Aus recyceltem Polyester
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Aus recyceltem Polyester

Bei einem international tätigen Bekleidungsdiscounter sehe ich den Hinweis, dieses oder jenes Kleidungsstück sei zu sehr hohem Anteil aus recyceltem Polyester gefertigt worden. Der Hinweis findet sich an vielen der feilgebotenen, nun, Klamotten. Natürlich geht es dabei nicht um die Kleidung, sondern um – Sie ahnen es – den Planeten.

Die Tugend-Wedelei verdrießt mich. Also behaupte ich:

Hier findet zusammen, was zusammen gehört. Recycelte Kunstfaser für die unerleuchtete Masse, für alle diejenigen, welche als Insektenfresser vorgesehen sind. „Eßt Eure Käfer, Plebejer!“ Sonst wird unser Wandelstern den Hitzetod sterben.

Wo bleibt das Positive? Hier. Und vielleicht erinnern Sie sich an diesen oder jenen Ihrer Professoren in einem schon damals, als Sie studierten, mehrere Jahrzehnte alten Anzug. Sein Material (sowohl das der Vorlesung als auch jenes des Anzugs) war unverwüstlich, Anzug und Besitzer schon deshalb cool, weil sie über den Moden standen. Das ist Nachhaltigkeit!

(Bild: Unsplash.com.)

Einschmelzen
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Einschmelzen

Der Soziologe Helmut Schoeck fragt in seinem Hauptwerk „Der Neid“, weshalb von Gruppen und Gemeinschaften, in die sich der Einzelne einfügt und einfügen muß, um leben und überleben zu können,

konformes Verhalten selbst auf Gebieten verlangt wird, die mit der eigentlichen Funktion der Gruppe nichts oder sehr wenig zu tun haben.

Schoeck beobachtet:

Je unangenehmer, ja je irrationaler und hinderlicher in der Praxis die Norm ist, die, aus welchen Gründen auch immer (vielleicht, weil sie Aufsichtsbehörden am Herzen liegt) von den Mitgliedern eingehalten werden muß, desto unnachsichtlicher beaufsichtigen sie sich nicht selten gegenseitig.

Wie Sie sehen, idealisiert Schoeck das Gemeinschaftliche nicht; dafür ist er zu klug. Gruppen, Gemeinschaften usw. sind für den Soziologen zumeist ein notwendiges Übel, kein Fetisch. Fragen Sie sich, ob Sie mit allen Ihren Arbeitskollegen gern zusammenarbeiten, und Sie erkennen, worauf Schoeck hinauswill.

Denn jetzt kommt der Neid ins Spiel. Es ist der Neid der an die – wie Schoeck unterstreicht, möglicherweise blödsinnige – Norm der jeweiligen Gruppe Angepaßten auf denjenigen, der sich noch nicht angepaßt hat oder sich auf keinen Fall anpassen will:

Wer sich wider Willen, aus Feigheit oder Bequemlichkeit, bereits angepaßt hat, verargt den anderen den bewiesenen Mut, die Freiheit, die sie noch genießen.

Das läßt sich auf vieles, dem wir begegnen, übertragen. Immer wieder verargen Menschen, die sich aus einer Fehleinschätzung heraus, aus Obrigkeitsgläubigkeit oder schierer Denkfaulheit in den Dreck geritten haben, anderen Menschen, die dergleichen vermieden haben, deren praktische Klugheit und Vorsicht (phronesis, prudentia), ja, das pure Glück (im Sinne von Dusel, luck), davongekommen zu sein.

Das ‚darf‘ natürlich nicht so bleiben! Das ‚muß‘ geändert werden! So tritt eine besondere Art von Rachsucht hinzu, eine Mißgunst reinsten Essigs:

Es ist die Schadenfreude über die Pein des in die Gruppe erst noch einzuschmelzenden Neulings, die Schadenfreude über die Sanktionen, die dem nichtkonformen Mitglied zugefügt werden, die jedes Mitglied automatisch zum Wachhund und zum Einpeitscher macht.

