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Verfehlte Schuldzuweisung

Alexander von Schönburg bespricht in Cato 3/2019 Michael Houellebecqs Serotonin. Dabei zitiert er eine Passage aus dem Roman des französischen Schriftstellers, in der am Beispiele Spaniens von Rollkoffern und deren Vorgängern die Rede ist, welche getragen werden mußten, sofern nicht eigens dafür bestallte Kofferträger diese Aufgabe übernahmen: „Wie alle Länder des abendländischen Europas“ habe sich Spanien „in einem tödlichen Prozeß der Produktivitätssteigerung“ verfangen und „Stück für Stück aller nichtqualifizierten Tätigkeiten entledigt, die einst dazu beigetragen hatten, das Leben etwas weniger unerfreulich zu gestalten, und im gleichen Zug den Großteil seiner Bevölkerung zur Massenarbeitslosigkeit verdammt.“ Von Schönburg nimmt den Faden Houellebecqs auf: der Siegeszug des Rollkoffers und das Verschwinden das Kofferträgers stünden „stellvertretend für die Häßlichkeit unserer praktisch-effizienten Gegenwart, einer Welt, die sich aufteilt in die Habenden, die mit ihrer Vielfliegerkarte durch die Gegend jetten, auf der einen und die zur Unsichtbarkeit verurteilte Masse auf der anderen Seite, die mit Sozialhilfe abgefunden“ werde. Letztere werde „zu einem Leben in sozialer und kultureller Isolation gezwungen“.

So weit, so gut. Natürlich ist an der Opposition zwischen den „Somewheres“ und den „Anywheres“ etwas dran. Aber – und das ist ein wichtiges Aber – es liegt keinesfalls an der Markt- und Unternehmerwirtschaft mit ihren Vorstellungen von Produktivität und Effizienz, dem bösen, bösen Kapitalismus, daß es keine Kofferträger mehr gibt. Sondern an staatlichen Eingriffen. Die Kofferträger sind durch Mindestlohn-Gesetze und andere Formen der Sozialgesetzgebung, die „nichtqualifizierte Tätigkeiten“ (Houellebecq) teurer und teurer machen, aus dem Markt gedrängt – vulgo: um Lohn und Brot gebracht worden. Nicht der Kapitalismus, sondern der europäische Sozialstaat wäre zur Verantwortung zu ziehen.

Allgemeine Nutzanwendung: Kulturkritik sollte nicht auf verfehlten Prämissen beruhen. Sonst drohen verfehlte Therapie-Vorschläge.

(Alle Zitate: Cato 3/2019, S. 66.)