Zum Begriff des Populismus

Zum Begriff des Populismus

„Populismus“ ist ein Kampfbegriff. Er dient nicht zur sachbezogenen Auseinandersetzung über Probleme und Chancen unseres Gemeinwesens, sondern dazu, den Gesprächspartner abzutun. Die Bezeichnung insinuiert, daß jemand zu sehr auf dasjenige höre, was an den sprichwörtlichen Stammtischen geredet werde, oder daß er gar an einem dieser Schreckensmöbel Platz zu nehmen pflege. In beiden Fällen wird er von der kultivierten, höflichen und gebildeten Gesellschaft für untauglich gehalten, ihre Kreise zu segnen. Und das selbst dann, wenn es mit jener Bildung nach so-und-so viel Jahren Reform-Uni nicht mehr weit her sein sollte.

Der Begriff „Populismus“ zeigt, das muß man anerkennen, recht spinnenhafte Züge: Wer gegen ihn antritt, nähert sich der Gefahr, selbst für einen von „denen“ gehalten zu werden. Da wirkt es erfrischend, wenn einige dem Vorwurf des Rechtspopulismus schlankerhand den Gegen-Vorwurf des Linkspopulismus entgegensetzen. Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil!

Allerdings läßt sich damit nicht das Eigentliche treffen, das den Kampfbegriff „Populismus“ so wirksam macht. Dessen Wucht nämlich verdankt sich einer Unterscheidung, von der Arthur Rosenberg in seinem Buch Demokratie und Sozialismus unterrichtet:

Endlich erschien die erste Schar der aufständischen Sieger [in der französischen Nationalversammlung], aber schüchtern, wie manchmal Arbeiter in ungewohnter Umgebung sind, taten sie nichts Böses. Da rief ein republikanischer Journalist: „Das ist ja das falsche Volk, ich werde das richtige holen!“ (1988, S. 18)

Der Populismus-Vorwurf unterscheidet zwischen dem „richtigen Volk“, d.h. jenem, das sich so entscheidet, so wählt etc., wie es die jeweilige Elite braucht, und dem „falschen Volk“. So einfach ist das. Entsprechen Ihre Ziele und Wünsche, Vorhaben und Mittel demjenigen, was die etatistisch und ökologistisch eingestellten Meinungsführer der Bundesrepublik Deutschland wollen, sind sie „verantwortlicher Bürger“, „kultiviert“ usf. – Weichen Ihre Vorstellungen mehr als marginal von diesem Kodex ab, sind Sie „Rechtspopulist“, Spinner oder Schlimmeres.

Der zugrundeliegende Mechanismus läßt sich sehr schön an den Kolumnen von Hermann L. Gremliza beobachten, der über viele Jahre als Herausgeber der (sehr) linken Zeitschrift Konkret wirkte. Nachdem die DDR auf der Müllhalde der Geschichte gelandet war, rechnete Gremliza mit den Deutschen ab. Das waren ja nun alles „Verräter“, mit denen sich kein Sozialismus bauen ließ. Jedenfalls keiner, wie Gremliza sich ihn vorstellte.

Es läßt sich tatsächlich nicht bestreiten, daß dies Volk, dem es noch nie, wenn auch auf unterschiedliche Weise, besser gegangen ist als in der BRD und in der DDR, mit dem Studium von Automobilprospekten zu sehr beschäftigt ist, um nicht den Eindruck zu erwecken, es sei zivilisiert, friedlich und vernünftig geworden. Nur in existenziell ausweglosen Krisensituationen, wenn also eine Fußballweltmeisterschaft gewonnen ist oder zwanzig rumänische Flüchtlinge ins Dorf kommen, blitzt durch die aufgeschlitzte Levis des konsumfreudigen Citoyens das alte braune Sitzfleisch. („Scheiß Deutschland“ (1990), Ein Volk gibt Gas, 1992, S. 34)

Hier haben wir alles wie auf dem Silbertablett: Ein verbitterter alter Kommunist klagt über seine Landsleute, weil sie sich den paternalistischen Bemühungen seiner Genossen in der DDR gegenüber undankbar zeigen, obschon es ihnen „besser gegangen ist“ als jemals. Er wirft ihnen Konsum-Orientierung vor („Studium von Automobilprospekten“, „Levis“), stellt aber auch fest, daß diese Konsum-Orientierung sie nur scheinbar, allenfalls oberflächlich zivilisiert habe (das Volk erweckt „den Eindruck…, es sei zivilisiert“ etc.). Es bedürfe lediglich einer größeren Sportveranstaltung oder kleineren Krise („zwanzig rumänische Flüchtlinge“) , und der nationalistische Furor der Deutschen breche wieder hervor. Denn unter dem dünnen Firnis zivilisatorischer Art seien die Landsleute Gremlizas Nazis geblieben („das alte braune Sitzfleisch“).