Merken Sie was? Schadenfreude über die Sanktionen, die dem Nichtkonformen, dem Eigenständigen zugefügt werden. Auch das läßt sich auf vieles, dem wir begegnen, übertragen.

Dem Nichtkonformen soll’s nicht besser gehen als mir, sagt sich mancher, der sich durch Fehlentscheidungen ruiniert, wenigstens aber um neun Zehntel seiner Lebensfreude gebracht hat. Es versteht sich, daß die genannten Fehlentscheidungen nicht spektakulärer Natur sein müssen. Hunderte kleiner Feigheiten tun’s auch. Deshalb setzt Schoeck in einem der oben gegebenen Zitate das Wort „Bequemlichkeit“.

Schließlich meldet sich ein Neid, der nicht auf Äußerlichkeiten ziehlt, sondern auf den Charakter, die ‚Coolness‘ dessen zielt, der ’sein Ding macht‘. Max Scheler bezeichnet ihn als Existenzialneid:

Der ohnmächtigste Neid ist zugleich der furchtbarste Neid […]: der Existenzialneid. Dieser Neid flüstert gleichsam fortwährend: ‚Alles kann ich dir verzeihen; nur nicht, daß du […] das Wesen bist, das du bist; nur nicht, daß nicht ich bin, was du bist; ja daß ‚ich‘ nicht ‚du‘ bin.‘

In diesem Stadium ist alles verloren. Denn der Existenzialneid gilt dem tiefinnersten Wesen des Beneideten, mithin keiner Verhaltensweise, die sich von heute auf morgen erlernen ließe. Verzweiflung stellt sich ein. Und ein Haß, den Stefan George in treffende Verse gegossen hat:

Der geht noch aufrecht – reisset ihn um
Der hat noch ein antlitz – zerret es krumm!

Der schreitet noch – er schleiche und hinke
Der schaut noch – macht dass er schiele und zwinke!

Sie finden diese Diagnose zu böse, zu düster? Es wurde ja nicht behauptet, daß alle Menschen wie Schoecksche „Einpeitscher“ und „Wachhunde“ vorgehen. Doch sollte eine realistische Anthropologie stets das Wirken von Wachhund-Artigen und artigen Wachhunden einkalkulieren.

(Quellen: Helmut Schoeck, Der Neid. Eine Theorie der Gesellschaft, Freiburg im Breisgau u. München 1966, S. 103-105; Stefan George, Nova Apocalypsis, 1919 in den Blättern für die Kunst unter dem Namen Karl Wolfskehls veröffentlicht, hier Strophe 3-4 von insgesamt sieben Strophen; Max Scheler, Das Ressentiment im Aufbau der Moralen, in: Ders., Vom Umbruch der Werte. Abhandlungen und Aufsätze (Gesammelte Werke, Bd. 3), Bern u. München. 1972, S. 33-147, bes. S. 45. Bild: Gemälde von Frans Hals; Wikimedia Commons, gemeinfrei.)

Konstantin Kisin vs. Woke Culture
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Konstantin Kisin vs. Woke Culture

Der in Rußland geborene, im Vereinigten Königreich lebende Publizist Konstantin Kisin erklärt in diesem Auftritt von etwa neun Minuten, weshalb der Wokeism unserer Tage nicht nur blödsinnig, sondern auch verantwortungslos ist – etwa, sofern vorhanden, den eigenen Kindern gegenüber.

Es mag kein Zufall sein, daß mit Kisin ein Mensch, der nicht aus dem Westen stammt, die Menschen im Westen vor gefährlichen Torheiten warnt. Kisin weiß, was auf dem Spiel steht, weil er den Vergleich hat. Ganz in diesem Sinne bemerkt Jennifer Oliver O’Connell zu seiner Rede:

Kisin […] was born in Russia and emigrated to Europe, domiciling in Great Britain. So, he has not always benefited from living in the Western petri dishes where WOKENESS germinates and takes hold.

