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    „Vom besonderen Unglück tüchtigerer Minderheiten. Eine Reaktualisierung des Werks von Helmut Schoeck“ jetzt im Open Access erhältlich

    Meine 2023 publizierte Monographie über den Soziologen und Neidforscher Helmut Schoeck steht jetzt im Open Access zur Verfügung. Sie finden den Link zum kostenlosen Download des Buches hier, im Repositorium „Opus“ der Schlesischen Universität in Katowice (Kattowitz), Polen.

    Natürlich ist die ‚traditionelle‘ Ausgabe, ein gebundenes Buch mit schönem Satz auf cremefarbenem Papier weiterhin erhältlich.

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    Halten Sie den Bären draußen, aber ärgern Sie ihn nicht! Einige Bemerkungen aus ostmitteleuropäischer Perspektive

    USA, NATO, EU, Rußland, China. Wer wie Beate Broßmann mit Siebenmeilenstiefeln durch Zeitgeschichte und Geopolitik stapft, dabei in geheime Hinterzimmer blickt und genau zu erkennen den Anspruch hat, was gespielt werde, muß notwendig atemlos wirken. Schrittmaß und Tempo lassen übersehen, was nicht übersehen werden sollte. Verliebt in den großen Wurf und in gewollter, ja verkrampfter Abgrenzung von den „ungebildeten und verantwortungslosen bis korrupten Politikern“ entsteht ein quasi-imperialer Blick; er fegt in ebenjener Manier über Ostmitteleuropa hinweg, welche der Historiker Prof. Andrzej Nowak kürzlich in Berlin beklagte – nämlich so, als sei Rußland ein (unmittelbarer) Nachbar Deutschlands und als gebe es in Ostmitteleuropa keine legitimen Interessen, die sich von jenen des „Westens“ oder der Russischen Föderation unterscheiden. Entsprechend wird auch der Blick auf den Ukraine-Krieg zu dem eines Fernsichtigen, welchem entscheidende Details entgehen.

    Ob, wie Broßmann ausführt, „Mainstream-Medien […] Geheimdienstpropaganda verbreiten“, um Kriegsbereitschaft zu schüren, oder aber dasjenige, was Illuminati, Freimaurer oder Glasbläser unters Volk gebracht sehen wollen, entzieht sich meiner Kenntnis. Das kann ja auch gar nicht anders sein, wenn jene Dunkelmänner ihr Handwerk verstehen. Gewiß hingegen scheint mir, daß es Gegenden gibt, in denen „eingeimpfte Russophobie“ überflüssig ist. Die Polen etwa bedürfen keiner derartigen Impfkampagne, weil sie zur Genüge eigene Erfahrungen mit den Russen bzw. Sowjets gemacht haben. Als Beispiele für diese Erfahrungen aus erster – und nicht selten blutiger – Hand lassen sich anführen: das von General Suvorov gebilligte Massaker in den östlich der Weichsel gelegenen Teilen Warschaus 1794 (Rzeź Pragi, zwischen 13.000 und 20.000 getötete Männer, Frauen und Kinder) während des Kościuszko-Aufstandes; die Russifizierungsversuche in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg; die Deportation ethnischer Polen nach Sibirien und Kasachstan im Anschluß an den Ribbentrop-Molotov-Pakt, der von deutschen Fortschrittlern und Rußland-Freunden gern ‚vergessen‘ wird; die Ermordung tausender polnischer Offiziere Polens bei Katyń und weiteren Ortschaften; die Einsetzung kommunistischer Satrapen in Polen nach 1945, einschließlich der Repressalien gegen Kämpfer der polnischen Heimatarmee (Armia Krajowa), den Klerus und sonstige Eliten, soweit sie die Vernichtungspolitik der deutschen Nationalsozialisten und der Bolschewisten bis Kriegsende überstanden hatten. Der Justizmord an Witold Pilecki bildet nur ein Beispiel für diese Greuel. 

    Langer Rede kurzer Sinn: das Aufblühen Ostmitteleuropas hängt natürlich damit zusammen, daß die Russen bzw. Sowjets dort nichts mehr zu sagen haben. Der Aufstieg Polens fügt sich in diese Erfolgsstory ein. Deutsche führen sie gern auf EU-Subventionen zurück, verkennen aber die Tüchtigkeit der Menschen dort. In jedem Falle sollten die ostmitteleuropäischen Staaten, sollte Europa alles Notwendige dafür tun, den russischen Bären dort zu halten, wo er jetzt ist. Glaubhafte Abschreckung wäre eine vernünftige Maxime und Realpolitik im besten Sinne. Jedes Mehr wäre unklug. Es führt zu nichts Gutem, den Russen mit der Zerschlagung ihres Landes zu drohen oder von Regime Change zu schwätzen. Don’t poke the bear!

