Weber: die Windbeutelei der moralisch Erregten

    [W]enn jetzt in diesen Zeiten einer, wie Sie glauben, nicht „sterilen“ Aufgeregtheit – aber Aufgeregtheit ist eben doch und durchaus nicht immer echte Leidenschaft -, wenn da plötzlich die Gesinnungspolitiker massenhaft in das Kraut schießen mit der Parole: „die Welt ist dumm und gemein, nicht ich, die Verantwortung für die Folgen trifft nicht mich, sondern die andern, in deren Dienst ich arbeite, und deren Dummheit oder Gemeinheit ich ausrotten werde“, so sage ich offen: daß ich zunächst einmal nach dem Maße des inneren Schwergewichts frage, was hinter dieser Gesinnungsethik steht, und den Eindruck habe: daß ich es in neun von zehn Fällen mit Windbeuteln zu tun habe, die nicht real fühlen, was sie auf sich nehmen, sondern sich an romantischen Sensationen berauschen.

    Max Weber, Politik als Beruf, München und Leipzig 1919, S. 64-65.

    (Bild: Max Weber im Jahr 1918, Wikipedia, gemeinfrei.)

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    Max Scheler: Ein Kurzportrait zum 150. Geburtstag

    Max Scheler feiert 150. Geburtstag. Höchste Zeit also, ihn vor dem schlimmsten Los zu bewahren, das einem Denker drohen kann: zum Klassiker und folglich unschädlich gemacht zu werden.

    Von allen Schriften Schelers empfiehlt sich zum Einstieg – und zu vielfachem Wiederlesen – seine rund 120 Seiten zählende Studie über Das Ressentiment im Aufbau der Moralen, deren erste Fassung unter dem Titel Ressentiment und moralisches Werturteil 1912 in Leipzig erschienen ist. 

    Schelers Thema stammt von Nietzsche her, das Ressentiment als schöpferische Rache der Talent- und Charakterlosen, der Ungestalten und sonstwie Zukurzgekommenen an Gott und der Welt. Schöpferisch wird ihre Rache per Umwertung: sie stülpt die eigentliche Wertordnung um, so daß sie auf dem Kopf steht. Im Ergebnis gilt, wie in Deutschland leider sehr ausgeprägt, der Elegante als ‚flach‘, der Grobschlächtige als ‚authentisch‘, und Erfolgreiche werden als Leute verlacht, die psychische Defizite kompensieren.  

    Schelers Ressentiment-Schrift modifiziert Nietzsches Standpunkt – gerade dort, wo jener, wie es in Ecce Homo heißt, „Dionysos gegen den Gekreuzigten“ antreten läßt. Das Christentum wird nun nicht mehr in Bausch und Bogen als Ausfluß des Ressentiments verurteilt. Für Scheler ist klar, „daß die Wurzel der christlichen Liebe von Ressentiment völlig frei ist – daß aber andererseits keine Idee leichter durch vorhandenes Ressentiment für dessen Tendenzen zu verwenden ist, um eine jener Idee entsprechende Emotion vorzutäuschen“. Wo wir beim Vortäuschen sind: Schelers Abhandlung besticht durch ihre Analyse der „Werttäuschungen“ als Folge von Ressentiment und Ursache beständigen Unglücks auf Seiten der Verbitterten, da die Täuschungen stets unvollständig bleiben. Die eigentlichen Werte sind, so Scheler, „noch da, aber gleichsam überdeckt von den Täuschungswerten, durch die sie nur schwach hindurchscheinen.“ Der Ressentiment-Mensch weiß, daß er in einer Scheinwelt lebt. Das mag das rasche Aufbrausen vieler unserer Gutmenschen erklären. 

    Mit Schelers ‚Rettung‘ des Christentums öffnet sich eine faszinierende Rezeptionslinie. Karol Wojtyła, der spätere Johannes Paul II., verfaßt eine Habilitationsschrift über Scheler und variiert dort dessen Formel bezüglich des Christentums. Schelers Theorie sei – es folgt eine geraffte Übertragung des polnischen Originals – prinzipiell ungeeignet, um die christliche Ethik zu interpretieren, erweise sich jedoch als nützlich, wo es in der wissenschaftlichen Arbeit von Theologen darum gehe, ethische Phänomene und Erfahrungen zu analysieren. Aus Wojtyłas Habilitation allerdings sollte, den Realien in der Volksrepublik Polen geschuldet, nichts werden.

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    Prolet, aber schnieke

    Wolf Jobst Siedler berichtet in seiner lesenswerten Aufsatz- und Briefsammlung Wider den Strich gedacht über den am Boulevard Unter den Linden angesiedelten Berliner

    Herrenschneider Ludwig, der in seinem ausgebombten Haus noch nach dem Kriege sein Geschäft betrieb. Ein Kunde prägte sich ihm besonders ein, weil der stets Arbeiteranzüge und Schiebermützen bestellte, aber aus feinstem englischen Stoff. Sein Name war Bertolt Brecht.