(Kisin wurde in Rußland geboren und emigrierte nach Westeuropa, er wohnt in Großbritannien. Er hat also nicht immer das Privileg genießen dürfen, in der westlichen Petrischale leben zu dürfen, wo Wokeness keimt und sich einnistet.)

Petrischale. Keine schlechte Metapher.

Zum Video (YT) geht’s hier. Eine nicht ganz vollständige deutsche Übersetzung der Rede finden Sie hier.

(Bild: Screenshot aus dem verlinkten Film.)

Aleksander hr. Fredro: Socyalizm
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Aleksander hr. Fredro: Socyalizm

Socyalizm nierówności wszelkie prędko utrze,
Szlachtę powiesi jutro, nie szlachtę pojutrze.

(Der Sozialismus wird alle Ungleichheiten rasch bereinigen.
Den Adel hängt er morgen, die Nicht-Adligen übermorgen.)

Aleksander hr. (Graf) Fredro, Dzieła (Werke), Bd. 13, Warschau 1880, S. 220. Alte Rechtschreibung.

Das Beitragsbild zeigt nicht Aleksander Fredro, den Sie hier sehen, sondern seinen Sohn Jan Aleksander Fredro, der wie sein Vater Theaterdichter und Schriftsteller war, in der Tracht des polnischen Adels mit leichtem Säbel (karabela). Jan Aleksander war eines zweier Kinder, die aus der Ehe Aleksander Fredros mit der gleichfalls aus adligem Hause stammenden Zofia Jabłonowska hervorgingen. Fredro senior hatte die in sehr, sehr jungen Jahren an einen achtzehn Jahre älteren, steinreichen Edelmann verheiratete Zofia 1817 in Lemberg kennengelernt. Es handelte sich, wenn man der polnischen Wikipedia glauben darf, um Liebe auf den ersten Blick. Doch sollte es zehn Jahre dauern, bis die erste Ehe Zofias geschieden werden konnte. Am 8. November 1828 endlich feierten Graf Aleksander Fredro und seine Zofia Hochzeit.

(Bild: Portret Jana Aleksandra Fredry w stroju szlacheckim. Quelle: Archiwum Nauki PAN i PAU w Krakowie. Prawa autorskie: Utwór w domenie publicznej.)

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„Wann sind Sie denn falsch abgebogen?“

Wer dem ökologistisch-kollektivistischen Konsens der Berliner Republik skeptisch gegenübersteht, dürfte diese Frage schon gehört haben. Sie wird für gewöhnlich in väterlich-besorgtem Ton vorgetragen, um die unterliegende Borniertheit zu kaschieren. Denn natürlich geht es gar nicht darum, falsch abgebogen zu sein. Sondern darum, überhaupt abgebogen zu sein. Fort von der Kollektivismus-Klippe, dem Öko-Abgrund, auf den sie zulaufen, die Lemminge.

777 Millionen

Der Ausbau des Bundeskanzleramts in Berlin soll mehr als eine dreiviertel Milliarde Euro kosten. Es wäre anständig gewesen, vom Ausbau des ohnehin gewaltigen – und bestürzend häßlichen – Bundeskanzleramts abzusehen und den Betrag den von galoppierender Inflation geplagten Bürgern in geeigneter Form zu erstatten. Natürlich wäre der Betrag per Bürger eher symbolischer Natur, aber für eins-zwei Burger dürfte er reichen. Aus Rindfleisch, versteht sich. Die Insektenburger können warten.

Nicht bloß anständig, sondern auch umsichtig wäre es gewesen, schon vor geraumer Zeit damit begonnen zu haben, wenigstens eine Ursache der Inflation zu bekämpfen, die zu bedeutendem Anteil als Grünflation bezeichnet zu werden verdient, weil sie aus ideologisch motivierter Brennstoff-Verknappung erwächst. Man hätte seine teutonisch verbiesterte, neuheidnisch unterfütterte Feindschaft gegen Kohle, Erdöl und Erdgas überwinden können. Ein wenig Fracking könnte ebenfalls nicht schaden, oder? Die große Gaia wird Euch nicht gleich zürnen, dessen bin ich sicher.