    Bezüglich des Ukraine-Kriegs sei hier lediglich vermerkt, daß der Betrachter Bescheidenheit an den Tag legen sollte. Es amüsiert, wenn kaum einer der Schreibtisch-Generäle und Weltendeuter westlich von Oder und Neiße die Namen der Ort- und Landschaften aussprechen kann, um die gekämpft wird. Doch stellt sich Bestürzung ein, sobald deutlich wird, daß kaum einer derjenigen, die da jetzt den Clausewitz oder Spengler spielen, einen Schimmer von slawischen Realien und slawischer Stärke hat. Schließlich darf es als aussichtslos gelten, ein Volk wie die Russen durch Sanktionen in die Knie zwingen zu wollen. Daß sich die Polen weder durch Krieg, Teilung noch eine genozidale Besatzungspolitik seitens der Deutschen 1939-45, einschließlich der systematischen Ausmordung polnischer Eliten (Professoren, Lehrer etc.) – auch darauf hat Andrzej Nowak in Berlin hingewiesen – unterkriegen lassen, haben sie in ihrer Geschichte heldenhaft bewiesen.

    Zu den erwähnten Realien gehören innerslawische Feindseligkeiten. Sie belasten unter anderem das Verhältnis von Polen und Ukrainern. 1943-1945 verübten ukrainische Nationalisten Massenmord an den polnischen Einwohnern Wolhyniens und Ostgaliziens (Zbrodnia wołyńska, Rzeź wołyńska, rund 100.000 Tote). Die Würdigung dieses Völkermords bleibt bis heute ein Streitpunkt zwischen der Republik Polen und der ukrainischen Führung (vgl. Grzegorz Motyka, Wołyń ’43, Kraków: Wydawnictwo Literackie 2016, S. 238-247). 2024 wurde in Südostpolen ein Denkmal für die polnischen Opfer enthüllt. Es zeigt unter anderem ein auf einen Dreizack gespießtes Kind, wobei der Dreizack auf das Wappen der Ukraine anspielt. Im August 2025 wurde der Sockel des Denkmals mit der Losung „Slava UPA“ (Ruhm der Ukrainischen Aufstandsarmee) und der rot-schwarzen Flagge der Bandera-Bewegung besprüht. An alledem läßt sich erahnen, daß ganz unabhängig von der Frage, was recht eigentlich im Ukraine-Krieg verteidigt werde, mit dem Ende der Feindseligkeiten in der Ostukraine kein ewiger Friede anbrechen dürfte. Der konservative – und ‚kontroverse‘ – polnische Politiker und Publizist Janusz Korwin-Mikke hält in einem Tweet vom 2. Oktober 2025 einen polnisch-ukrainischen Konflikt in zehn bis fünfzehn Jahren für mehr als wahrscheinlich.

    Der Verfasser der vorliegenden Zeilen maßt sich nicht an, Genese und Wesen des Ukraine-Kriegs zu verstehen. Doch scheint ihm empfehlenswert, die ‚großen‘ Deutungen durch ‚lokale‘ Analysen zu ergänzen, zumal erstere stets nur die üblichen Verdächtigen mit ihren Akronymen oder die Standard-Schurken aus Übersee ans Licht fördern. Das ist langweilig. Kluge Betrachter sollten ihre Siebenmeilenstiefel ausziehen. Wer die Dinge allzusehr durchschaut, verliert sie aus den Augen.   


    Erstveröffentlichung: Blog der Zeitschrift Tumult, 3.11.2025.

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    „Was sollen wir lernen, wenn sich alles ändert?“

    So lautet die „Semesterfrage“ der Wiener Universität. Die Antwort ist einfach: Lernt dasjenige, was sich nicht ändert. Also dasjenige, was nicht den schnellebigen Moden des Geistes (und Ungeistes) unterliegt.

    Lernt nicht, daß man – wer ist dieses Man? – neuerdings „schnelllebig“ zu schreiben habe. Versucht lieber, die Prinzipien zu verstehen, die von solchen Moden unberührt bleiben, Prinzipien, die Euch erlauben, jene Moden als schiere Moden zu erkennen und je nach deren Charakter ernst- oder leichtzunehmen.

