Gorch Fock: Von der Sorge der Seefischerfrauen
Bei der Lautfolge „Gorch Fock“ kommt zumeist das bundesdeutsche Segelschulschiff in den Sinn. Es trägt den Künstlernamen eines deutschen Schriftstellers, der eigentlich Johann Kinau hieß (1880-1916). Lassen Sie uns doch einmal in seinen bekanntesten Roman hineinschauen, der 1913 unter dem Titel „Seefahrt ist not!“erschienen ist:
Da saß sie nun in ihrem Glück, um das die ganze, arme Heide sie beneidete, war eine große Seefischerfrau mit Haus und Hof und Deich, der jede Reise die Hundertmarkscheine auf den Tisch flogen […].
Wie wichtig sie es in der Dönß hatten! Als wenn sie sie gar nicht vermißten! Wie sie lachten, Klaus Mewes am lautesten!
Dieses Lachen hatte es ihr angetan, als er um sie geworben hatte, denn so hatte sie noch niemals jemand lachen gehört! Das hatte sie in seine Arme gedrängt, hatte sie von der Geest in die Marsch gelockt, von dem Heidehof in das Fischerhaus, und hatte sie nicht an die Not und Schwere des Seefischerlebens denken lassen. Vergessen war es gewesen, was sie gehört und gelesen hatte von Sturm und Untergang: wo einer so lachen konnte, da konnte weder Unglück noch Gefahr sein, hatte sie gemeint, als Klaus sie freite.
Er lachte noch just so wie damals, er hatte es noch nicht verlernt, aber sie konnte es jetzt nicht mehr ohne Schmerz hören, es schnitt ihr ins Herz, wenn sie an das Finkenwärder Elend, an die Witwen und Waisen, an all die Tränen und unruhigen Stunden dachte, es kam ihr wie ein Frevel, wie eine Sünde vor. Daß er so verwegen war, machte ihr das Herz noch schwerer, und eine trübe Ahnung früher Witwenschaft hing ewig wie ein dunkles Gewölk über ihrem Leben.
Gar nicht schlecht, oder? Deutlich herausgearbeitet wird das Weiterbestehen heidnischer Furcht unter dem Firnis des Christentums – der naturmagische Gedanke, freudiges Selbstbewußtsein, Verwegenheit und Lachen, könne Götter oder Dämonen reizen, den Sterblichen zu vernichten. Das erinnert natürlich an Thomas Manns Befund von der „spät und oberflächlich christianisierten Sphäre“. Er galt Theodor Storms Heimat, also einem gut 150 Kilometer nordnordwestlich von Finkenwerder, dem Schauplatz der zitierten Szene, gelegenen Landstrich. Klaus Barz zitiert Manns Wort in seinem Buch „Der wahre Schimmelreiter. Die Geschichte einer Landschaft und ihres Dichters Theodor Storm“ (1985) gleich zweimal, auf Seite 56 und Seite 76. Ist das schon Tourismus-Marketing?
Wie dem auch sei. Der bloß oberflächlich christianisierte Bereich reicht weiter nach Süden, als man (und Mann) meint. Weshalb ist das relevant? Weil, wie der Soziologe Helmut Schoeck unterstreicht, die christliche Religion „etwas völlig Neues in der Geschichte der Menschheit“ war; der Gott des neuen Bundes war – und ist – kein „Wesen […], das seinen Kindern irgendwelche Freuden, auch die unverdienten, mißgönnt.“ Folglich bildet Klaus Mewes‘ freudige Verwegenheit nichts, was den Christengott verstimmt, und seine Frau sorgt sich aus schlechten, da in unterschwellig-unerkanntem Heidentum verharrenden Gründen.
(Nachweise: Das Kinau-Zitat findet sich auf 23-25 der Ausgabe von 1927. Schoecks Bemerkungen entstammen zwei Büchern; seiner großen Monographie Der Neid. Eine Theorie der Gesellschaft, Freiburg im Breisgau 1966, S. 142-143, sowie dem Band Der Arzt zwischen Politik und Patient, Wiesbaden 1983, S. 68. Verlagsort von Barz‘ 1985 publizierten Buch ist Frankfurt am Main. Beitragsbild: Charles A. Platt, Fischerboote (Fishing Boats), etwa 1881. National Gallery of Art (USA), gemeinfrei. )