    Das war in jeder Hinsicht zu erwarten…

    (Quelle: Wolf Jobst Siedler, „Bürgerliche Straßen in unbürgerlicher Welt“, in: ders., Wider den Strich gedacht, München 2006, S. 49-68, hier S. 61. Beitragsbild: Berlin, Unter den Linden (1890-1900), also einige Jahrzehnte zu früh, an Brecht gemessen; Library of Congress: No known restrictions on publication.)

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    Massenschlachtungen und die Gefahr von Irrtümern

    Nun sollen Massenschlachtungen das Klima retten. Tausende Rinder sollen getötet werden, um die Klimakatastrophe abzuwenden.

    Woran erinnert mich das?

    1915 tobte der Erste Weltkrieg. Im März dieses „Sündenjährchens“ (Thomas Mann) zeigten sich Wissenschaftler gewiß, daß den Schweinen im Deutschen Reich das Futter ausgehen werde, die Tiere also zu schlachten sein – fünf Millionen Stück. Natürlich lief die Sache auf unvorhergesehene Konsequenzen hinaus. Der Riesenberg an Fleisch war nicht zu bewältigen. In kriegsbedingt minderwertige Konserven abgefüllt, man brauchte das Metall für Granaten, war ein Großteil des Schweinefleischs im Herbst 1915 bereits verdorben.

    1916 zeigte sich dann, wie Udo Pollmer ausführt, daß der Schweinedung nicht ausreichte, um auf den Äckern befriedigende Erträge zu erwirtschaften. Der Erträge sanken um mehr als die Hälfte im Vergleich zu den letzten Friedensjahren. Kunstdünger stand nicht zur Verfügung, da dessen Zutaten in die Sprengstoff- und Munitionsproduktion gingen. Schließlich bewirkte ein äußerst regnerischer Herbst eine Kartoffel-Mißernte. Damit brach jene Ernährungskatastrophe an, die sich unter den Bezeichnungen „Steckrübenwinter“ oder „Kohlrübenwinter“ in das kollektive Bewußtsein der Deutschen eingegraben hat. (Die Erinnerung eines Zeitzeugen finden Sie hier.)

    Alles in allem: Der „Schweinemord“ 1915 war, wie Reinhard Güll konstatiert, „eine fatale Fehlentscheidung“.

    Was ist daran lernen? Diesseits grundsätzlicher Überlegungen über den Sinn und Unsinn von Kriegen das Folgende: Seien Sie skeptisch gegenüber den Empfehlungen sogenannter „Experten“, die den großen Überblick zu haben den Anspruch verkünden und Maßnahmen umgesetzt sehen wollen, die, sofern sie schiefgehen, gewaltige Übel hervorrufen! Nicht umsonst wird die große Schweinetötung auch als „Professorenschlachtung“ bezeichnet – zu (zweifelhaften) Ehren jener, die sie empfohlen haben.

    Und: Es ist aus handlungslogischen und epistemologischen Gründen weit wahrscheinlicher, daß derart gewaltige Pläne fehlschlagen, als daß sie funktionieren. Es gibt schlechterdings viel zu viele Sachverhalte, die berücksichtigt werden müssen, und außerdem viel zu viele Relationen, Spannungen etc. zwischen diesen Sachverhalten. Kein Geringerer als Friedrich August von Hayek spricht in diesem Zusammenhang von „The Pretence of Knowledge“ – vom So-Tun-als-ob-man-Wissen-besäße der „Experten“.

    (Das Wort Thomas Manns finden Sie im letzten Absatz seines Romans Der Zauberberg. Beitragsbild: Unsplash.com.)

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    Mikołaj Zieleński: Magnificat

    Wie das Magnificat von Mikołaj Zieleński (gest. nach 1615) aufzuführen – und nicht aufzuführen – sei, erfahren Sie in diesem Film von knapp drei Viertelstunden Länge. In polnischer Sprache mit englischen Untertiteln. Es lohnt sich!

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    Von allen guten Geistern verlassen? Paul Kengors „The Devil and Karl Marx“

    Orbis Linguarum 55 (2021) – PDF

    Paul Kengor eröffnet das erste Kapitel seines Buches The Devil and Karl Marx, indem er den Beginn des Kommunistischen Manifests in englischer Übersetzung zitiert. Er kündigt diesen Beginn als „so passend, daß es gruseln macht,“ („eerily apt“) an:

    The opening lines of the Communist Manifesto could not have been more eerily apt: “A specter is haunting Europe – the specter of communism,” wrote Karl Marx and Friedrich Engels in 1848. “All the powers of old Europe have entered into a holy alliance to exorcise this specter: Pope and Tsar, Metternich and Guizot, French Radicals and German police-spies.[1]

