Waffen- vs. Bedenkenträger

Nach Sandy Hook.

Ein Bekannter hat mich auf den vielfachen Mord an der Schule von Sandy Hook angesprochen. Ob solche Ereignisse nicht bewiesen, daß der zweite Zusatz zur Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika „widerlegt“ oder wenigstens „überholt“ sei.

Nein, natürlich nicht. Aus wenigstens zwei Gründen. Weitere Gründe ließen sich anführen.

Der erste Grund: So tragisch das Geschehnis in Sandy Hook ist, berührt es doch in keiner Weise die Gültigkeit des Arguments, auf das beigegebene Bild hinauswill.

Der Text auf dem Rücken der Dame lautet: „Restriktive Waffengesetze: Die Theorie, daß eine Frau, die in einer Nebenstraße tot aufgefunden wird, nachdem sie vergewaltigt und mit ihrer eigenen Strumpfhose erdrosselt worden ist, irgendwie einer Frau moralisch überlegen sei, die der Polizei erklärt, wie ihr Angreifer zu seiner tödlichen Schußwunde gekommen ist.“

Besonders gut gefällt mir das „irgendwie“ („somehow“). Es weist auf den Unterschied zwischen Gefühlen und Argumenten hin. Natürlich läßt der Gedanke an Schußwaffen Diesen oder Jenen sich unbehaglich fühlen; und sicher auch deshalb, weil ihn dieses Stück Metall mit aller Wucht auf die eigene Verantwortlichkeit stößt. Aber das bildet eben kein Argument – jedenfalls keines, das davon überzeugen würde, es sei besser, sich ermorden zu lassen, als sich zu wehren. Und auch keines, dessethalben man einem Menschen, der seiner Verantwortung genügt, das geeignete Werkzeug zur Selbstverteidigung aus der Hand schlagen sollte.

Der andere Grund: Es gibt einen Zusammenhang von Waffe und Freiheit. Nicht umsonst besitzt die Schweiz die stabilste Freiheitstradition auf dem europäischen Kontinent und die höchste Sturmgewehr-Dichte in den Heimen ihrer Bewohner. Frei ist, wer sich wehren kann, und wenn es das Letzte ist, was er tut. Dies gilt auch – und gerade -, wo der Staat zu Übergriffen neigt, weil Kollektivisten sich seiner bemächtigen. Ernst Jünger schreibt im „Waldgang“:

Ein Angriff gegen die Unverletzbarkeit, ja Heiligkeit der Wohnung wäre im alten Island unmöglich gewesen in jenen Formen, wie er im Berlin von 1933 inmitten einer Millionenbevölkerung als reine Verwaltungsmaßnahme möglich war. Als rühmliche Ausnahme verdient ein junger Sozialdemokrat Erwähnung, der im Hausflur seiner Mietwohnung ein halbes Dutzend sogenannter Hilfspolizisten erschoß. Der war noch der substantiellen, der altgermanischen Freiheit teilhaftig, die seine Gegner theoretisch feierten.

Man muß die Angelegenheit nicht „germanisieren“, denn das Problem ist grundsätzlicher, allgemein-menschlicher Natur: Es geht um die Bewahrung der Freiheit des Einzelnen, der Freiheit jedes Mitgliedes seiner Familie, eines jeden seiner Nachbarn, Arbeitskollegen usf., wenn etwa „die da in Washington“ ihre von der Verfassung umrissenen Befugnisse überschreiten. Victor Davis Hanson bemerkt:

James Madison did not write that amendment just as a protection for hunters or to ensure home defense, but rather as a warning to an all-powerful federal government not to abuse its mandate, given that the citizenry would be armed and enjoy some parity in weaponry with federal authorities.

Der zweite Verfassungszusatz stellt also die letzte Rückversicherung für den Fall dar, daß kollektivistische Ideologen Republik und Freiheit zu zerstören drohen. Ob der Mob uniformiert oder in Zivil auf Ihr Haus zukommt, ob er gegen die rechtmäßig gewählte Regierung auftritt oder der Regierung zur Seite steht, ob er – nach europäischen Koordinaten – von „links“ oder „rechts“ angreift, ob er von „grünen“ Weltrettungsphantasien motiviert wird oder sonsteinem Wahn anhängt, spielt dabei keinerlei Rolle.

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Sicher: Für den freiheitsentwöhnten Europäer wirken solche Anschauungen kaum akzeptabel. Deshalb mag es von Nutzen sein, sich die folgende Geschichte zu Gemüte zu führen:

[Condoleezza Rice’s] father pastored a black Presbyterian church in Birmingham, Alabama, which was, Rice reminds us twice, the most segregated city in America in the 1950s and early 1960s, the period in which she came of age. Today, of course, every schoolchild has heard of Martin Luther King Jr.’s Letter from Birmingham City Jail. But back in Rice’s childhood, when the middle-class black neighborhood of Titusville was under constant assault by the terrorist bombers of the Ku Klux Klan, her father refused to join King’s nonviolent activism. He believed in meeting violence with violence. He used to sit on the front porch with a gun, and helped organize bands of armed black men to patrol the streets of Titusville.

Der Vater der ehemaligen US-Außenministerin Condoleezza Rice hat seine schwarze Mittelklasse-Wohngegend zusammen mit anderen dort Ansässigen gegen die Angriffe des Ku-Klux-Klan verteidigt – mit der Waffe in der Hand. Sollen wir das für unmoralisch halten?

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Nachweise: Ernst Jünger, „Der Waldgang“. In: ders., Betrachtungen zur Zeit, Sämtliche Werke, Bd. 7, S. 281-374, Zitat S. 351. Das Bild stammt von der Website „Women Against Gun Control“. Ich zähle darauf, daß seine Wiedergabe als „Fair Use“ angesehen wird.