Augenmerk verdient der apodiktische Charakter von Gremlizas Kolumne, die übrigens zweiundzwanzig Monate vor den Ereignissen in Rostock-Lichtenhagen erschienen ist. Es geht ihrem Verfasser nicht um Einzelereignisse, sondern um Totalverwerfung. (Dergleichen wurde sogar Peter Hacks zuviel; vgl. Gremliza, „Der saubere Blockwart“ (1990), Ein Volk gibt Gas, 1992, S. 43.)

Was haben wir also vor uns? Ein großes, lautes „Ich mag Euch nicht mehr, weil Ihr nicht nach meinen Regeln spielen wollt!“ Geboren aus der Verbitterung des „klassischen“ Linken, dem die Arbeiterklasse weggelaufen ist.

Derselbe Mechanismus liegt dem Populismus-Vorwurf zugrunde. Auch dort wirkt ein großes, lautes „Ich mag Euch nicht mehr, weil Ihr nicht nach meinen Regeln spielen wollt!“ Geboren aus der Verbitterung des Sozial- oder Christdemokraten, Grünen oder Vertreters dessen, was man immer noch, vage natürlich, als Neue Linke bezeichnen darf, dem die Schäfchen weggelaufen sind.

Wie gesagt: „Das ist ja das falsche Volk, ich werde das richtige holen!“

(Bild: Winslow Homer, The Life Line, Wikimedia Commons.)

Bezpieczna Polska – Sicheres Polen

Bezpieczna Polska – Sicheres Polen

Im Unterschied zu verschiedenen Stimmen in Deutschland kann ich nichts Schlimmes daran finden, daß US-Truppen nach Polen verlegt worden sind. Im Gegenteil. Die Sache nimmt sich äußerst positiv aus.

56,4 Prozent der Polen halten die Stationierung der amerikanischen Verbände für etwas, das Polens Sicherheit erhöht. 36, 1 Prozent sind gegenteiliger Auffassung.

Karte: Tweet des polnischen Verteidigungsministeriums.

Update: Interessantes zur Modernisierung der polnischen Luftwaffe hier.

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Nafri vs. Nazi

In dem Kindergarten, der einstmals die Bundesrepublik Deutschland war, wird neuerdings über die Bezeichnung „Nafri“ gestritten. Sie sei rassistisch, wenigstens aber pauschalisierend.

Ferner wurde kritisiert, daß die Polizei „südländisch“ anmutende Personen überprüft, auch festgehalten habe. Man dürfe sich nicht am Erscheinungsbild von Menschen orientieren; auch das sei rassistisch, entmenschlichend, wenigstens aber pauschalisierend.

So also sieht er aus, der Lohn dafür, daß es der deutschen Polizei an Silvester mit viel Aufwand gelungen ist, sexuelle Übergriffe und sonstige Gewalttaten vor dem Dom in Köln und an anderen prominenten Orten zu verhindern. (Zu einschlägigen Übergriffen kam es anderswo in Deutschland und auch Österreich.)

Wunderbar: Tust du nix, bist du Versager. Tust du was – und mit Erfolg -, bist du Rassist. Das sind die (bislang) schönsten Blüten gutmenschlicher Dialektik.

Daß zuweilen der Eindruck von Rassismus entstehen kann, wo andere Größen wirken – kulturelle Unterschiede etwa, das Verhältnis zu Bildung und Arbeit, Achtung vor Frauen -, versteht sich dabei von selbst. Eben deshalb muß man es immer und immer wieder unterstreichen.

Und: Das ewige Pauschalisieren gegen Pauschalisierungen langweilt. Man sollte sich eingestehen, daß Vorurteile durchaus vernünftig sein können. Es kommt lediglich darauf an, sie fallibel zu halten – d.h. sie zu revidieren, wo die Erfahrungswirklichkeit dazu Anlaß gibt.

Darüber hinaus gilt: Seit wann haben denn all die Weltverbesserer, ob Linke oder Grüne, ein Problem mit Pauschalisierungen? Wer beschimpft Andersmeinende als „Populisten“, erhebt sich über deren „Stammtischparolen“, nennt besorgte Bürger der Bundesrepublik „Nazis“? Von „Pack“ ganz zu schweigen.

Tu quoque, Gutmenschle!

— Richtig, auch ich pauschalisiere. Doch habe ich eben nichts gegen Pauschalisierungen, jedenfalls nicht dort, wo keine empirischen Gründe gegen sie sprechen (s.o.).

