„Gesicht zeigen!“: Die Welt, wie Uwe-Karsten Heye sie vorfindet

Eine der vielen Vereinigungen, die sich am „Kampf gegen Rechts“ beteiligen, ist „Gesicht zeigen!“ Die Botschaft des gleich von zwei Bundesministerien geförderten Vereins ist klar: „Rassismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen!“ Daraus spricht löblicher Eifer – obgleich sich auf die Unstimmigkeit hinweisen ließe, daß auf ein- und derselben Unterseite Rassismus als Nicht-Meinung (sondern Verbrechen) und Meinung beschrieben wird. Die Betreiber verkünden nämlich nicht nur, was bereits genannt wurde, sondern auch:  „Die Idee, dass manche Menschen mehr wert sind als andere – für uns absurd und inhuman.“ Wenn rassistische Auffassung widervernünftig (absurd) sind, sollten sie sich rational widerlegen lassen. Insofern bräuchte es die Bestimmung als Verbrechen nicht. Sondern bloß ein wenig mehr Vertrauen in die segensreichen Folgen der Rede- und Preßfreiheit. Aber diesen Weg verschließen sich die Betreiber durch ein (sehr kontinentaleuropäisches) Mißtrauen der Vernunft gegenüber, wie der den fraglichen Satz jeder argumentativen Wucht beraubende Zusatz „für uns“ andeutet. Logische Unbedarftheit mündet in Freiheitsfeindschaft.

Ein interessanter Verein also, wenigstens unter kulturwissenschaftlichem Aspekt. Schauen wir einige weitere Verlautbarungen von „Gesicht zeigen!“ an. Der Mitbegründer und Vorstandsvorsitzende Uwe-Karsten Heye argumentiert in einem Aufsatz über „Brüssel und die Folgen für die linke Mitte“:

Wie und warum konnte der Hass gegen den Westen, seine Liberalität und Werte derart wachsen? Was treibt junge Muslime in den Dschihad? Warum erklären sie einem Lebensmodell den Krieg, das von der Gleichwertigkeit von Mann und Frau, von individueller Freiheit und Freiheit der Kunst und der Wissenschaft ausgeht? Was hassen die Islamisten so sehr, dass es ihr erklärtes Ziel ist, Europa anzugreifen, es in seinen Grundfesten zu erschüttern, dies auch noch religiös zu verklären, wie in Paris und jetzt in Brüssel?

Es wäre schön, wenn man bei „Gesicht zeigen!“ die Rechten, welche man bekämpft, auch lesen würde. Schlagen Sie Ernst Jüngers „In Stahlgewittern“ auf. Auf der ersten Textseite finden Sie die Passage:

Aufgewachsen in einem Zeitalter der Sicherheit, fühlten wir alle die Sehnsucht nach dem Ungewöhnlichen, nach der großen Gefahr. Da hatte uns der Krieg gepackt wie ein Rausch. In einem Regen von Blumen waren wir hinausgezogen, in einer trunkenen Stimmung von Rosen und Blut. Der Krieg mußte es uns ja bringen, das Große, Starke, Feierliche. (36. Auflage, Stuttgart: Klett-Cotta 1995, S. 7)

Das ist ein ernstzunehmender Hinweis auf den Reiz des Krieges. Man kann dergleichen kritisieren, aber man sollte es nicht ignorieren, nur weil es das eigene, sozialdemokratisch und sozialpädagogisch geprägte Weltbild sprengt.

