Wie „Globalisierungsekel“ das Kind mit dem Bade ausschüttet

Der sonst so treffsichere Michael Klonovsky scheint etwas nicht recht auseinanderzuhalten, wo es um Globalisierung geht. Am 29.10.2016 schreibt er in seinen acta diurna:

Der Philosoph Peter Sloterdijk prägte Mitte der 1990er Jahre den Begriff „Globalisierungsekel“. Viele Rechtsintellektuelle verspürten ein solches Abgestoßensein angesichts einer „klebrigen Welt ohne Abstände„. Da die Völker eher unwillig sind, den grauen Tod der Diversity zu sterben, haben die Globalisten den Migranten als neues revolutionäres, jedenfalls zu emanzipierendes Subjekt entdeckt. Die Gretchenfrage unseres Epöchleins lautet denn also: Wie hast du’s mit der Migration? Näherhin: dem vermeintlichen Recht auf Migration? Hier scheiden sich die Geister und die Sphären. Und wenn Sie mich fragen: Hier entscheidet sich das Schicksal zumindest der europäischen Zivilisation.

Am 8.11. selbigen Jahres führt er aus:

In den Staaten der westlichen Welt tritt seit mehr als sechzig Jahren erstmals eine Generation ins Berufsleben ein, die genau weiß, dass es ihr schlechter gehen wird als ihren Eltern, und dass es ihren Kindern mit hoher Wahrscheinlichkeit schlechter gehen wird als ihnen selbst, dass es in zwei Generationen keinen Mittelstand mehr geben wird und wahrscheinlich auch ihre Völker nicht mehr existieren, dass sie verarmen und verelenden und sich in ihren ehemaligen Heimatländern, vor den Ruinen ihrer Nationalkulturen, mit dem Lumpenproletariat der dritten Welt und dessen halbbarbarischen Riten werden herumschlagen müssen, während sich in den Händen einiger weniger ungeheuere Kapitalmengen konzentrieren und genau diese jeglicher Bindung und Verantwortung enthobenen, mobilen Weltabmelker daran arbeiten, dass es den sogenannten einfachen Menschen noch schlechter geht. […] Wenn Globalisierung heißt, dass die Staaten zerfallen, dass die Völker entwurzelt und aufgelöst und die Kulturen verramscht werden, dann spucken wir auf sie. Wenn Globalisierung heißt, dass der Planet in die graue Tristesse der Diversity getaucht wird, dann pfeifen wir auf sie. Let’s make the people, let’s make the nations great again!

Hier scheint mir etwas vermischt zu werden, was besser säuberlich getrennt bliebe: Einerseits Globalisierung als etwas, das in die Sphäre des Wirtschaftlichen gehört, –  ein Handel nämlich, der über Grenzen hinweg stattfindet, die Produktion von Gütern, zu der Rohstoffe oder Tätige aus mehr als einer Weltgegend beitragen; andererseits die Maximen und das Wirken von Leuten, die den Nationalstaat überwinden wollen. Sie werden im ersten der beiden Klonovsky-Zitate als Globalisten bezeichnet.

Globalisierung, wie eben bestimmt, ist nichts Neues und auch nichts Schlechtes, weil sie Zeiten hoher Zivilisation kennzeichnet. So unterstreicht kein Geringerer als Wilhelm Röpke – mithin jemand, der die Ansinnen der Globalisten als Spielform des Zentrismus kritisiert haben dürfte -, daß

das Altertum in der römischen Kaiserzeit eine erstaunliche Höhe der wirtschaftlichen Entwicklung erreicht hat, die uns von einem Kapitalismus und einer Weltwirtschaft des Altertums zu sprechen erlaubt.

All das bricht in den folgenden Dark Ages zusammen, weshalb eben sie in so vielerlei Hinsicht dunkel sind, bis es sich zum Hochmittelalter hin aufrappelt. „Wir wissen heute,“ so Röpke,

daß im Mittelalter […] ein sehr intensiver Wirtschaftsverkehr bestanden hat und daß wir durchaus von einer mittelalterlichen Weltwirtschaft sprechen können, die keineswegs auf gewisse Luxusgüter beschränkt war, und wir wissen ferner, daß die Träger dieses Wirtschaftsverkehrs, wie nicht anders zu erwarten, einen sehr ausgeprägten Erwerbssinn besessen haben.