Aha, und natürlich pauschalisiert ebenfalls so mancher Großschriftsteller und Dichter, an dessen Lektüre sich unsere grünen und sonstigen Bessermenschen mit strahlenden Augen erinnern. Zur bête noire gereicht nur allzuoft der „Bürger“. Jedenfalls dort, wo er nicht als Volltrottel belächelt wird. Wer daran zweifelt, möge mal wieder in seiner Hesse-Ausgabe blättern.

Pauschalisierung allerorten.

Ups, das war schon wieder eine.

Höchste Zeit also, erwachsen zu werden.

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Zur Frage sog. „Fake News“ bemerkte schon 1914…

…das preußische Kriegsministerium:

Die im Auftrage Seiner Majestät des Kaisers von dem Reichskanzler geleitete auswärtige Politik darf in dieser kritischen Zeit, die über ein Jahrhundert entscheidet, durch keine offene und versteckte Kritik gestört und behindert werden.

Quelle: Schreiben des preußischen Kriegsministeriums an die Militärbefehlshaber: Übermittlung und Erläuterung der Ergänzungen des Merkblattes für die Presse, 9. November 1914, Bundesarchiv/Militärarchiv, Freiburg i. Br., MA/RMA, Nr. 2049, XVII. 1. Mai 1933, Bd. 1, Abschrift.

H/T: Edlef Köppen, Heeresbericht (Antikriegsroman, erschienen 1930), wo dieses Dokument im ersten Kapitel zitiert wird.

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Fidel Castros Verbrechen, auf deutsche Verhältnisse umgebrochen

Der wie stets treffliche David P. Goldman (Spengler) geht davon aus, daß Fidel Castro und seine Genossen die Ermordung von 15.000 Kubanern zu verantworten haben; das sei ein häufig gebrauchter Mittelwert in den Schätzungen, bezogen auf die Jahre zwischen 1958 und 1987.

Kuba ist ein Land mit etwa 7.000.000 Einwohnern. 15.000 politisch motivierte Hinrichtungen in einem Land dieser Größe entsprächen 680.000 Tötungen in den USA, einem Gemeinwesen von rund 318.000.000 Einwohnern. Dies ist die Mord-Quote des Castro-Regimes. Goldman veranschaulicht:

What’s 680,000? The entire population of Denver or Seattle. Imagine taking every man, woman, and child of a major American city and murdering them.

Auf die Bundesrepublik Deutschland mit ihren etwa 82.000.000 Einwohnern umgerechnet, erhalten wir einen Wert von rund 175.700 Getöteten. Das entspräche, von weniger als 3.000 Verschonten abgesehen, der Einwohnerzahl Saarbrückens. In einer der unwesentlich kleineren Städte Mülheim/Ruhr, Potsdam, Ludwigshafen, Oldenburg, Leverkusen oder Osnabrück gäbe es keine Überlebenden. (Zugrunde liegen die Werte für das Jahr 2015.)

Wie schreibt Oscar Lafontaine auf Facebook? „Der Kämpfer Fidel ist gestorben, aber seine Ideen leben weiter.“

Siehe auch hier und hier, hier und hier.

Von wegen Populismus: der andere Blick ostmitteleuropäischer Menschen auf den Staat
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Von wegen Populismus: der andere Blick ostmitteleuropäischer Menschen auf den Staat

David Solway berichtet:

A Romanian friend who suffered through Nicolae Ceaușescu’s dictatorship in his home country tells me that in many ways the situation in the “freedom loving” West is actually worse. In Romania, as in the Soviet Union and the rest of the Eastern Bloc, most people knew that the regime was founded on lies and that the media were corrupt, time-serving institutions. Here, on the contrary, people tend to believe that the government is relatively, if not entirely, trustworthy, that the judiciary is impartial, and that the media actually report the news. Citizens are therefore susceptible to mission creep and are piecemeal deceived into a condition of indenture to socialist governance, an activist judiciary, a disinformative, hireling press corps, and left-wing institutions. People will vote massively for the Liberal Party in Canada and the Democrats in the U.S., not realizing they are voting themselves into bondage, penury and stagnation.