Außerdem wäre das Ressentiment zu berücksichtigen. Das Ressentiment des Nicht-Westlers, der niemals erreichen und erleben wird, was das Leben des Menschen im Westen – jenes Streifens, der von Südkorea und Japan über die USA und Kanada bis Polen, Estland und Finnland reicht – ausmacht. Hören wir dazu Ulrike Ackermann, die schon vor zehn Jahren zu bemerken wußte:

„Wir müssen uns auf die Dinge einigen, auf die es uns ankommt, als da wären: das Küssen in der Öffentlichkeit, ein Sandwich mit knusprigem Speck, Meinungsverschiedenheiten, avantgardistische Mode, die Literatur, Großmut, […] Filme, Musik, die Gedankenfreiheit, die Schönheit, die Liebe. Das sind unsere Waffen“, schrieb Salman Rushdie kurz nach dem 11. September. Ein wunderbares Plädoyer für das „sündige“ Leben des Westens, für die Sinnesfreunden, die Sexualität, den Genuss, den Konsum und den Minirock. Es ist eine leidenschaftliche und luzide auf den Punkt gebrachte Verteidigung der politischen und individuellen Freiheit des Westens und der Menschen im Diesseits.

Ich verstehe ja, daß Leute, die sich um die „linke Mitte“ oder Gefilde tiefer im Sinistren sorgen, ungern mit Hilfe des Ressentiment-Begriffs argumentieren, weil ihr eigenes Denken zu nicht geringen Teilen von Ressentiment bestimmt wird, wie schon der Angriff Karl Marx‘ auf den zeitgenössischen Schriftsteller Eugène Sue und dessen Roman über den Neid beweist. Aber das spricht eben nicht gegen die Sachlage, sondern bloß gegen beschränkte und in letzter Konsequenz suizidale Sichtweisen – wie jene Heyes.

Im Rahmen einiger bestürzend parteipolitischer Überlegungen – Heye sorgt sich um die SPD, als sei ein Wandel der Parteienlandschaft irgendwo zwischen dem Untergang der Titanic und jenem des Abendlandes zu verorten, nicht aber ein Zeichen kultureller Evolution unter freiheitlichen Bedingungen und also etwas Begrüßenswertes -, stellt der „Gesicht zeigen!“-Vorsitzende seine Sicht auf die deutsche Nachkriegsgeschichte vor. Er konstatiert, daß die Programme der verschiedenen AfD-Landesverbände

eine gemeinsame Richtung haben. In Wahrheit soll alles zurückgedreht werden, was seit Ende der 60er Jahren Schritt für Schritt aus der postfaschistischen Gesellschaft Westdeutschlands herausgeführt und zu der freiheitlichen Bürgergesellschaft werden konnte, die mit Willy Brandts „Mehr Demokratie wagen“ ihren Anfang nahm und mit der Annäherung an die Postulate des Grundgesetzes nicht endete. Dazu gehörten die wirkliche Gleichberechtigung von Frau und Mann oder die Anerkennung der Tatsache, dass die sexuelle Orientierung Privatsache ist. Das sind Annäherungen an Artikel 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

Das ist, mit Verlaub, Achtundsechziger-Folklore der weniger inspirierten Art. Sie führt in die Irre. Denn die „freiheitliche Bürgergesellschaft“ der Gegenwart ist eine zu weiten Teilen entbürgerlichte Gesellschaft, in der ein wuchernder Sozial- und Regulierungsstaat die Freiheit bedrängt und zu erdrücken droht. Jeder, der kein Analphabet in Sachen Nationalökonomie und Staatsphilosophie ist, versteht das. Derweilen entdecken Familien, die stärker „bereicherten“ Gegenden etwa der Hauptstadt entfliehen möchten, daß ihre Finanzen dergleichen verhindern. Sollte Heye das Schicksal der SPD tatsächlich am Herzen liegen, fände er hier allerhand „soziale“ Probleme, mit denen er sich auseinandersetzen könnte.

Tragikomisch wirkt der Hinweis auf die sexuelle Orientierung unter Beschwörung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Eine der (intendierten oder nicht-intendierten) Konsequenzen des „Kampfs gegen Rechts“, wie Heye sich ihn vorstellt, dürfte ja gerade im Import von Menschen bestehen, die von sexueller Selbstbestimmung kaum etwas halten dürften, soweit es sich nicht um die sexuelle Selbstbestimmung von Cisgender Alpha-Males handelt. Soviel, meine lieben Landsleut*Innen, zum Thema „Emanzipation“.