Christentum, Marxismus und Wundersucht: ein Gespräch
„Weißt Du, worin Christentum und Marxismus übereinstimmen?“, fragte der Hagere. „Beide versprechen Dir ewige Freude, ein Reich nichtendenwollender Glückseligkeit. Alles, was Du tun mußt, ist, Dich Deiner intellektuellen Redlichkeit zu entledigen. Zu glauben, was sich nicht denken läßt; jeden Bruch in der Logik als Nachweis wie auch immer gearteter Höherwertigkeit oder Tiefe hinzunehmen, ob als Mysterium oder Dialektik; das Haltlose als wohlgegründet, das Unverfügbare nicht bloß als das Verfügbare, sondern Dir schlechthin Wohlgesonnene anzusehen, als seiest Du Zweck des Alls. Christentum und Marxismus betrügen alle diejenigen, welche auf ein Wunder hoffen, gerade weil sie auf ein Wunder hoffen. Sie sind das Opium der Wundersüchtigen.“
„Das ist gut, geistreich sogar“, versetzte der Üppige, „und eine Einsicht, die wir in einem freundlichen Gasthause begießen sollten, damit sie in der Wärme des roten Weins langsam zerfließt wie die Erinnerung an ein Übel, das Du oder ich vor vielen Jahren zu erdulden hatten.“
Der Hagere stutzte und legte ein verbindliches Lächeln auf. „Es ist ja nicht so, daß ich glauben würde, mit meinem Argument das Christentum ad acta gelegt, Gott ertappt zu haben.“
„Doch, das hast Du“, schloß der Üppige. „Aber es macht ihm nichts aus.“
(Bild: Claude Monet, L’église de Varengeville, effet matinal, (1882), gemeinfrei.)