(Ein rumänischer Freund von mir, der die Ceausescu-Diktatur in seiner Heimat durchlitten hat, erklärt mir, daß die Situation im „freiheitsliebenden“ Westen schlimmer sei. Die Menschen in Rumänien, der Sowjetunion und den anderen Ostblock-Staaten wußten, daß ihr Regime auf Lügen gründete und die Medien korrupte Institutionen lakaienhaften Zuschnitts waren. Hier hingegen, im Westen, neigen die Leute zu der Annahme, daß ihre Regierung einigermaßen oder gar zur Gänze vertrauenswürdig sei, das Gerichtswesen unparteiisch, die Medien tatsächlich Nachrichten brächten. Deshalb lassen die Bürger über sich ergehen, daß ihre Regierung immer mehr Aufgaben übernimmt; sie lassen sich in eine Situation der Vertragssklaverei (Indentur) mogeln, in der sie ihrer fiskalsozialistischen Regierung, einem weltanschaulich beeinflußten Gerichtswesen, der ihre Leser oder Zuschauer irreführenden, mietlinghaften Journalistenschaft und sonstigen linkslastigen Organisationen und Einrichtungen ausgeliefert sind. Die Menschen wählen zuhauf Parteien, die wie die kanadische Liberal Party oder die US-Demokraten dem linken Spektrum zugehören, weil ihnen unklar bleibt, daß sie sich selbst in einen Zustand der Knechtschaft, Mittellosigkeit und Ausweglosigkeit hineinwählen.)

Mehr hier. Interessant im gegebenen Zusammenhang: Theodore Dalrymple, „The Uses of Corruption“ (2001).

Wie „Globalisierungsekel“ das Kind mit dem Bade ausschüttet

Der sonst so treffsichere Michael Klonovsky scheint etwas nicht recht auseinanderzuhalten, wo es um Globalisierung geht. Am 29.10.2016 schreibt er in seinen acta diurna:

Der Philosoph Peter Sloterdijk prägte Mitte der 1990er Jahre den Begriff „Globalisierungsekel“. Viele Rechtsintellektuelle verspürten ein solches Abgestoßensein angesichts einer „klebrigen Welt ohne Abstände„. Da die Völker eher unwillig sind, den grauen Tod der Diversity zu sterben, haben die Globalisten den Migranten als neues revolutionäres, jedenfalls zu emanzipierendes Subjekt entdeckt. Die Gretchenfrage unseres Epöchleins lautet denn also: Wie hast du’s mit der Migration? Näherhin: dem vermeintlichen Recht auf Migration? Hier scheiden sich die Geister und die Sphären. Und wenn Sie mich fragen: Hier entscheidet sich das Schicksal zumindest der europäischen Zivilisation.

Am 8.11. selbigen Jahres führt er aus:

In den Staaten der westlichen Welt tritt seit mehr als sechzig Jahren erstmals eine Generation ins Berufsleben ein, die genau weiß, dass es ihr schlechter gehen wird als ihren Eltern, und dass es ihren Kindern mit hoher Wahrscheinlichkeit schlechter gehen wird als ihnen selbst, dass es in zwei Generationen keinen Mittelstand mehr geben wird und wahrscheinlich auch ihre Völker nicht mehr existieren, dass sie verarmen und verelenden und sich in ihren ehemaligen Heimatländern, vor den Ruinen ihrer Nationalkulturen, mit dem Lumpenproletariat der dritten Welt und dessen halbbarbarischen Riten werden herumschlagen müssen, während sich in den Händen einiger weniger ungeheuere Kapitalmengen konzentrieren und genau diese jeglicher Bindung und Verantwortung enthobenen, mobilen Weltabmelker daran arbeiten, dass es den sogenannten einfachen Menschen noch schlechter geht. […] Wenn Globalisierung heißt, dass die Staaten zerfallen, dass die Völker entwurzelt und aufgelöst und die Kulturen verramscht werden, dann spucken wir auf sie. Wenn Globalisierung heißt, dass der Planet in die graue Tristesse der Diversity getaucht wird, dann pfeifen wir auf sie. Let’s make the people, let’s make the nations great again!

Hier scheint mir etwas vermischt zu werden, was besser säuberlich getrennt bliebe: Einerseits Globalisierung als etwas, das in die Sphäre des Wirtschaftlichen gehört, –  ein Handel nämlich, der über Grenzen hinweg stattfindet, die Produktion von Gütern, zu der Rohstoffe oder Tätige aus mehr als einer Weltgegend beitragen; andererseits die Maximen und das Wirken von Leuten, die den Nationalstaat überwinden wollen. Sie werden im ersten der beiden Klonovsky-Zitate als Globalisten bezeichnet.

Globalisierung, wie eben bestimmt, ist nichts Neues und auch nichts Schlechtes, weil sie Zeiten hoher Zivilisation kennzeichnet. So unterstreicht kein Geringerer als Wilhelm Röpke – mithin jemand, der die Ansinnen der Globalisten als Spielform des Zentrismus kritisiert haben dürfte -, daß

das Altertum in der römischen Kaiserzeit eine erstaunliche Höhe der wirtschaftlichen Entwicklung erreicht hat, die uns von einem Kapitalismus und einer Weltwirtschaft des Altertums zu sprechen erlaubt.

Mehr lesen „Wie „Globalisierungsekel“ das Kind mit dem Bade ausschüttet“