Diese Bemerkung ist ein Hieb gegen Werner Sombart und Max Scheler, die einen Umbruch der Werte zwischen vormodernen Zeiten und Moderne postulieren; einen Umbruch zum Schlechteren hin, natürlich. Röpke fährt fort:

Von besonderer Bedeutung ist […], daß dieses System hochentwickelter mittelalterlicher Wirtschaft zu Beginn der Neuzeit zusammengebrochen und im Zeitalter der Herausbildung der National- und Territorialstaaten und des Merkantilismus einer Stufe weniger differenzierter Wirtschaft Platz gemacht hat.

Oh-oh, da sind wir bald im Dreißigjährigen Krieg, der von Seiten Frankreichs zielstrebig verlängert wurde, um zum Hegemon in Kontinentaleuropa zu werden. Neue Dark Ages, weithin entvölkerte Gegenden, Hungersnöte, Kannibalismus:

„Executed malefactors were cut down from the gibbets to serve as butcher’s meat, and the recently bereaved were forced to guard the cemeteries against the ghoulish activities of body-snatchers,“ explains Aldous Huxley.

Zeiten, in denen Globalisierung möglich ist, wirken sympathischer. Klonovskys Hinweis auf „Weltabmelker“ tut dem keinen Abbruch. Es wäre gesondert zu prüfen, wieviel daran auf wirkliche Übelstände zielt, wieviel von Mißverständnissen à la Gert Ueding zeugt.

Soviel zum Handel selbst. Auch der Umstand, daß sich Experten aus aller Herren Länder in einer Firma zusammenfinden, um ihrer Profession (in somit globalisierter Manier) nachzugehen, ist nichts Neues, wie ein Blick in Herman Melvilles 1851 abgeschlossenen Roman Moby Dick beweist. An Bord der Pequod sind neben dem Erzähler Ishmael und dem vortrefflichen Harpunier Queequeg aus der Südsee (Kapitel 12) Menschen aus vielen Nationen; die Szene „Midnight, Forecastle“ (Kapitel 40) läßt sie wie auf dem Theater auftreten: Seefahrer von den Azoren und den Britischen Inseln, aus China, Dänemark, Frankreich, vom indischen Subkontinent, aus Island, Portugal, Malta, den Niederlanden, Sizilien, Spanien, Tahiti und, natürlich, den Vereinigten Staaten von Amerika.

Aber – und dieses Aber könnte kaum wichtiger sein – trotz alledem ist klar, wie nur Unausgesprochenes, da Selbstverständliches,  klar sein kann, daß die Pequod keine multikulturelle Gesellschaft bildet, sondern ein (äußerst) protestantisches, (sehr) angelsächsisches Gefährt.

Weshalb? Weil eben die Pequod ein Beispiel für, wie gegenwärtig bestimmt, globalisierte Wirtschaft bildet, die gleichzeitig, und ohne daß ein Widerspruch darin läge, lokal verhaftet ist – in Nantucket nämlich und dessen Menschen mit ihren Sitten, wie die köstliche Anheuerungsszene bei den Eignern Bildad und Peleg zeigt (Kapitel 16) -, nicht aber etwas, mit dem sich das Trachten und Tun derjenigen illustrieren ließe, die Diversity predigen und Nationalstaaten, die bis ehedem mehr oder minder ordentlich funktioniert haben, zu ich-weiß-nicht-was transformieren wollen.

Mit einem Wort: Schmeißen wir das nicht durcheinander. Sonst gießen wir das Kind mit dem Badewasser aus.

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Zitate: Wilhelm Röpke, Die Lehre von der Wirtschaft, Erlenbach-Zürich und Stuttgart: Eugen Rentsch 1965, S. 34. Huxley nach David P. Goldman (Spengler), How Civilizations Die (and Why Islam Is Dying, Too), Washington: Regnery 2011, S. 158. Bildquelle.