Nicht bloß anständig und umsichtig, sondern zudem ein achtenswerter Ausdruck von Lernfähigkeit wäre es gewesen, Kernkraftwerke nicht mehr unbesehen für Teufelszeug zu halten. Wir brauchen unsere noch betriebsfähigen Kernkraftwerke. Und wir brauchen mehr Kernkraftwerke. Laßt uns, Landsleute, den Windmühlen-Wahn beenden. Sich in unverspargelter Landschaft zu ergehen, welch ein Segen…

Aber zurück zum Bundeskanzleramt. Denn nicht bloß anständig, umsichtig und ein Ausdruck von Lernfähigkeit, sondern auch ein Zeichen von Weisheit in Staatsdingen – von Staatskunst im tieferen Sinne des Wortes – wäre es gewesen, die Idee eines noch riesenhafteren Kanzleramtsgebäudes von vornherein als das zu verwerfen, was sie ist: Symptom eines gewucherten, wuchernden Staates, der alles und jedes regeln will, den Bürger „betreut“ (Helmut Schelsky) und verzwergt.

Christopher Caldwell über den Ukraine-Krieg

Christopher Caldwell über den Ukraine-Krieg

Auf Imprimis liefert Christopher Caldwell einen nachdenklichen und genau deshalb lesenswerten Artikel über den Krieg in der Ukraine. Der Text berührt Genese, Gestalt und mögliche Ziele des Konflikts. Über die Gestalt des Krieges bemerkt Caldwell:

The U.S. is not just supporting Ukraine. It is fighting a war in Ukraine’s name.

(Die USA unterstützen nicht bloß die Ukraine. Sie führen einen Krieg im Namen der Ukraine.)

Dies deshalb, so Caldwell, weil die USA Zielkoordinaten für Angriffe mit Dronen und Raketen bereitstellen. Außerdem liefern sie hochentwickelte Waffensysteme.

Ukrainians may still be doing most of the dying, but the U.S. is responsible for most of the damage wrought on Russia’s troops.

(Die Ukrainer übernehmen den Großteil des Sterbens, aber die USA sind verantwortlich für den Großteil des Schadens, der den russischen Truppen zugefügt wurde.)

Schließlich berührt Caldwell die Frage nach den Kriegszielen und – vor allem – deren Konsequenzen. Es lohnt, diesen Absatz mehrmals zu lesen:

This is a war with no natural stopping point. One can easily imagine scenarios in which winning might be more costly than losing. Should the U.S. pursue the war to ultimate victory, taking Crimea and admitting […] Ukraine into NATO, it will require a Korea-level military buildup to hold the ground taken. It will also change the West. The U.S.—for the first time—will have expanded NATO by conquest, occupying territories (Crimea and parts of eastern Ukraine) that don’t want it there.

(Dies ist ein Krieg ohne natürlichen Endpunkt. Es läßt sich leicht ein Szenario vorstellen, in dem ein Sieg mehr kosten würde als eine Niederlage. Sollten die USA den Krieg bis zu einem vollständigen Sieg weiterführen, die Krim erobern und die Ukraine in die NATO aufnehmen, wäre eine Militärpräsenz auf Korea-Niveau notwendig, um die Gebiete zu halten. Dies würde auch den Westen verändern. Zum ersten Mal hätten die USA die NATO per Eroberung erweitert und Gebiete besetzt (die Krim und Teile der Ostukraine), deren Bewohner sie dort nicht wollen.)

Bitte lesen Sie den ganzen Text.

(Bild: Karte der Krim aus dem Jahr 1822. Library of Congress, gemeinfrei.)