Friedrich Paulsen über die Nebenwirkungen von Prüfungen

Friedrich Paulsen über die Nebenwirkungen von Prüfungen

Der Philosoph und Pädagoge Friedrich Paulsen (1846-1908) teilt in seiner 1902 erschienenen Abhandlung Die deutschen Universitäten und das Universitätsstudium einige wertvolle Beobachtungen über die „unbeabsichtigte[n] Nebenwirkungen“ (S. 437) von Prüfungen mit, die jene – wie alles menschliche Tun – natürlicherweise besitzen:

Die in Aussicht stehende Prüfung lenkt notwendig das Interesse von der Sache ab auf das Bestehen der Prüfung hin. Von hier gehen empfindliche
Störungen des wissenschaftlichen Studiums aus; es wird ihm die Unbefangenheit genommen; das theoretische Interesse an der Sache wird zurückgedrängt durch Erwägungen dessen, was im Examen als nützlich und notwendig, was als entbehrlich oder gar nachteilig sich erweisen möge. Das Studium erhält so einen banausischen Charakter; es kann gradezu etwas von gemeiner Spekulation, etwa auf die bekannten Schwächen und
Liebhabereien des Examinators, sich einmischen. Leidet hierdurch auch die Sache, indem sie innerlich verächtlich wird, so geschieht dasselbe in anderer Richtung, wenn der Zwang der Prüfungsordnung zur Beschäftigung mit Dingen anhält, die für den Kandidaten keinen inneren
Wert haben, gleichzeitig ihn abhaltend, seinem spontanen Triebe zu anderen Dingen zu folgen. Ich zweifle nicht daran, dass das Repetieren von Leitfäden für Prüfungen, besonders in der sogenannten „allgemeinen Bildung“, nicht selten die Wirkung hat, Hass und Geringschätzung gegen die Gegenstände der Prüfung zu hinterlassen. (S. 438)

Schön, nicht wahr? Ein Echo aus zivilisierterer Zeit. Welche Liebe zur Sache spricht aus diesen Zeilen, welches Vertrauen auch in den talentierten Studenten, der ernsthaft bei der Sache ist, die er liebt!

Aufmerksamkeit verdient gleichfalls die Vertikale – die Skala der Wertungen. Unbefangenheit und theoretisches Interesse an der Sache hier, banausischer Charakter, gemeine Spekulation (Berechnung) dort.

Und: gepflegte Wissenschafts- oder meinethalben auch nur Sachprosa, schöner Gebrauch des Semikolons. Nacheifernswert.

(Bild: Paulsen im Jahr 1907. Wikipedia, gemeinfrei.)

José Ortega y Gasset

José Ortega y Gasset

Damit die Philosophie herrscht, ist es nicht nötig, daß die Philosophen herrschen, wie Plato zuerst forderte, noch auch, daß die Herrscher philosophieren, wie er später bescheidener erstrebte. Beides ist im Grunde unheilvoll. Damit die Philosophie herrscht, genügt es, daß sie existiert, das heißt, daß die Philosophen Philosophen sind.

José Ortega y Gasset, Der Aufstand der Massen, übersetzt von Helene Weyl, Stuttgart 1950, S. 125-126, Fußnote.

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Roger Scruton: Die Pforten, durch die das Sakrale auf uns wirkt

Interessanter Vortrag des unlängst verstorbenen Sir Roger Scruton über das Sakrale. Die Anlage des Vortrags verdient Augenmerk, weil sie vordergründig mißlungen wirken könnte. Sir Roger vollzieht die Grenzen des naturwissenschaftlich-säkular geprägten Weltbilds nach, bestimmt den Raum des Sakralen und beschreibt die Pforten, durch die das Sakrale – bestimmt u.a. als das Desekrierbare – auf uns wirkt. Aus katholischer Perspektive wäre einzuwenden, daß der Philosoph über neun Zehntel seines Vortrags bloß Fast-Sakrales bespricht, gleichsam vor der Schwelle des Eigentlichen tändelt. Darin aber liegt die Pointe dessen, was Scruton ausführt; Sir Roger zeigt in sehr zivilisierter, gleichwohl deutlicher Weise, daß der Gläubige das Sakrale genau deshalb erhält, weil er es als Inhalt seines Glaubens der Welt aufpfropft, einem Philosoph dergleichen jedoch als Verstoß gegen die Regeln seines Handwerks, eine petitio principii aufstoßen muß. Und daß bereits diesseits des Sprungs in den Glauben das Sakrale aufzufinden sei.

Harvey Mansfield über Texte in Texten
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Harvey Mansfield über Texte in Texten

Gönnen Sie sich ein Stündchen Zivilisation und hören Sie Harvey Mansfield zu, wie er über Philosophie und die Kunst der Philosophen plaudert, in ihren Schriften Hinweise zu verstecken, die anderen Philosophen die größte Freude bereiten.

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Karl Popper, aus „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“

Karl Popper, aus „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“

Wir können niemals zur angeblichen Unschuld und Schönheit der geschlossenen Gesellschaft zurückkehren. Je mehr wir versuchen, zum heroischen Zeitalter der Stammesgemeinschaft zurückzukehren, desto sicherer landen wir bei Inquisition, Geheimpolizei und einem romantisierten Gangstertum.

Karl R. Popper