    Der Teufel und Karl Marx, die Heilige Allianz, ein Exorzismus – diese Elemente schlagen die Tonart eines Buches an, das profunde Kommunismus-Kritik von einem katholischen Standpunkt leisten möchte. Nur unterläuft Kengor in der gegebenen Passage ein handwerklicher Fehler. Er zitiert die Übersetzung, ohne das deutsche Original geprüft zu haben. Dort findet sich kein Wort vom Exorzismus, keine Heilige Allianz, sondern eine Treibjagd-Metapher: 

    Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus. Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet, der Papst und der Zar, Metternich und Guizot, französische Radikale und deutsche Polizisten.[2]

    Hier wirkt nichts mehr „eerily apt“, und damit fällt die fanfarenhaft angelegte Eröffnung des ersten Kapitels in sich zusammen. Bespricht Kengor im zweiten Kapitel Marx‘ Gedichte in englischer Übersetzung, ohne das deutsche Original anzuführen, leidet die Glaubwürdigkeit seiner Ausführungen unter dem bedenklichen Eindruck, den die Introduktion in das erste Kapitel hervorgerufen hat. Kann man sich auf diese Übersetzungen verlassen? Kurioserweise wird das einzige im deutschen Original zitierte Gedicht konsequent ohne Umlaute (und mit einem weiteren Fehler) wiedergegeben; es handelt sich um acht auf Karl Marx gemünzte Verse von Friedrich Engels, deren erster lautet: „Wer jaget hinterdrein mit wildem Ungestum [sic!]“.[3]
    Über Kengors Interpretation der Marxschen Gedichte ist nicht viel zu sagen. Weit interessanter wirkt sein Umgang mit zwei Dichtern, die Marx‘ Landsleute waren: Goethe und Heine.

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    Die Propaganda in der Propaganda

    Das DDR-Schulbuch „Staatsbürgerkunde 8“ aus dem Jahre 1984, erschienen bei „Volk und Wissen Volkseigener Verlag“, enthält drei Teile: 1. „Sozialistischer Staat und sozialistische Demokratie“, 2. „Grundlegende Rechte und Pflichten der Staatsbürger in der Deutschen Demokratischen Republik“, 3. „Die sozialistische DDR und die imperialistische BRD – zwei Staaten mit gegensätzlicher gesellschaftlicher Ordnung“.

    Im dritten Teil kommen zwei Ereignisse zur Sprache, die aus Sicht der damaligen Staatsführung, aber auch aller anderen überzeugten Kommunisten einen Dorn im eigenen Weltbild darstellen: der Volksaufstand vom 17. Juni 1953 und der Beginn des Mauerbaus am 13. August 1961. Wenn der Sozialismus so herrlich war, wieso sperrten sich die Leute dagegen?

    Die Lösung:

    In zäher, intensiver Arbeit hatte man in der BRD und in Westberlin, in Washington, London und Paris den „Tag X“ vorbereitet – jenen Tag, an dem die DDR vernichtet werden sollte. […] Am 17. Juni 1953 drangen Provokateure in die DDR ein und gewannen in Berlin, Leipzig, Halle und einigen anderen Städten der DDR Gruppen von Werktätigen zum Streik. (S. 98-99, meine Hervorhebung)

    Soweit das James-Bond-Szenario für den 17. Juni. Die Erklärung für den Mauerbau 1961 funktioniert ähnlich:

    In einem Blitzkrieg sollte die DDR überrollt werden, nachdem aus Westberlin eingeschleuste Konterrevolutionäre einen Putsch organisiert und eine „neue Regierung“ ausgerufen hätten. (S. 99, meine Hervorhebung)

    Das also sollte der Mauerbau verhindern. So weit, so grotesk. Nicht ernstzunehmen. Oder doch?

    Denn der Text des Schulbuchs enthält einen Propaganda-Kniff der besonderen Art; er suggeriert, daß viele derjenigen, welche Sozialismus oder Kommunismus ablehnen, Nazis unterstützen oder billigend in Kauf nehmen, daß Nazis ungestraft Verbrechen begehen können. So 1953:

    In einigen Fällen wurden faschistische Kriegsverbrecher, die in Strafanstalten der DDR ihre gerechte Strafe verbüßten, aus den Gefängnissen geholt. Sie hetzten die Massen zum Mord an Volkspolizisten und Parteifunktionären auf. (S. 99)

    Für das Jahr 1961 wird mit der Unterstellung, daß die Westalliierten zusammen mit der Bundesrepublik Deutschland nicht irgendeinen Krieg, sondern einen „Blitzkrieg“ gegen die DDR geplant hätten, die Idee nahegelegt, daß der „Imperialismus“ – die freien Staaten des Westens – in irgendeiner Weise das Werk der Nazis fortsetze.

    Beides ist natürlich Unsinn. Wer für die Freiheit und folglich (u.a.) gegen Sozialismus und Kommunismus eintritt, hat keinerlei Interesse daran, einen mörderischen Kollektivismus durch einen anderen, noch abscheulicheren Kollektivismus zu ersetzen.

    Wir erkennen die Propaganda in der Propaganda.

    Bild: Pixabay.