    Überspitzt könnte man sagen: An der Universität lernt man, was sich nicht ändert. Was sich ändert, lernt man an Hochschulen.

    Das ist nicht ganz wahr, weil auch die Prinzipien der Wissenschaft sich entwickeln, allerdings extrem, extreeem langsam, wie das Schicksal des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten zeigt. Doch mag die Überspitzung als Faustregel taugen.

    Und ja: Hochschulen sind keine Universitäten, echte Universitäten nicht bloß Hochschulen. Verschulung trennt sie – unversöhnlich.

    (Beitragsbild: eigene Photographie.)

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    Stefan George: aus dem Stern des Bundes

    Wer seines reichtums unwert ihn nicht nüzt
    Muss weinen: nicht wer arm ist wer verlor ..
    Du bist der gerte finder deren ruck
    Verrät wo heilsam wasser steigen will
    Und adern goldes in der tiefe ruhn.
    Erschrick nicht staune nicht: ›warum denn ich?‹
    Wirf nicht im trotz das wunderding beiseit
    Weil du es nicht begreifst .. geniess und hilf
    Solang der stab in deiner hand gehorcht.

    (Stefan George, Der Stern des Bundes (Gesamt-Ausgabe der Werke, Bd. VIII), Berlin: Georg Bondi 1928, S. 60; ohne die Kapitälchen des Originals. Bild: Władysław Czachórski, Portret Władka Szernera (1879), Wikimedia Commons, gemeinfrei.)

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    Chestertons Zaun

    Reformer sind oft bloß Zerstörer. Sie machen kaputt, was gut funktionierte, weil sie seinen Zweck nicht verstehen. Warum das so ist, erklärt G. K. Chesterton mit einem einfachen Beispiel und großer Eleganz:

    There exists […] a certain institution or law; let us say, for the sake of simplicity, a fence or gate erected across a road. The more modern type of reformer goes gaily up to it and says, “I don’t see the use of this; let us clear it away.” To which the more intelligent type of reformer will do well to answer: “If you don’t see the use of it, I certainly won’t let you clear it away. Go away and think. Then, when you can come back and tell me that you do see the use of it, I may allow you to destroy it.” […] The gate or fence did not grow there. […] Some person had some reason for thinking it would be a good thing for somebody. And until we know what the reason was, we really cannot judge whether the reason was reasonable. It is extremely probable that we have overlooked some whole aspect of the question […].

    (Nehmen wir an, es gibt eine bestimmte Einrichtung oder ein Gesetz; um die Sache einfacher zu machen, sagen wir: einen Zaun oder ein Tor quer über die Straße. Ein Reformer modernen Zuschnitts wird voller Freude auf ihn zugehen und sagen: „Ich sehe keinen Zweck, dem dieser Zaun dient. Lassen Sie uns ihn entfernen.“ Worauf ein Reformer von schärferer Intelligenz antworten sollte: „Wenn Sie keinen Zweck sehen, dem dieser Zaun dient, werde ich Ihnen nicht erlauben, ihn zu entfernen. Gehen Sie fort und denken Sie nach. Wenn Sie zurückkommen und sich in der Lage zeigen, mir zu sagen, daß Sie den Zweck des Zaunes tatsächlich erkannt haben, erlaube ich Ihnen vielleicht, ihn zu zerstören.“ Das Tor oder der Zaun sind dort nicht gewachsen. Irgend jemand hatte irgendeinen Grund für die Annahme, der Zaun würde irgend jemandem dienen. Und solange wir nicht wissen, worin dieser Grund bestand, können wir kein Urteil darüber treffen, ob dieser Grund vernünftig gewesen sei. Höchstwahrscheinlich haben wir einen ganzen Aspekt des Problems übersehen.)

    Gilbert Keith Chesterton, „The Drift from Domesticity“, in: ders., The Thing, London: Sheed & Ward 1946, S. 29–39, hier S. 29.

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    Recarbonisierung

    Und dann lehnte er sich zurück, der alte Mann, die knotige Linke vom Gartenzaun nehmend, auf den er sich gestützt hatte, strich sich über den Schnurrbart, blinzelte in die Spätnachmittagssonne und sprach: „Was wir brauchen, mein Bester, ist Recarbonisierung. Jetzt.“

    (Bild: Wincenty Wodzinowski (1866-1940), Portret starego wieśniaka (Bildnis eines alten Dörflers), Digitalisat des Muzeum Narodowe w Krakowie. Domena publiczna, gemeinfrei.)