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Tegel

Der Flughafen Berlin-Tegel bekommt bei Nicolaus Fest sein wohlverdientes Fett ab:

Berlin-Tegel. Wie immer, egal ob man aus Doha, Bangkok, New York, London oder Istanbul einfliegt, der Eindruck verhockter Provinzialität. Dort großzügige Tempel der Globalisierung, hier DDR-Charme: Zerschlissene Vorhänge, an den niedrigen Decken verschmutzte Stahllochplatten, kaltes Neonlicht. So präsentiert sich der Flughafen der Hauptstadt. Auch die Organisation rückständig: Der Flieger einer dieser Airbusse mit 40 oder mehr Reihen, bei der Landung erleidet eine Frau einen Schwächeanfall. Trotz einer Position auf dem Außenfeld erhält nur der vordere Ausstieg eine Treppe. So dauert es mehr als 20 Minuten, bis so viele Passagiere das Flugzeug verlassen haben, dass ein Ärzteteam zu der Frau vorstoßen kann – ein handfester Skandal. Endlich, nach weiteren 10 Minuten, ist die zweite Treppe für den hinteren Ausstieg da – die dann immerhin noch von einem (!) Passagier genutzt wird.

Fest weiter:

Ähnlich der Eindruck beim Verlassen des Flughafens: Wie immer scheint der Streit unter den Taxifahrern, wer nun die nächsten Passagiere aufnehmen darf, wichtiger als die Personenbeförderung. Auch das eine Absurdität: Hatten wir nicht in Deutschland irgendwann mal Vertragsfreiheit, wonach also der Kunde entscheiden kann, bei wem er einsteigt? Statt dessen wird man gezwungen, in jedes noch so verkommene Taxi einzusteigen. Andererseits: Auch die Freiheit des Wortes, der Kommunikation oder der Tarifparteien spielt in diesem seltsamen Land immer weniger eine Rolle.

Vergleichbare Empfindungen hatte ich Winter des vorigen Jahres, als ich, von Krakau nach Stuttgart unterwegs, einige Stunden Aufenthalt in Tegel genießen durfte. Zu wenig Zeit, um in die Innenstadt zu fahren, aber definitiv zu viel Zeit für Tegel.

Gemessen an dem kleinen, aber gepflegten und beständig ausgebauten Flughafen Krakau-Balice und dem großzügigen Airport Stuttgart-Echterdingen markierte Berlin-Tegel nicht nur flughöhentechnisch den Tiefpunkt der Reise.

Wie Herr Fest das Ambiente beschreibt, bedarf allenfalls olfaktorischer Ergänzung: Bitte imaginieren Sie einen abgestandenen Geruch, mit mehr als einem Hauch Kunststoff, Lösungsmittel und, sobald die überfüllte Abfütterungszone erreicht wird, scharfer Bratfett- und Kaffeedunst-Note.

Da will es kaum verwundern, daß AirBerlin sich ein eigenes Terminal neben das Hauptgebäude gezaubert hat. Es wirkte improvisiert, aber die Luft war dort besser. Nur die sanitären Einrichtungen muteten an (und zu), als gehörten sie zu einer Schule mit Problemhintergrund. Vielleicht macht AirBerlin ja deshalb solche Verluste.

Es wird ja viel gelästert über die Berliner, und zwar auch dann, wenn sie doch einen Job haben. Ein Tegel-Veteran kann da nicht nachstehen. Vielleicht mag mir jemand erklären, weshalb Berliner Service-Kräfte – fast hätte ich Bedienstete geschrieben, aber das zählt wohl schon als unbotmäßiger Nietzscheanismus – in der Regel unfähig sind, Service zu leisten, ohne sich brummig, grob bis unverschämt oder aufdringlich-distanzlos zu gebärden. Glauben sie, das sei weltstädtisch, halten sie dergleichen für ‚authentisch‘, ‚aufgeklärt‘ und ‚emanzipiert‘, oder zahlt die Betreibergesellschaft des Flughafens Berlin-Tegel dafür Prämie?

Aha, und die Taxi-Leute habe ich natürlich auch gesehen. Glücklicherweise mußte ich ja nicht einsteigen, weil der nächste Flieger wartete. Hören wir als erbaulichen Schluß die Taxi-Erlebnisse des Schriftstellers Stephan Reimertz nach seiner

Ankunft am Miniaturflughafen Tegel. Dort erwartet uns Sprachunterricht der besonderen Art, bevor wir überhaupt eingestiegen sind. „Jippt ed bei Ihnen zu Hause keene Voaschriften? Immer die erste Taxe nehmen, nich die letzte!“

Daß die Leute aber auch immer das falsche Taxi wollen müssen. – Reimertz weiter:

Unser Taxist könnte ein Hausmeister sein, aber bald werden wir erfahren, daß fast alle Berliner hausmeisterisch aussehen. Das Radio hat auf er auf Niveaufunk eingestellt. Hier erklingt echte Kultur mit K. […] Aus Gewissensgründen studierte er Theologie und brach das Studium aus Gewissensgründen ab. Dann studierte er aus Gewissensgründen Philosophie. Zuvor heiratete er aus Gewissensgründen und ließ aus Gewissensgründen Frau und Kind sitzen.

Was belebt nach der langen Reise? Ein guter Kaffee. Noch einmal Reimertz:

„Bitte eine Mélange“, bitten wir die Kellnerin. „Hammwa nich.“ „Sie müssen einfach nur Kaffee und Milch zusammenschütten und etwas Schlag obendrauf.“ „Schlag obendrauf? So etwas machen wir nicht“, sagt sie mit einem Gesicht wie in einer Gefängniskantine.

Na dann: Willkommen in Berlin!

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Reimertz-Zitate aus der F.A.Z. vom 8.12.2005, S. R3.